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SPORTMEDIZIN/313: Literaturhinweis - Zwei neue Bände zur Geschichte der deutschen Sportmedizin (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 9 / 28. Februar 2017
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Zwei neue Bände zur Geschichte der deutschen Sportmedizin


Die deutsche Sportmedizin kann auf eine traditionsreiche Geschichte zurückblicken. Das Aufkommen der deutschen Sportmedizin ist eng an die Verbreitung von Bewegung, Gymnastik, Turnen und Sport in früheren Jahrhunderten gebunden. Umgekehrt haben seitdem Bewegung, Sport und körperliche Aktivität insgesamt gerade aus sportmedizinischer Perspektive einschlägige Begründungsmuster für einen gesunden Lebensstil geliefert.

Mit der weltweiten Ausbreitung des Hochleistungssports hat die (deutsche) Sportmedizin jedoch auch zwangsläufig ihr Augenmerk darauf gerichtet, wie es noch besser gelingen kann, mit Hilfe von sportmedizinischen Erkenntnissen menschenmögliche Leistungen beim Wettkampf im Sport zu verbessern. Dass dabei immer wieder auch Grenzen des Erlaubten überschritten wurden, gehört ebenso zur wechselvollen Geschichte und darf keinesfalls nur als "einsilbige Fußnote" erwähnt werden.

Der mit 400 Seiten umfangreiche und mit elf Beiträgen tief schürfende neue Sammelband über "Historische Facetten" (Untertitel) der "Sportmedizin in Deutschland" (Haupttitel) spart demnach auch das Thema Doping in der Geschichte der Sportmedizin in (West- und Ost-) Deutschland nicht aus. Zum Entstehen und zum Konzept des Bandes muss man jedoch wissen, dass es sich gemäß "Unteruntertitel" (nur) um einen "Werkstattbericht" handelt, der eingebettet ist in das vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) seit März 2015 bewilligte und geförderte Projekt zur Geschichte der Sportmedizin, das das BISp an den Münsteraner Sporthistoriker Prof. Michael Krüger und sein Team vergeben hat, zumal dort auch schon von 2009 bis 2012 das viel beachtete Forschungsprojekt zu "Doping in Deutschland" angesiedelt war.

Der Sammelband zeichnet wesentlich den Workshop zur Geschichte der Sportmedizin in Deutschland am 25. Mai 2016 in Münster mit seinen thematisch unterschiedlich akzentuierten Referaten und einem Zeitzeugengespräch nach. Bereits im Grußwort von BISp-Direktor Jürgen Fischer werden die komplexen Aufgabenfelder der Sportmedizin und ihre Entwicklung mit dem Anspruch einer "historisch-kritischen Aufarbeitung" erwähnt, deren Ergebnisse "nicht nur allein im Interesse der Sportmedizin also solches, sondern auch bundesweit im Interesse der Wissenschaft und Politik" liegen.

Nach dem Einführungs-Kapitel von Projektleiter Prof. Michael Krüger, in dem er schon auf zeithistorische Verbindungen vom wachsender Forschung an den Hochschulen als Impulse für die weitere Entwicklung der Sportmedizin verweist, folgen vier Beiträge zur "Geschichte der deutschen Sportmedizin im weiteren Kontext" (Kapitel-Überschrift), darunter befindet sich auch einer aus der Feder von Prof. Klaus-Michael Braumann (Hamburg), dem amtierenden Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), dem früheren Sportärztebund, der 1912 in Oberhof als "Deutsches Kuratorium für Sportmedizin" gegründet wurde und gleichfalls die weltweit älteste sportmedizinische Fachgesellschaft ist. Die DGSP als Verband mit besonderen Aufgaben im Deutschen Olympischen Sportbund vertritt heute die Interessen von rund 9.000 Mitgliedern.

Der Sammelband bringt im zweiten Teil insgesamt sechs sogenannte Werkstattberichte, die sich der Reihe nach mit Überlegungen zur Geschichte der Sportmedizin in Deutschland, sodann speziell mit der deutschen Sportmedizin nach 1945, der Leistungsmedizin in der bundesdeutschen Sportmedizin, den Anfängen der Sportmedizin in der DDR, mit den Aufgaben und der Arbeit des Kuratoriums für sportmedizinische Forschung von 1955 bis 1970 und schließlich mit Aufbau, Struktur und Nutzen einer in Münster erstellten Datenbank zu mit Bundesmitteln geförderten sportmedizinischen Forschungsprojekten seit 1955 beschäftigen.

