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GERIATRIE/268: Interview - "Die Position der Geriatrie auf den Intensivstationen muss gestärkt werden!" (idw)


Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) - 29.03.2017

Altersmedizin: "Die Position der Geriatrie auf den Intensivstationen muss gestärkt werden!"


Der demografische Wandel macht es zwingend notwendig, dass verstärkt Altersmediziner in die Arbeit auf Intensivstationen eingebunden werden. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) sieht akuten Handlungsbedarf und ruft dazu auf, die internistische Intensivmedizin in Deutschland jetzt zu stärken und weiterzuentwickeln. Mehr als 20 Prozent der Menschen auf einer internistischen Intensivstation sind 80 Jahre alt und älter. Es sind klassisch geriatrische, multimorbide Patienten. Sie haben nicht nur ein internistisches Grundproblem, sondern eingeschränkte Mobilität, Verlust der Autonomie - möglicherweise sind es Patienten am Lebensende.

"Dies ist eine spezielle Herausforderung, zu der sich die Geriatrie als Fachgesellschaft ganz klar bekennen muss", sagt Professor Hans Jürgen Heppner, President-elect der DGG. "Wir sind Internisten und Geriater und wir wollen bei der akuten Diskussion um die intensivmedizinische Versorgung von kranken geriatrischen Patienten mitreden und mitarbeiten!" Heppner fordert, nicht nur die internistische Intensivmedizin sondern vor allem die geriatrischen Besonderheiten in der Intensivmedizin nicht aus den Augen zu verlieren: "Die Position der Geriatrie auf den Intensivstationen muss gestärkt werden!". Im Interview erklärt der Chefarzt der Geriatrie im Helios Klinikum Schwelm und Lehrstuhlinhaber an der Universität Witten/Herdecke, vor welchen Herausforderungen die Geriatrie und internistische Intensivmedizin nun stehen.


Herr Professor Heppner, die Internisten sorgen sich um den Verlust der Leitungsfunktionen auf Intensivstationen. Jetzt fordern Sie hier auch die Position des Geriaters zu stärken. Ist das nicht ein bisschen vermessen?

Heppner: Auf keinen Fall. Es ist zwingend erforderlich, dass Geriater und Internisten den Schulterschluss suchen. Das ist meine persönliche Erfahrung aus vielen Jahren in der Akut- und Intensivmedizin. Stichwort demografischer Wandel: Wenn auf den Intensivstationen bald jeder vierte Patient mit internistischen Krankheiten 80 Jahre und älter sind, also oft multimorbide und in den Kompetenzen stark eingeschränkt, dann müssen wir Geriater unser Wissen zu Lebensqualität, Funktionalität und Selbstständigkeit dieser Menschen an die Internisten weitergeben. Auch die Erwartungen älterer Menschen an die Therapieansätze und Unterstützung sind andere - deswegen sind Geriater in der Intensivmedizin so wichtig.

Geriatrisches Wissen auf den Intensivstationen ist also unumgänglich?

Heppner: So ist es. Aber wir wollen niemandem die Arbeit abnehmen oder Kompetenzen beschneiden. Ich bin ein klassischer Unterstützer der internistischen Intensivmedizin. Deswegen: Innere Medizin und Geriatrie müssen sich hier zusammentun, das ist unsere gemeinsame Domäne. Deswegen unterstützen wir die internistische Intensivmedizin uneingeschränkt.

Nun sehen wir die Geriatrie im Aufwind. Es werden verstärkt geriatrische Kliniken gegründet. Sehen Sie diese Entwicklung auch in der Intensivmedizin?

Heppner: Hier beobachte ich eher das Gegenteil: Die Intensivmedizin steht oft auf der Kippe. Sie ist eben sehr teuer, auch wenn die anteilige Bettenzahl gering ist. Man will vielerorts weg von kleinen Intensiveinheiten, hin zu größeren Zusammenschlüssen. Da mögen auch politische Entscheidungen eine Rolle spielen, um Einfluss auf die Krankenhauslandschaft zu nehmen.

Aber müssten die Kliniken nicht gerade wegen des demografischen Wandels ihre Bettenplätze in der Intensivmedizin aufstocken, um auf mehr geriatrische Patienten vorbereitet zu sein?

Heppner: Genau das wäre wichtig. Schon jetzt ist in der Notaufnahme jeder vierte Patient 80 Jahre oder älter. 35 Prozent der Patienten sind über 70 Jahre. Bei denen erreichen wir beispielsweise durch moderne, nichtinvasive Beatmungsmethoden große Behandlungserfolge, die zusätzliche Komplikationen bei multimorbiden Patienten vermeiden. Diese Methoden gab es so vor zehn Jahren noch nicht in dieser Form. Aber entsprechend ist dadurch aktuell die Zahl der Beatmungstage und der Bedarf an entsprechenden Betten stark gestiegen. Darauf müssen wir reagieren! Und das zeigt auch wieder, wie wichtig geriatrisches Knowhow in der Intensivmedizin ist.

Sie sind selbst Internist, Geriater, aktiver Notarzt und Intensivmediziner. Das klingt nach einer langen Ausbildung. Welche Qualifikationen sind notwendig, um als Geriater in der internistischen Intensivmedizin zu arbeiten?

