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DOKU/003: BRAND-Trilogie - Widerstand im reichen Land (Frauke Tomczak)


BRAND III - Widerstand im reichen Land

Texte zum Film von Frauke Tomczak


Wir sehen im Nieselregen ein Zelt, provisorisch ergänzt durch eine Plane, einen Wohnwagen, dazwischen eine Art Weg: aufgeweichte Erde, schwarzgrauer Matsch. In geraumer Entfernung richtet eine dunkel gekleidete Gestalt irgendwelche Dinge, kommt dann mit energischen Schritten auf die Kamera, auf uns zu: ein kurzer Schreckmoment, ein sekundenschneller Augenblick, der bedrohlich erscheint. Doch direkt im Anschluss sehen wir: kein Grund zur Sorge, im Gegenteil. Die vermummte Gestalt rückt mit gekonnten Griffen im Matsch Holzpanelen zurecht, korrigiert durch gezielte Hammerschläge ihre Lage - sie ebnet den Weg.

Diese Eingangssequenz von BRAND III kann als metaphorischer Schlüssel verstanden werden für die unterschiedlichen Formen des Widerstandes im Rheinischen Braunkohlenrevier: sie ebnen den Weg. In besonderer Weise aber gilt sie für das durch den Film zurechtgerückte Bild der AktivistInnen im Hambacher Forst.

"RWE besetzt den Wald, nicht ich. Ich bin Bewohner des Waldes, Teil der Natur" so bringt Tim, einer von ihnen, sein Selbstverständnis nach der Räumung im März 2014 durch die Polizei auf den Punkt. Er weiß wovon er spricht. Sieben Monate hat er in seinem Baumhaus gelebt, Teil einer intelligenten und durchdachten Konstruktion einer untereinander verbundenen Gruppe von soliden Hütten in schwankenden Kronen. Sie schadet den Bäumen so wenig wie möglich und macht doch eine Räumung äußerst schwierig. Sein Haus hat mit ihm darin Herbststürme von bis zu 100 Stundenkilometern schadensfrei überstanden.


Baumhaus und Transparent 'Wald statt Kohle' - Foto: © 2015 by Schattenblick

In den Bäumen leben ... Waldbesetzung 2015
Foto: © 2015 by Schattenblick

Tim ist einer von vielen, zum größten Teil jungen Leuten unter den AktivIstinnen. Ihre individuellen, eigenwilligen Stimmen bringt dieser Film zu Gehör. Ihre Gegner sind nicht Wald und Natur, die sie schützen im doppelten Wortsinn: sie fühlen sich im Wald geschützt und sie schützen den Wald. Ihre Gegner sind die Besitzund Gewaltverhältnisse in unserer Gesellschaft. Den gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen sind die WaldaktivistInnen am direktesten ausgesetzt: sie werden konkret in Gestalt ihrer Ordnungskräfte, unterschiedlich brutaler privater Security-Dienste, beauftragt von RWE, oder in Gestalt der Polizei. Doch die offizielle ausführende Gewalt des Staates agiert h i e r nicht auf offener Bühne, vor Presse und Beobachtern bei der Waldräumung, sondern einige Zeit später nach einer Waldrazzia mit willkürlichen Festnahmen hinter den verschlossenen Mauern der Polizeistation.

Die WaldaktivistInnen setzen gegen die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse ihren Körper ein, zu dem die Seele zwangsläufig gehört. Sie riskieren ihre körperliche und seelische Unversehrtheit. Sie tun das nicht für sich, für ihren unmittelbaren Eigennutz, sondern für die Erkenntnis, dass die hemmungslose Ausbeutung der Natur und die Naturzerstörung, die uns alle betrifft, ein Ende haben muss. Dafür ebnen sie den Weg.

Die Stimme eines Akltivisten im Film erklärt: "Also im Großen und Ganzen wissen wir worauf wir uns einlassen, und es geht keineswegs darum, zu jammern, dass wir so schlecht behandelt werden, aber es ist trotzdem wichtig festzustellen, dass wir in dieser Gefahr leben und dass Polizei und Securities oft brutal gegen uns vorgehen, um eben auch zu verstehen, warum wir bestimmte Mittel anwenden, wie uns zu vermummen und uns im Zweifelsfall ggf. handgreiflich zu verteidigen oder derartige Sachen."


Hütten, Wohnwagen und Fahnen - Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Wiesenautonomie
Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Die BewohnerInnen der umliegenden Gemeinden, die sich ebenfalls gegen die Umsiedlung wehren, grenzen sich nicht ab, sondern danken es ihnen auf unterschiedliche Weise. Das tut Curt Claßen, indem er nach der ersten Waldräumung 2012 seine Wiese für ein dort zu errichtendes Camp der Waldaktivisten zur Verfügung stellt. Auch er wird mit der Gewalt der Verhältnisse konfrontiert.

2015 kommen über 2000 Menschen auf das zu der Zeit hauptsächlich von der Gruppe ausgeco2hlt organisierte "Klimacamp im Rheinland", einige Monate vor dem 21. Weltklimagipfel in Paris. 2017 werden es schon 7000 Menschen sein, die als "Ende Gelände"-Bündnis im Sommer und im November während der 23. Klimakonferenz COP 23, Conference of the Parties in Bonn in die Tagebaue eindringen oder sich an anderen Orten RWE in den Weg stellen.