Ein weiteres Highlight ist dann am Ende das auf rund 30 Seiten verschriftlichte (öffentliche) Zeitzeugengespräch mit Prof. Michael Krüger als Moderator, wo Prof. Wildor Hollmann (früher Deutsche Sporthochschule Köln), Prof. Dirk Clasing (früher Institut für Sportwissenschaft der Uni Münster) und Dr. Dieter Schnell (Sportarzt u.a. der Olympiamannschaft von 1968 bis 1976) prominente Fachkräfte aus der Sportmedizin in Deutschland im Sinne von "Oral History" ihr berufsbiografisches Wissen und Wirken auf dem Gebiet der Sportmedizin in Erinnerung rufen.

Geschichten der Medizin

Zum zweiten neuen Buch: Wenn in einem Band zur Geschichte und mit Geschichten der Medizin speziell auch die Sportmedizin vertreten ist, dann kann man daraus per se schon Exzellenz ablesen und auf den hohen Stellenwert der Sportmedizin im Gesamt der Medizin schließen. Für das jetzt als Band 3 mit "Geschichte(n) der Medizin" erschienenes Buch, das sich ausdrücklich als ein populärwissenschaftliches Werk versteht, das für Mediziner wie für Laien gleichsam interessant sein soll, gilt das insofern, als hier auch ein Beitrag enthalten ist, in dem von einem Arzt die Rede ist, "der Leibesübungen verordnete und Bäume pflanzte" (so ein Teil des Titels).

Wer damit gemeint ist? Klar doch: Prof. August Bier (1861-1949), der langjährige Leiter der Chirurgischen Klinik der Berliner Universität in der Ziegelstraße, der mit seinen mehr als 5.00 Operationen auch als "Titan der Chirurgie" bezeichnet wurde und von 1920 bis 1932 (erster) Rektor der Deutschen Hochschule für Leibsübungen in Berlin (auf dem Gelände des heutigen Olympiaparks) war und hier "der jungen Sportwissenschaft und der Sportmedizin starken Anschub" gab, wie der Verfasser des Beitrags Manfred Nippe schreibt, der selbst früher als Abteilungsleiter beim Landessportbund Berlin ganz in der Nähe von Bier gewirkt hat.

Der Band zur Geschichte der Medizin lohnt nicht nur wegen des Aufsatzes von Manfred Nippe über August Bier. Er verdient auch wegen anderer Beiträge, Themen und "großer" Namen der Medizin Aufmerksamkeit: U.a. findet der südafrikanische Herzchirurg Christiaan Barnard genauso Beachtung mit einem Aufsatz wie die revolutionäre Entdeckung eines Willem Einthoven sowie der Hamburgerin Rahel Liebeschütz-Plaut, die erste habilitierte Physiologin in Deutschland 1923, die später vor den Nationalsozialisten nach England fliehen musste und später im Alter von 95 Jahren 1989 zur 100-Jahrfeier an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf als Ehrengast zurückkehrte. Manfred Nippe widmet sich in seinem lesenswerten Beitrag nicht nur der beruflichen Station von August Bier als "Rektor der ersten Sporthochschule" (Kapitel-Überschrift) auf dem Geländes des damaligen "Deutschen Stadions", der Vorläufersportstätte des Olympiastadions in Berlin. Der Autor gibt umfassende Einblicke in das Schaffen und Leben von Bier, der "Sport als Teil der Heilkunst" verstand. Schon als Arzt der Lungenheilstätte Hohenlychen hatte Bier den Patienten auch Sport und Gymnastik verordnet. Dabei berief er sich auf die Heilkunst der Griechen und insbesondere: "Plato sagt, die Gymnastik sei wichtiger als die Heilkunst, sie mache die Krankenbehandlung überflüssig". Biers Nachfolger an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen war 1932 Prof. Ferdinand Sauerbruch (1875-1951).


Michael Krüger (Hrsg.):
Sportmedizin in Deutschland: Historische Facetten
Ein Werkstattbericht. Hildesheim 2016: arete. 396 Seiten; 29,95 Euro

Oliver Erens und Andreas Otte (Hrsg.):
Geschichte(n) der Medizin
Band 3. Stuttgart 2017: Alfons W. Gentner Verlag. 208 Seiten; 38 Euro

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 9 / 28. Februar 2017, S. 24
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2017

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