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NEUROLOGIE/2032: Häufige Wadenkrämpfe - was hilft? (idw)


Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. - 22.10.2019

Häufige Wadenkrämpfe - was hilft?


Wadenkrämpfe können die Lebens- und Schlafqualität stark beeinträchtigen. Leider hilft wenig - und altbewährte Maßnahmen wie Dehnen und Magnesium haben nicht bei allen Patienten Erfolg. Bei Menschen, die unter häufigen, langanhaltenden und stark schmerzenden Wadenkrämpfen leiden, können Chininpräparate zum Einsatz kommen. In einer aktuellen Studie erwiesen sie sich als wirksam und nebenwirkungsarm.

Wer kennt das nicht? Wadenkrämpfe treten plötzlich und unerwartet auf und bereiten höllische Schmerzen. Meistens hält der Spuk nicht lange an, so dass im Prinzip kein (Be-)Handlungsbedarf besteht, es sei denn, die Krämpfe treten häufig oder sogar sehr häufig auf.

Ein Wadenkrampf entsteht nicht in der Muskulatur, ist also kein muskuläres Problem, wie viele denken, sondern ein neurologisches: Ausgelöst werden Muskelkrämpfe durch spontane Depolarisierungen der Nervenmembranen: Es bilden sich Aktionspotenziale aus, also Nervenimpulse, die dann im Endeffekt zu einem "Erregungssturm" im Muskel führen.

Elektrolytverschiebungen können die Reizbarkeit der Nerven, die den Muskel umgeben, erhöhen und die Entstehung von Krämpfen begünstigen. Das könnte auch der Grund sein, warum mehr Menschen im Sommer Wadenkrämpfe bekommen - man schwitzt mehr und trinkt u.U. nicht genug. Es gibt aber noch weitere Risikofaktoren: Ist beispielsweise die aus Myelin bestehende Schutz- bzw. Isolierschicht der Nervenfasern schon etwas dünner oder geschädigt, ist das Risiko für solche krampfauslösenden Impulsentladungen höher. Eine solche Demyelinisierung kann durch unterschiedliche Erkrankungen wie z.B. die diabetische Polyneuropathie oder Schilddrüsenerkrankungen hervorgerufen werden, aber auch durch verschiedene Medikamente, Alkohol oder Vitamin B-Mangel. Es liegt auf der Hand, dass sie im Alter häufiger sind als bei jungen gesunden Menschen, weshalb auch Wadenkrämpfe bei älteren Menschen häufiger auftreten.

Hinzu kommen mechanische Auslöser: Senkt man die Zehenspitzen nach unten, so dass sich der Wadenmuskel verkürzt - wie das beispielsweise der Fall ist, wenn der Fuß durch eine schwere Bettdecke heruntergedrückt wird oder in High-Heels steckt - kann es leichter zu Wadenkrämpfen kommen. "Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Es ist wahrscheinlich so, dass durch Gewebsverschiebungen die empfindlichen Nervenendstrecken im Muskel unter Druckspannung geraten, was die elektrischen Entladungen begünstigt", erklärt Dr. Rainer Lindemuth, Siegen, Erstautor der S1-Leitlinie Crampi/Muskelkrampf [1] der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. "Beugt man den Fuß in die Gegenrichtung und streckt den Wadenmuskel, löst sich der Krampf. Die Akutempfehlung lautet daher, den verkrampften Muskel zu dehnen bzw. seinen Gegenspieler anzuspannen."

Zur Vorbeugung empfiehlt die Leitlinie regelmäßige passive Dehnübungen der Wadenmuskulatur (z.B. durch Vorbeugen des Körpers im Stand, ohne dass die Fersen den Bodenkontakt verlieren), allerdings schreiben die Autoren, dass die Wirksamkeit in verschiedenen Studien unterschiedlich bewertet wurde, eine klare Evidenz also fehlt. Ebenso wird die Einnahme von Magnesium empfohlen, obwohl die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist. "Ein Therapieversuch sollte aber in jedem Falle unternommen werden. Magnesium führt an der Muskelmembran zu einer Stabilisierung und reduziert Aktionspotenziale, die Kontraktionen im Muskel auslösen. Viele Patienten berichten, dass es bei ihnen die Neigung zu Muskelkrämpfen lindert. Wenn es nicht überdosiert wird, ist Magnesium außerdem unbedenklich und hat keine Nebenwirkungen", so der Experte. "Aufpassen müssen lediglich Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion, sie sollten vor der Dauereinnahme mit ihrem behandelnden Nephrologen sprechen."

Wenn die Muskelkrämpfe mit diesen Maßnahmen nicht in den Griff zu bekommen sind und die Lebens- und Schlafqualität stark beeinträchtigen, sollte der Weg zum Arzt erfolgen. Er führt dann eine genaue Diagnostik durch. Erst wenn alle behandelbaren Ursachen ausgeschlossen wurden und eine Magnesiumtherapie versucht wurde, sollten bei häufigen und sehr schmerzhaften Krämpfen Chininpräparate zum Einsatz kommen, so die derzeitige Leitlinienempfehlung.

Diese könnte nun aber überholt sein. Eine aktuell in der Fachzeitschrift "MMW - Fortschritte der Medizin" publizierte multizentrische, nicht interventionelle Studie [2] bestätigte die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Behandlung mit Chininsulfat im Versorgungsalltag bei erwachsenen Patienten mit sehr häufigen oder besonders schmerzhaften nächtlichen Wadenkrämpfen. "Anzahl, Dauer und Schmerzintensität der nächtlichen Wadenkrämpfe hatten bei der Mehrzahl der Patienten abgenommen und das Nebenwirkungsprofil war tolerabel. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten bei 35/592 Patienten auf, schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen überhaupt nicht. Ich denke, es ist möglich, diese Präparate weniger restriktiv einzusetzen, als es die Leitlinien derzeit vorsehen", erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Erstautor der aktuellen Studie.


Literatur

[1] https://www.dgn.org/leitlinien/3402-030-037-crampi-muskelkrampf-2017#empfehlungen

[2] Diener H-C, Baurecht W. Chininsulfat in der Therapie nächtlicher Wadenkrämpfe: Verträglichkeit, Compliance, Lebensqualität und Einfluss auf Symptome. MMW 2019, Sonderheft 6/2019

https://www.springermedizin.de/chininsulfat-in-der-therapie-naechtlicher-wadenkraempfe-vertraeg/17244622


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dgn.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1276

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. - 22.10.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2019

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