Michael Zobel, der seit einigen Jahren Führungen durch den Wald und die Umgebung macht, führt seine Mitwanderer gezielt auch in das Camp, zu den einzelnen Baumstümpfen, mit Stacheldraht, Steinen und Zweiglein markiert, auf denen die AktivistInnen lebten, bevor die Bäume gefällt wurden. Anfang 2018 werden es 11.000 Menschen sein, die an seinen Führungen teilgenommen haben und 22 Baumhäuser, die trotz vieler Räumungen und Eskalationen hier entstanden sind. Viele AktivistInnen gehen regelmäßig mit. Sie sind auch bei der feierlichen Entwidmung des "Immerather Domes" dabei, die Susanne Fasbender in Brand II ausführlich dokumentiert. Der Widerstand lässt sich nicht spalten.

Das gilt auch für Aurelia Kirschbaum, eine Krankenschwester, die mit ihren handschriftlichen Aufzeichnungen in ihrer Kladde die extrem gesteigerten Fälle von Krebserkrankungen im Umfeld des Kraftwerkes Frimmersdorf dokumentiert, obwohl sie eher eine Einzelkämpferin ist. Schon Mitte der 90iger Jahre hat sie beim Bonner Umweltministerium eine Giftstoffuntersuchung erwirkt. 18 Giftstoffe wurden gefunden. Inzwischen bestätigen unterschiedliche Mediziner die hochgefährliche Kombination des auch durch den Tagebau frei werdenden Feinstaubs mit diesen gefährlichen Giftstoffen: sie setzen sich an die Feinstaubpartikel, werden durch die Atemwege aufgenommen und verursachen gravierende Schäden: anders als bei dem aktiven Körpereinsatz der Waldaktivisten eine passive Attacke auf den menschlichen Körper.


Schwarz und maskiert mit Hut - Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Das Gesicht der Rebellion
Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Wie ein Zahnrad greifen die unterschiedlichen Formen des Widerstandes ineinander. Sie beruhen auf Grenzüberschreitungen durch je einzelne Personen, die dauerhaft an den Besetzungen im Wald teilnehmen oder durch temporär bei "Ende Gelände" organisierten Gruppen. Alle diese Formen des Widerstandes von den WaldaktivistInnen, von Aurelia Kirschbaum, Curt Claßen, Michael Zobel, bis zu Elisabeth Hoffmann-Heinen, Alfred Otlik, (beide Teil 2) Wilhelm Breuer (Teil 1) und viele andere mehr haben eines gemeinsam: die Grenzüberschreitung in ihrer persönlichen Entscheidung, die gemütlichen kleinbürgerlichen Grenzen des Alltags zu überschreiten, den scheuklappigen Egoismus, der bloß auf den eigenen Nutzen beschränkt ist, auszutauschen gegen einen Eigensinn, der die eigenen Interessen gar nicht leugnen muss, um aus einer weitergreifenden Umsicht die Einsicht zu gewinnen, die defä- tistische Haltung "Da kannste nichts machen" zu überwinden und sich zu wehren gegen die eigene Instrumentalisierung und gegen die Ausbeutung der Natur wie des Menschen.

Es ist die besondere Leistung dieses dritten Teils der Trilogie, eine Langzeitdokumentation, die über mehrere Jahre einige der vielen Ereignisse des Widerstandes begleitet hat, diese individuellen Grenzüberschreitungen nicht nur zu dokumentieren, sondern ihnen einen Raum geschaffen zu haben, in dem sie gehört und gewürdigt werden.

Eine schöne Idee ist die viermalige diskrete, unaufdringliche musikalische Rahmung der Teile, die vor allem die WaldaktivistInnen zu Wort kommen lassen: Durch die Standing Rock Aktivisten Tufawon und Nataanii Means, die für die WaldbesetzerInnen ein Konzert geben, durch den amerikanischen Singer- Songwriter und Aktivisten David Rovics live auf der Waldbesetzung, durch den legendären Kölner Klaus der Geiger und Gabor Fekete's Cellospiel an der Räumungsstelle im Wald. Wenn Klaus der Geiger wütend geigt und singt: 'Nein, nein, wir woll'n nicht eure Welt' meint er sicher nicht die seit Jahrzehnten betriebene klammheimliche Unterwanderung von Sport- und Schützenvereinen durch RWE-Vertreter, die mit im Vergleich zu einer Umsiedlung lächerlichem Sponsoring von Sporthemden die Bevölkerung zu beeinflussen und zu spalten gedenkt. So wie sein wütendes Spiel Ausdruck des gerechten Zorns über die blindwütigen Prozesse der Zerstörung ist, so ist diese musikalische Rahmung im Film keine Überhöhung des Widerstandes, sondern eine Begleitung, die mit ihren ästhetischen Mitteln ebenfalls auf ganz eigene, Kraft spendende Art das menschliche Innerste der seelischen und emotionalen Bewegungen berührt. Auch sie bahnt einen Weg.


Blockade, Netze in Bäumen, 'Stopp' mit Steinen ausgelegt - Foto: © 2013 by Isus Blockade, Netze in Bäumen, 'Stopp' mit Steinen ausgelegt - Foto: © 2013 by Isus Blockade, Netze in Bäumen, 'Stopp' mit Steinen ausgelegt - Foto: © 2013 by Isus

Schwarzgrüner Widerstand - Waldbesetzung 2013
Foto: © 2013 by Isus

Dr. Frauke Tomczak ist Literatur- und Filmwissenschaftlerin, Autorin und Dozentin. Sie hat über Jahre thematisch ausgerichtete Filmreihen organisiert, kuratiert Kulturkooperationen, zuletzt eine Reihe zum 100. Geburtstag von Heinrich Böll und kuratiert seit fünf Jahren die Lyrikreihe im onomato Künstlerverein in Düsseldorf.

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Quelle:
© 2017 by Frauke Tomczak
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2018

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