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REZENSION/015: "Der Enron-Bankrott - Die ganz schlauen Burschen" (Phoenix) (SB)


"Der Enron-Bankrott - Die ganz schlauen Burschen" - Phoenix-Dokumentation




Bis zur Bankrotterklärung der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 und der damit vollends ausgebrochenen Wirtschaftskrise wurde der Zusammenbruch des Energiemultis Enron im November 2001 in den USA als Symbol für die Hybris eines außer Rand und Band geratenen Kapitalismus betrachtet. Innerhalb weniger Monate verfiel der höchste erreichte Aktienwert von 90 Dollar auf einige Cent, ein für ein als Blue Chip am New Yorker Stock Exchange notiertes Unternehmen unerhörter Vorgang. Neben jenen Besitzern der Enron-Papiere, die ihr Heil nicht wie das Führungspersonal des Konzerns im zeitigen Verkauf ihrer Aktien gesucht hatten, bezahlten viele der 22.000 Angestellten des Konzerns mit ihrer ökonomischen Existenz für die unternehmerischen Abenteuer der Spitzenmanager. Ihre auf das fortwährende Wachstum des Aktienwerts ausgerichtete Alterssicherung war dahin, denn die am Rentenprogramm beteiligten Mitarbeiter durften ihre Unternehmensanteile im Unterschied zum Firmengründer und Vorstandsvorsitzenden Kenneth Lay, zu dessen Vorgänger Jeffrey Skilling, zum Chef der Finanzabteilung Andrew Fastow, zum Chef der Energiesparte Lou Pai und weiteren Top-Managern nicht veräußern.

Während man in der Führungsetage schon im Sommer 2001 wußte, daß das Kartenhaus aus höchst komplexen, durch die Gründung von rund 3500 Zweckgesellschaften undurchschaubar gemachten Finanzoperationen wankte, suggerierte Enron-Chef Lay seinen Angestellte, daß die Kursverluste lediglich vorübergehender Art seien, und ermutigte sie, weitere Aktien zu erwerben. Er und sein engster Kreis hatten ihre Anteile bereits zum Höchstwert veräußert und trugen so dazu bei, daß der Kurs rasant verfiel. Indem sie die Rücksichtslosigkeit unbedingten Profitmachens, die sie zur Leitdoktrin Enrons erklärt hatten und die durch die obligatorische jährliche Entlassung desjenigen Zehntels der Belegschaft, das sich am wenigsten bewährt hatte, mit aller Härte am eigenen Personal vollzogen wurde, bis zum Ende durchhielten, kann man ihnen zumindest in dieser Hinsicht kalkulierbares und konsequentes unternehmerisches Handeln attestieren.

Es sind vor allem die Fäden individueller Ambition, räuberischer Kollaboration und menschlicher Niedertracht, mit denen Alex Gibney seinen im April 2005 erstmalig ausgestrahlten Dokumentarfilm "Enron: The Smartest Guys in the Room" zu einem in schillernden Farben erstrahlenden Sittengemälde des US-amerikanischen Finanzkapitalismus der Jahrtausendwende verwoben hat. Der unter anderem für den die Kriegführung der US-Regierung kritisierenden Dokumentarfilm "Taxi to the Dark Side" verantwortlich zeichnende Regisseur hat mit der Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des 1985 gegründeten Energiehandelskonzerns einen der wenigen für die Aufführung im Kino produzierten Filme gedreht, die sich anhand eines realen Beispiels mit den Praktiken des neoliberalen Finanzkapitalismus auseinandersetzen.

Der unter dem deutschen Titel "Der Enron-Bankrott - Die ganz schlauen Burschen" am 12. September 2009 um 22.30 vom öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix ausgestrahlte, 2006 für den Oscar nominierte Film leuchtet das Geschehen mit einer Fülle an dokumentarischem Material und anhand von Interviews mit diversen Angestellten und Managern Enrons gründlich genug aus, um das in Transaktionen, die häufig gar nicht stattfanden, und Bilanzen, die das Gegenteil suggerierten, versteckte Geschäftsgebaren des Unternehmens transparent zu machen. Die Kommentare der Journalisten Bethany McLean und Peter Elkind, die mit ihrem 2003 veröffentlichten Buch "Enron: The Smartest Guys in the Room" die Vorlage für den Film schufen, komplettieren das Bild eines Großkonzerns, der in der Kunst der kreativen Buchführung neue Maßstäbe setzte, auf eine Weise, die das Geschehen auch mit der Materie unvertrauten Zuschauern erschließt.