Heppner: Die Basis ist eine medizinische Grundausbildung zum Internisten über mindestens fünf Jahre. Dem folgt eine zweijährige Zusatzweiterbildung internistische Intensivmedizin. Anschließend sind noch 18 Monate geriatrische Weiterbildung notwendig. Um als leitender Arzt eine Intensivstation führen zu können, braucht man neben den Zusatzausbildungen der speziellen oder allgemeinen Intensivmedizin auch noch viele Jahre Führungserfahrung. Die Zusatzausbildung internistische Intensivmedizin ist nicht nur wegen der medizinischen Qualität notwendig, sondern auch, um die Leistungen der Intensivstationen abrechnen zu können.

Damit steht der internistischen Führung einer Intensivstation doch nichts im Wege, oder?

Heppner: Leider schon. Denn im Gegensatz zu den Anästhesisten haben immer weniger Internisten den skizzierten Ausbildungsweg durchlaufen. Es fehlen die Zusatzweiterbildungen. Das Problem ist nun, dass der Anästhesist einen ganz anderen Ausbildungsschwerpunkt hat. Nur bis er sich neben seiner täglichen Routine die wichtigen internistisch-geriatrischen Fragestellungen einverleibt hat, vergeht viel Zeit. An der Stelle sehen wir in den Kliniken ganz deutlich, dass es eben zu wenige geriatrische Intensivmediziner gibt.

Warum ist das so? Ist das kein attraktives und spannendes Arbeitsumfeld?

Heppner: Natürlich ist es spannend - hochinteressant sogar. Und vor allem als Geriater kann ich entscheidend in den Behandlungsverlauf eingreifen. Aber die Ausbildung ist eine echte Herausforderung, das zusätzliche Lernen ist aufwändig, es geht zudem sehr viel um technische Fragen. Am Ende winkt der Schichtdienst, der bringt manchen an die Grenzen der Belastbarkeit. Auch für die Krankenhausträger entstehen zusätzliche Ausbildungskosten.

Weil sie also fehlen, warum können Geriater und Internisten dann nicht doch besser den Anästhesisten in der Leitung konsiliarisch unterstützen?

Heppner: Formal geht das schon. Aber der Aufwand dafür wäre enorm. Nicht nur für den Anästhesisten, der sich neben seiner täglichen Arbeit zusätzlich mit unserm internistisch-geriatrisches Knowhow beschäftigen muss. Auch für mich als Geriater und Internist wird der Zeitaufwand größer. Denn in der Beobachtung des Patienten brauchen wir eine gewisse Behandlungskontinuität. Ich muss sehen, wie sich der Patient entwickelt. Das ist oft eine Frage von Stunden. Und wenn ich dann als Zuarbeiter so oft vor Ort bin, dann kann ich die Arbeit auch direkt selbst machen. Das vereinfacht alle Prozesse und belastet die Anästhesisten nicht zusätzlich. Deswegen ist es auf den Stationen von vorn herein wichtig, dass Internisten und Geriater eng zusammenarbeiten. Das hat sich auch in der Vergangenheit bewährt.

Wie lässt sich dieser Konflikt also lösen? Woran arbeitet die DGG?

Heppner: Wir wissen genau, wie die Behandlung älterer Patienten in der Intensivmedizin am besten umzusetzen ist. Unsere zentralen Forderungen zur Zusammenarbeit mit Internisten haben wir nun in einem gemeinsamen Aufruf aller internistischen Fachgesellschaften und des Bundesverbandes Deutscher Internisten formuliert. Zusätzlich werden wir unsere Forderungen mit wissenschaftlichen Argumenten untermauern. Dazu erarbeiten wir aktuell mit der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) ein Positionspapier zum geriatrischen Intensivpatienten, das voraussichtlich Ende des Jahres veröffentlicht wird.

Und wie kann die Situation für geriatrische Patienten auf der Intensivstation langfristig verbessert werden?

Heppner: Wir fordern, dass grundsätzliches Wissen über geriatrische Patienten in die Intensivmedizin hineingehört. Moderne Intensivmedizin ohne das Wissen über den alten Menschen ist schlicht nicht mehr möglich. Dazu brauchen wir motivierte Mediziner, die sich ihr Wissen über die Schiene Innere Medizin und Akutmedizin sowie Zusatzweiterbildung Geriatrie aneignen und dadurch noch bessere Arbeit auf den Intensivstationen leisten können. Noch ist dort nicht im breiten Bewusstsein angekommen, wie wichtig das geriatrische Wissen ist. Denn: Beim alten Menschen ist alles anders! Röntgenbilder, die Anatomie, physiologische Eigenschaften - alles muss neu interpretiert werden. Wichtig ist, dass wir JETZT reagieren, denn die in den kommenden Jahren werden noch deutlich mehr ältere Patienten in die Kliniken kommen.


Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Ärzte, die sich auf die Medizin der späten Lebensphase spezialisiert haben. Wichtige Schwerpunkte ihrer Arbeit sind neben vielen anderen Bewegungseinschränkungen und Stürze, Demenz, Inkontinenz, Depressionen und Ernährungsfragen im Alter. Häufig befassen Geriater sich auch mit Fragen der Arzneimitteltherapie von alten Menschen und den Wechselwirkungen, die verschiedene Medikamente haben. Bei der Versorgung geht es darum, den alten Menschen ganzheitlich zu betreuen und ihm dabei zu helfen, so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt zu leben. Die DGG wurde 1985 gegründet und hat heute rund 1700 Mitglieder.


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Altersmedizin: "Die Position der Geriatrie auf den Intensivstationen muss gestärkt werden!"

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1658

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG), Torben Brinkema, 29.03.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2017

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