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REZENSION/031: More than Honey - über das Leben und Sterben der Honigbienen (SB)


Markus Imhoofs Kinofilm "More than Honey"



Der Planet durchläuft zur Zeit das sechste Massensterben seit 540 Millionen Jahren. Als hauptverantwortlich gilt der Homo sapiens sapiens - angesichts dieser katastrophalen Entwicklung eine Bezeichnung, die unpassend wirkt und die er wohl nur sich selbst geben konnte. Keine andere Spezies käme auf die Idee, den größten Räuber der Erde als klug zu bezeichnen, und dann auch noch in der Verdopplung, wie um davon abzulenken, daß der Mensch nicht nur emsig an den Ästen anderer Arten, sondern auch am eigenen Ast sägt, auf dem er sitzt.

Die Menschheit ist akut von einem massiven Nahrungsmangel bedroht, über jene rund eine Milliarde hungernden Erdenbewohner hinaus, da die Ökosysteme kollabieren: Die Meere sind überfischt, die Bodenfruchtbarkeit läßt weltweit nach, die Wüsten dehnen sich aus und die industrielle Massentierhaltung wird regelmäßig von Seuchen oder Verunreinigungen des Futters durch Schadstoffe heimgesucht. Ein steigender Meeresspiegel wird im Laufe dieses Jahrhunderts landwirtschaftliche Flächen überspülen und Grundwasser mit salzigem Meerwasser kontaminieren.

Womöglich werden Paläontologen einer sehr, sehr fernen Zukunft feststellen, daß im 21. Jahrhundert plötzlich weder der zu Bernstein verfestigte Baumharz noch die zu Stein gewordenen Seesedimente oder irgendwelche anderen Hinterlassenschaften in der Natur Hinweise auf die Existenz einer der nützlichsten Bewohner dieses Planeten liefern, die Bienen. "Nützlich" verstanden allein aus der Perspektive des Menschen, der diverse Formen der Tierhaltung betreibt, um sein Überleben zu sichern. So auch durch die Bienenzucht. Die dient jedoch nicht nur der Produktion von Honig, Bienen sind ein wichtiger Bestäuber von Pflanzen. Um so bedenklicher, daß etwa seit der Jahrtausendwende ein Völkersterben, auch CCD (Colony Collapse Disorder) genannt, unter den Bienen stattfindet.

Ein Drittel dessen, was wir essen, gäbe es ohne Bienen nicht, berichtet der Filmemacher Markus Imhoof in seinem Dokumentarfilm "More than Honey", dessen Kinopremiere in Deutschland für den 8. November 2012 angesetzt ist. Der Schweizer Regisseur, dessen Großvater Bienen zum Bestäuben seiner Obstplantagen gezüchtet hat, ist ein in mehrerer Hinsicht spektakuläres Werk gelungen. Es geht in dem Film nicht allein um das mysteriöse Massensterben unter Bienenvölkern, die teilweise spurlos verschwinden. Allein das zu schildern hätten vielleicht dreißig Minuten genügt, und herausgekommen wäre bestenfalls eine solide Dokumentation, die aber keinen besonderen Eindruck hinterlassen hätte. "More than Honey" wird jedoch dem "Mehr" im Titel auf andere Weise gerecht: es ist mehr als ein Dokumentarfilm.

Dank ausgeklügelter Aufnahmetechniken bringt Imhoof dem Publikum das Leben der Biene als Schwarmtier nahe. Beispielsweise zeigt er mit Hilfe einer Endoskopiekamera, makroskopisch aufgelöst und auf unsere Sehgewohnheiten verlangsamt, wie die Arbeiterinnen eine neue Königin aufziehen, wie die Bienen miteinander kommunizieren oder auch wie die Übergabe des Nektars von den Sammlerbienen zu denen, die ihn in die Waben einbringen, erfolgt. Den Zuschauerinnen und Zuschauern wird manchmal der Eindruck vermittelt, sie nähmen die Sicht der Biene ein.

Nicht weniger beeindruckend die Sequenzen, in der die Kamera - unsichtbar fürs Publikum an einem Mini-Hubschrauber befestigt -, den Flug einer Kundschafterbiene von einem provisorischen Standort zu einer kleinen, attraktiven Felshöhle, die als neuer Wohnplatz ausgesucht wird, und von dort wieder zurück zum vorübergehenden Refugium verfolgt. Anschließend wird das Ausschwärmen des Bienenvolks und die Neubesiedlung gezeigt. Daß dieser geschickten Dramaturgie womöglich ein klein wenig mit Duftstoffen nachgeholfen wurde, damit die Bienen dort landen, wo die Kameras bereits vorinstalliert waren, darf vermutet werden, tut der Sache aber keinerlei Abbruch.