Da die dezidierte Darstellung einer Bilanzierungspraxis, bei der langfristig zu erwartende Einkünfte als direkt nach Vertragsabschluß bereits vorhandene Einnahmen ausgewiesen werden, bei der Schulden in den Büchern als Aktiva auftauchen und Investitionen in materielle Projekte sich vermeintlich auszahlen, bevor diese überhaupt realisiert werden, einen auf 109 Minuten terminierten Dokumentarfilm überfrachtete, greift Gibney häufig zu Bilddokumenten von den wohlinszenierten Auftritten der wichtigsten Akteure. Damit löst er das Problem, daß sich abstrakte Vorgänge wie die Auslagerung von Verlusten an Briefkastenfirmen und konzerinterne Scheingeschäfte mit eigenständig operierenden Unternehmensteilen nicht auf eine Weise darstellen lassen, die einem abendfüllenden Kinofilm gerecht würde, auf unterhaltsame und spannende Weise. Die an und für sich meist legalen, wiewohl unseriösen Geschäftspraktiken der Enron-Manager werden so mit einer Unternehmenskultur illustriert, in der alles auf Exzeß getrimmt war und deren Frontfiguren man für größenwahnsinnig halten könnte, wenn man nicht wüßte, daß sie tatsächlich Milliarden bewegt und Millionen verdient haben.

Besonders viel Raum nimmt die Geschichte der in Kalifornien vollzogenen Deregulierung der Stromversorgung ein. Diese wurde mit Unterstützung des republikanischen Senators Phil Gramm, eines besonders aggressiven Verfechters marktfundamentalistischer Prinzipien und dazu Nutznießer umfangreicher Wahlkampfspenden aus der Kriegskasse Enrons, durchgesetzt und resultierte in der drastischen Verknappung und Verteuerung des verfügbaren Stromangebots. Über Monate litten die Bürger Kaliforniens, der als Einzelstaat zu den zehn größten Volkswirtschaften der Erde zählt und als Innovationsschmiede der globalen IT-Industrie in besonderer Weise auf ununterbrochene Stromversorgung angewiesen ist, an langen Unterbrechungen der Elektrizitätszufuhr. Später stellte sich heraus, daß die Stromhändler Enrons das Zustandekommen dieser Versorgungsengpässe aktiv provozierten, um Preisaufschläge zu erzielen, die bis zum 20fachen des vorher üblichen Strompreises betrugen.

Was in der Lesart des Films allerdings leicht mißverstanden werden kann, ist die vermeintliche Politikferne einer Entwicklung, die Handels- und Industrieunternehmen zu riskanten Investitionen am Kapitalmarkt treibt, weil dort weit höhere Renditen zu erzielen sind als in ihrem nominellen Geschäft. Zwar wird auf die persönliche und ökonomische Verbandelung des Unternehmensgründers Ken Lay mit der damaligen Bush-Administration verwiesen, doch kommt die Darstellung der politischen Kräfte, die US-Konzernen zu einer günstigen ordnungs- und steuerpolitischen Gesetzeslage verhelfen, etwas kurz.

So fand die Aufhebung des Glass-Steagall-Acts, der dafür sorgte, daß die Aktivitäten von Geschäftsbanken und Investmentbanken strikt voneinander getrennt blieben, um spektakuläre Bankzusammenbrüche wie diejenigen des letzten Jahres zu vermeiden, 1999 während der Amtszeit des US-Präsidenten Bill Clinton statt. Mit diesem Schritt wurden Schutzwälle geschliffen, die verhindern sollten, daß Banken notleidende Unternehmen, in die sie investiert haben, in eigenem Interesse mit riskanten Krediten retten und damit die Gefahr des eigenen Zusammenbruchs provozieren. Im Falle Enrons bewirkte die Aufhebung dieses während der Großen Depression zu Beginn der 1930er Jahre verabschiedeten Gesetzes, daß große Geldhäuser wie Citigroup, J.P. Morgan Chase oder Deutsche Bank kräftig an den Manipulationen des Energiekonzerns verdienten. Auch das für ihre 85.000 Angestellten wenig erfreuliche Ende der Wirtschaftsprüfungsfirma Arthur Andersen LLP, die die manipulativen Praktiken Enrons lange deckte, war Ergebnis einer staatlichen Aufsichtspraxis, die der seit Präsident Ronald Reagan gültigen Politik einer massiven Freisetzung des Kapitalmarkts folgte.

Die Bestechlichkeit der politischen Klasse, die sich etwa anhand der Bevorteilung Enrons durch die Einflußnahme des US-Vizepräsidenten Dick Cheney auf die Energiepolitik seiner Administration direkt nachvollziehen läßt, war und ist nur mittelbar für die Dominanz der Kapitalmacht in den USA verantwortlich. Es handelt sich in erster Linie um ein systemisches Problem, das sich aus der Begrenzung der industriellen Wertschöpfung durch Überakkumulation und die daraus resultierende Ausflucht der extensiven Kapitalverwertung erklären läßt. Enron war auf diesem Gebiet besonders innovativ und machte, solange der Aktienwert stieg und reale Verluste unsichtbar gemacht werden konnten, durchaus in einem Sinne Gewinn, der sich nicht von der spektakulären Ausweitung des Kredits unterscheidet, der der jetzigen Weltwirtschaftskrise vorausging.

