Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FACHMEDIZIN

SPORTMEDIZIN/243: Bericht vom Internationalen Hamburger Sport-Kongress am 5.-7.11.2010 (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2010

Sportmedizin
Schnell verfügbar und wirksam: Das "Therapeutikum Sport"

Von Horst Kreussler


Experten schlagen vor, Sport und Bewegung als Reha-Maßnahme zu verordnen. Ein Bericht vom Internationalen Hamburger Sport-Kongress.


Auch der nunmehr 5. Internationale Hamburger Sport-Kongress hatte eine ganze Reihe von Berührungspunkten mit Gesundheitswissenschaften und Medizin. Eingangs skizzierte der Altmeister der norddeutschen Zukunftsforscher, Prof. Horst Opaschowski (Börnsen/Elbe), die neuen Zukunftstrends, die tendenziell wohl eher als gesundheitsfördernd zu bewerten seien: mehr Leistungsfreude in der jüngeren Generation, eher Wohlergehen als Wohlstand angestrebt, eine Renaissance der Familie (Trendwende bei der bisherigen Zunahme Alleinstehender), Stärkung der Gruppen- und Genossenschaftsidee bis hin zu Senioren, die aus einem Altenheim im Kreis Herzogtum Lauenburg in eine gemeinsame Villa umzogen. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde nicht exponentiell steigen.

Passend zum Veranstaltungsmonat November erläuterte Dr. Herbert Mück (Köln), warum Sport bei Angst und Depression wirksam helfen kann. Die Epidemiologie sei beachtlich: 14 Prozent der Deutschen entwickelten in einem Jahr eine Angststörung, etwa elf Prozent eine depressive Störung, sagte der niedergelassene Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit Sportmedizin. Eine (leichte) depressive Verstimmung kenne heutzutage praktisch jeder, und im Alter sei eine Dysthymie, eine leichte, langfristige depressive Verstimmung, häufig zu beobachten.

Welche Art Bewegung hilfreich ist, sei nicht klar abzugrenzen. 144 Studien zum Thema Sport und Depression seien ihm bekannt, davon 23 kontrollierte Studien, aber nur etwa drei wissenschaftlich anspruchsvolle. Die Ergebnisse legten einen deutlich positiven Effekt nahe, der aber nicht mit der Medikation (Antidepressiva) oder etwa der kognitiven Verhaltenstherapie vergleichbar sei. Es zeige sich immerhin, dass sehr verschiedene Bewegungsarten hilfreich seien, auch Dehnübungen, rhythmische Übungen und sogar Krafttraining, besonders wohl bei intensiver Selbstbeobachtung (ähnlich auch ein weiterer Referent, Dr. Stefan Ueing aus Bayern). Beim klassischen Walking oder Joggen in der Gruppe sei bereits das Verlassen des Hauses bzw. der Gruppeneffekt positiv. Zentral sei die Überwindung von Hilflosigkeitsgefühlen durch selbst gewählte Bewegung. Wie der Sport biochemisch wirke, sei nicht abschließend geklärt; ein Rolle spielten hierbei stärkere Hirndurchblutung, die Stimulierung von Botenstoffen, die Freisetzung von Endorphin und Serotonin bei Dämpfung von Stresshormonen wie Cortisol, das Wachstum von Nervenzellen und viele andere Faktoren.

Sport sei jedoch kein kausales Allheilmittel bei psychischen Beeinträchtigungen: "Einen gravierenden Beziehungskonflikt kann man nicht "wegjoggen". Umgekehrt sei aber nicht bekannt, dass (viel) Sport depressiv machen könne - die bekannt gewordenen Spitzensportler seien nicht durch den Sport selbst, sondern durch ungünstige Umstände krank geworden. Vorteil des Therapeutikums "Sport" sei die schnelle Verfügbarkeit und Wirkung, während Psychotherapie nicht so schnell wirke. Daher hoffe er, so der Referent abschließend, dass Sport als Reha-Maßnahme generell verschrieben werden dürfe.

Zu vielen praktischen Demonstrationen ein Beispiel: Dozent Volker Nagel vom Hamburger Universitätsinstitut für Bewegungswissenschaften zeigte, dass Ballspiele, Gleichgewichts- und Geschicklichkeitsübungen alternde Menschen umfassend reaktionsschneller machen und einen hohen gesundheitlichen Präventionswert nicht nur im Sinne der Sturzprophylaxe haben können. Professionelle Seniorensportkurse seien grundsätzlich empfehlenswert. Stichworte: Jonglierübungen mit Tennisbällen, Bewegen im weichen Sand (am Strand), nicht gegen die, sondern mit der Schwerkraft arbeiten; Umsicht im Straßenverkehr simulieren (Raumblick und konzentrierter Blick), Tanzen, Skilanglauf für Ausdauer und Gleichgewicht, bei (Sturz-)Gefahr nachgiebig agieren, Schwerpunkt vorher nach unten verlagern.


*


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201012/h10124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


*


Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2010
63. Jahrgang, Seite 77
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de

Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2011