Imhoof ist rund um die Welt gereist, um über die Bienen und ihre vermeintlichen Herren zu berichten. Beispielsweise nach Kalifornien zu John Miller. Der Großimker besitzt 15.000 Bienenstöcke, deren Bewohner zur Zeit der Filmaufnahmen üppig blühende Mandelbäume bestäuben und die er per Lastwagen weitertransportiert, immer der Frühlingsblüte hinterher. Die Plantagenbetreiber sind auf die kleinen Tiere angewiesen, ohne sie geht es nicht, und in Kalifornien werden 80 Prozent der Mandeln weltweit produziert. Selbst Miller, der den amerikanischen Unternehmertyp verkörpert, räumt ein, daß sein Großvater, Imker wie er, vermutlich erschüttert wäre, würde er diese Massenhaltung von Bienen sehen.

Nicht unkritisch richtet Imhoof seine Kamera auf diese Form der industriellen Bienenzucht, bei der selber viele Chemikalien verwendet werden und die ihrerseits durch den großmaßstäblichen Einsatz von Chemikalien gefährdet ist. Kein schöner Anblick, ein Insekt in Nahaufnahme, das aufgrund eines 19 Tage zuvor ausgebrachten Fungizids verendet.

Dann ein harter Schnitt und es wird auf eine Schweizer Almwiese umgeblendet. Ein Idyll! Aber selbst dort ist die Welt der Bienen und die ihrer Züchter nicht in Ordnung. Das Völkersterben erreicht auch die letzten Winkel der Erde. Der Schweizer Bergimker Fred Jaggi kämpft gegen etwas an, das er nicht kennt, und versucht es vor allem durch die Bewahrung der Imkertradition, der Erhalt der Rassereinheit, in den Griff zu bekommen. Keine fremden Bienen in sein Gebiet zu lassen schützt jedoch nicht vor dem Massensterben, das anscheinend viele Ursachen haben kann. Die sich aus Asien ausbreitende Varroamilbe ist sicherlich ein sehr wichtiger Faktor, ein anderer der Chemikalieneinsatz in der Landwirtschaft. Einzeln, gemeinsam oder in Verbindung mit weiteren Faktoren, trägt dies zum globalen Exitus der Bienenvölker bei.

Der Film zeigt neben dem nomadischen Leben eines reisenden Großimkers in den USA und dem Schweizer Bergimker auch den Pollenhandel in China, wo die Bestäubung von Obstbäumen von Menschenhand erfolgt. Denn dort sind die Bienen bereits wegen der vielen Chemikalien in der Umwelt verendet. Wohingegen Barbara Baer-Imhoof, Tochter des Filmemachers, und ihr Mann Boris Baer eine Bienenzucht auf einer Insel in Australien betreiben. Prof. Dr. Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin wiederum berichtet von neurobiologischen Erkenntnissen zu den Bienen, während Liane und Heidrun Singer aus Österreich einen weltweiten Handel mit gezüchteten Königinnen, die sie per Post verschicken, betreiben.

Möglicherweise hat der Imker Fred Terry aus den USA eine Antwort auf das Völkersterben. Er bevorzugt die sogenannte Killerbiene, eine Kreuzung aus der afrikanischen und der europäischen Biene. 26 Völker der Killerbiene waren 1957 aus einem Forschungslabor in Sao Paulo entwichen und haben sich seitdem in verschiedenen, wärmeren Weltregionen ausgebreitet, wo sie andere Völker verdrängen. Die Killerbienen sind, wie der Name schon sagt, nicht einfach zu handhaben, aber sie werden nicht von der Varroamilbe befallen und bleiben vom Massensterben verschont. Außerdem liefern sie mehr Honig als ihre weniger aggressiven Artgenossen.

Bienen sterben nicht an Milben, Antibiotika, Inzucht oder Streß, resümiert Imhoof und sagt: "Es ist die Summe von allem. Die Bienen sterben am Erfolg der Zivilisation, sie sterben am Menschen." Der habe aus Wildbienen gefügige Hausbienen gemacht, aus Wölfen anfällige Pudel. Aber warum lassen sich die Bienen das gefallen, wirft der Regisseur eine Frage auf, die er angenehmerweise unbeantwortet stehen läßt. Mit Hilfe der Bienen hält er der menschlichen Gesellschaft einen Spiegel vor. Dabei bemüht der Film nur wenige Botschaften. Das muß er auch nicht, er selbst ist die Botschaft.

Titel: More than Honey
Produktionsland: Deutschland, Schweiz, Österreich
Produktionsjahr: 2012
Länge: 91 Minuten
Verleih: Senator Film Verleih
Regie: Markus Imhoof
Drehbuch: Kerstin Hoppenhaus, Markus Imhoof
Kamera: Attila Boa, Jörg Jeshel
Schnitt: Anne Fabini

4. Oktober 2012