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ORTHOPÄDIE/351: Reden statt Röntgen - Bildgebung bei Rückenschmerzen oft sinnlos (DGOU)


Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. - 14.10.2016

DKOU 2016: Reden statt Röntgen: Bildgebung bei Rückenschmerzen oft sinnlos


Rückenschmerzen sind in Deutschland der Grund für jeden fünften Fehltag am Arbeitsplatz. Bei 60 bis 80 Prozent der Patienten haben die Schmerzen keine organische Ursache. Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz empfiehlt deshalb, erst dann eine bildgebende Untersuchung wie Röntgen oder Kernspintomografie anzuordnen, wenn der Schmerz auch nach vier bis sechs Wochen nicht abklingt, die körperliche Aktivität einschränkt oder zunimmt. Wie kluge Diagnostik und Therapie bei Rückenschmerz aussieht, diskutieren Experten auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2016 vom 25. bis 28. Oktober in Berlin.

"Im Vordergrund einer guten Diagnostik bei Rückenbeschwerden steht die fachkundige Befragung des Patienten und eine sachgerechte körperliche Untersuchung", betont Professor Dr. med. Bernd Kladny, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). Bei der Erstuntersuchung ginge es hauptsächlich darum, Warnzeichen zu erkennen, die auf gefährliche Erkrankungen wie zum Beispiel einen Wirbelbruch, einen Bandscheibenvorfall mit Nervenschaden oder eine Entzündung hindeuten. Dann kann der Arzt - je nach Verdachtsdiagnose und Dringlichkeit - weitere Untersuchungen oder eine Überweisungen in fachärztliche Behandlung anordnen. "Lassen sich keine entsprechenden Hinweise feststellen, kann man bei erstmaligen akuten Schmerzen in den ersten vier Wochen zunächst nur das Symptom Schmerz behandeln und den Patienten ausführlich aufklären", sagt Kladny. In diesen Fällen helfen akut Schmerzmittel sowie Bewegung im Alltag und gezielte Übungen. Bei 80 Prozent aller Rückenpatienten klingen die Schmerzen innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen wieder ab. "Tritt nach vier bis sechs Wochen bei anhaltenden aktivitätseinschränkenden oder zunehmenden Kreuzschmerzen keine Besserung ein, ist es angeraten, den Einsatz von bildgebenden Verfahren zu überprüfen", räumt Kladny ein.

In über 90 Prozent der Fälle wird - den Vorgaben der Leitlinie entsprechend - auf eine nicht indizierte oder zu frühe radiologische Bildgebungsdiagnostik verzichtet. Das ergab eine Analyse von Versichertendaten gesetzlicher Krankenversicherungen. "Bei einem ansonsten gesunden Patienten sind Röntgen oder teure bildgebende Verfahren wie die Kernspintomografie innerhalb der ersten vier Wochen bei fehlenden Warnhinweisen nicht zielführend", betont Professor Dr. med. Heiko Reichel, einer der Kongress-Präsidenten des DKOU und Präsident der DGOOC. "Bilder allein liefern oft auch keinen konkreten Hinweis auf die Ursache der Schmerzen, sondern diese müssen immer in Zusammenhang mit der Patientengeschichte und der Untersuchung beurteilt werden". Psychosoziale Faktoren, wie Stress oder Bewegungsmangel lassen sich nämlich auf keinem Röntgenbild erkennen, betont Dr. med. Manfred Neubert, der als Kongresspräsident den Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) auf dem DKOU 2016 vertritt: "Hier sind wir auf die Selbstauskunft des Patienten angewiesen. Dafür ist das Gespräch mit dem Patienten unverzichtbar." Das Arzt-Patientengespräch wird jedoch nicht ausreichend vergütet - im Gegensatz zu den teuren Bildgebungsverfahren. Das müsste sich laut der Experten aus Orthopädie und Unfallchirurgie dringend ändern.

Im Hinblick auf spezifische Kreuzschmerzen mit ausstrahlenden Schmerzen ins Bein ist ein Bandscheibenvorfall die häufigste Ursache. Hier sind konservative Verfahren wie Schmerztherapie und Physiotherapie die Behandlungsmethoden der ersten Wahl. Bei Bedarf und in Abhängigkeit von Schwere und ambulantem Verlauf ist eine Behandlung mit intravenöser Schmerztherapie und Injektionen auch stationär möglich. Je nach Situation könne auch außerhalb von Notfallsituationen eine Operation angezeigt und sinnvoll sein, so Kladny: "Hier gilt es, gemeinsam mit dem Patienten zu entscheiden, welche Behandlungsmöglichkeit für ihn abhängig von der Befundkonstellation und dem Verlauf in seiner Lebenssituation die geeignete ist und welche Alternativen in Frage kommen". Wie Orthopäden und Unfallchirurgen gemeinsam mit dem Patienten über die optimale Behandlung entscheiden, ist Thema einer Pressekonferenz im Rahmen des DKOU 2016 vom 25. bis 28. Oktober in Berlin.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1739

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V.
Anne-Katrin Döbler, Lisa Ströhlein - Pressestelle DKOU 2016 (Thieme-PR), 14.10.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2016

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