Aus heutiger Sicht ist der Film schon deshalb sehenswert, weil Enrons Geschäftskonzept, den Handel mit einstmals öffentlichen Dienstleistungen finanzkapitalistisch auszuschlachten und mit langfristigen Aussichten auf zukünftige Gewinne aus vermeintlich realwirtschaftlichen Aktivitäten kurzfristige Wachstumseffekte am Finanzmarkt zu erzeugen, signifikant ist für die weitere Verselbständigung der über den bunten Strauß von Termingeschäften, Finanzderivaten, Immobilienspekulationen und Hedge-Fonds-Wetten bis zum Zusammenbuch der diversen Akkumulationskaskaden vorangetriebenen Kapitalverwertung. Bei allen irreführenden und betrügerischen Manipulationen, die in Strafurteilen für diverse Enron-Manager resultierten, war die Geschäftstätigkeit des Handels mit zahlreichen Dienstleistungen im Energiesektor wie anderen Feldern der Daseinsvorsorge weitgehend legal.

Von daher läßt sich die Geschichte Enrons nicht als moralisch verwerfliche Ausnahme von einer insgesamt akzeptablen und integren Regel lesen. Der Konzern wurde jahrelang von Politik und Medien als eine Art Kronjuwel in der Schatzkammer US-amerikanischer Kapitalmacht gehandelt. Seine persönlichen Aushängeschilder Lay und Skilling waren hochgeachtete, ihren Reichtum als Mäzene legitimierende Mitglieder der obersten Schicht der US-Gesellschaft. Sie und andere Manager wurden von der Wirtschaftspresse als Helden US-amerikanischen Unternehmertums gefeiert, verkörperten sie doch den zum Idealtypus einer nie endenden Zukunft kapitalistischen Wachstums erklärten, sich schlau und aggressiv an der Spitze der Freßkette behauptenden Erfolgsmenschen.

Enron war ein global tätiger Konzern, der in vielen Ländern des Südens vom Privatisierungsprimat der Globalisierung profitierte und seine Geschäfte in den Schneisen abwickelte, die die ökonomische und militärische Offensive imperialistischer Politik in den vermeintlichen Wildwuchs eigenständiger lokaler und nationaler Entwicklungen trieben. Zu seinen Beratern gehörten Schwergewichte der geopolitischen Expansion wie Henry Kissinger, ein um die Ressourcensicherung der USA besonders besorgter Feldherr wie Vizepräsident Cheney hat unauslöschliche Spuren in der Geschichte des Konzerns hinterlassen, und Enron-Chef Lay saß im Vorstand einer Zentrale neokonservativer Kriegsplanung, dem American Enterprise Institute. Wenn der Konzern in Ländern wie Afghanistan, Kolumbien oder Indien Geschäfte anbahnte, dann erfolgte dies mit Rückendeckung eines administrativen Apparats, der wie keine andere Regierung seine Interessen in allen Teilen der Welt zu wahren weiß.

Die auf vielen Ebenen erfolgende Kollaboration zwischen der Unternehmensführung im texanischen Austin, wo Ken Lay sich schon bei der Wahl George W. Bushs zum Gouverneur des Staats als wichtiger Spender und Fürsprecher hervorgetan hatte, und Kongreß wie Regierung in Washington hat auch dazu beigetragen, daß der inmitten des Absturzes der New Economy erfolgende Zusammenbruch Enrons nicht bereits damals zu jenen regulativen Maßnahmen geführt hat, die nach dem ungleich folgenreicheren Platzen der US-Immobilienblase und der sich daran anschließenden Weltwirtschaftskrise um so dringlicher verlangt werden.

Was 2002 nicht opportun war, verbietet sich 2009 aus dem gleichen einfachen Grund: das herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist aufgrund des ihm innewohnenden Widerspruchs zwischen Arbeit und Kapital weder nach den Bedingungen seiner Profiteure noch nach den Vorstellungen keynesianischer Linker auf eine Weise zu reformieren, die allen Menschen ein angemessenes und würdiges Leben ermöglichte. Die am Beispiel der Enron-Manager exemplifizierte sozialdarwinistische Siegermentalität ist nicht nur äußerer Ausdruck, sondern inneres Wesen eines Raubverhältnisses, das mit der Erklärung, Furcht und Elend des Kapitalismus resultierten aus bloßer Gier seiner Profiteure, höchst unzureichend beschrieben ist.


4. August 2009