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UMWELT/192: Grundlagen zur Lyme-Borreliose (umwelt-medizin-gesellschaft)


umwelt · medizin · gesellschaft - 2/2009
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

Grundlagen zur Lyme-Borreliose

Von Rüdiger von Baehr


Die Lyme-Borreliose ist in Mitteleuropa und Nordamerika die am häufigsten durch Zeckenstich übertragene Infektionserkrankung. Erreger ist das Bakterium Borrelia burgdorferi. Erregerreservoir sind Wildtiere, besonders Mäuse. Vektoren sind Zecken, da diese für ihre Entwicklung auf Blutmahlzeiten angewiesen sind. Die Übertragung von Borrelia burgdorferi erfolgt durch den Stich von mit Borrelien infizierten Zecken. Diese Infektion ist fakultativ pathogen. an einer Borreliose können Menschen und Haustiere erkranken (Anthropozoonose). Die Lyme-Borreliose ist eine akut entzündliche Erkrankung, die alle Organsysteme befallen und auch chronisch persistierend verlaufen kann.

Schlüsselwörter: Borrelia burgdorferi, Lyme-Borreliose, Zecken, Naturherd, Immunabwehr, Prävention


Historische Entwicklung des Wissens zur Borreliose

Die Beschreibung der Erkrankung und die Entdeckung des Erregers

Nach umfangreichen prospektiven klinisch-epidemiologischen Studien in der Umgebung von Lyme/Connecticut beschrieben Steere und Mitarbeiter im Jahr 1977 eine "neue" Erkrankung, die sie als "Lyme disease" bezeichneten (1). Man hatte festgestellt, dass sich am Ort eines Zeckenstiches nach wenigen Wochen ein migrierendes Erythem ausbilden kann und bei diesen Patienten danach signifikant gehäuft neurologische, kardiale oder arthritische Folgeerkrankungen auftreten. Wegen dieses multisystemischen Verlaufes wurde der Begriff Lyme-Krankheit gewählt. Die gleiche Arbeitsgruppe teilte später mit, dass diese Krankheit effektiv mit Antibiotika behandelt werden kann (2). Daraus ergab sich die logische Schlussfolgerung, dass die Lyme-Krankheit sehr wahrscheinlich eine von Zecken übertragene bakterielle Infektionserkrankung ist.

Unabhängig davon fand der Mikrobiologe Willy Burgdorfer bei Untersuchungen der Hämolymphe von Zecken (Ixodes dammini) Mikrofilarien und im Darm Spirochäten. Diese konnte er auch in Ausstrichen von in der Schweiz gesammelten Ixodes ricinus nachweisen. Zusammen mit Barbour gelang es ihm, diese Spirochäten in einem Flüssigmedium in Reinkultur anzuzüchten und damit die Voraussetzungen für serologische Untersuchungen und Tierversuche zu schaffen. In Kaninchen wurde nach Übertragung der isolierten Spirochäten das Erythema migrans beobachtet (3). In einer gemeinsamen Publikation mit der Arbeitsgruppe von Steere (4) wurde 1983 nachgewiesen, dass die von Burgdorfer isolierte Spirochäte der Erreger der Lyme Krankheit ist. Gleichzeitig konnten erstmals auch im Blut von Patienten mit Lyme Krankheit Spirochäten nachgewiesen werden (5).

Nach mikrobiologisch-taxonomischen Untersuchungen wurde die von Burgdorfer entdeckte Spirochäte als neue Borrelienspezies anerkannt und ihm zu Ehren als Borrelia burgdorferi bezeichnet (6).

In Europa waren Krankheitsbilder, die mit der Lyme Krankheit
assoziiert sind, bereits lange zuvor beschrieben worden:

1909: Erythema migrans von Afzelius (7)
1924: Acrodermatitis chronica atrophicans-ACA von Jessner und Löwenstamm (8)
1943: Lymphadenosis benigna cutis-Lymphozytom von Bäfverstädt (9)

Dass diese Erkrankungen nach Zeckenstichen auftreten, war ebenfalls bekannt.

Ab 1946 finden sich mehrere Publikationen über die erfolgreiche Behandlung von ACA, Erythema migrans und Lymphozytom mit Penicillin.

1983 fand die erste internationale Konferenzen zur Lyme Krankheit an der Yale Universität statt (10). Hier einigte man sich auf die Krankheitsbezeichnung Lyme Borreliose. Seitdem finden solche internationalen Konferenzen regelmäßig abwechselnd in den USA und Europa statt.


Die Entwicklung der serologischen Diagnostik

Die serologische Diagnostik zum Nachweis von borrelienspezifischen IgM- und IgG-Antikörpern entwickelte sich seit 1983 über den indirekten Immunfluoreszenz mit kulturell gezüchteten Borrelien, den passiven Hämagglutinationstest und die Komplementbindungsreaktion bis zum heute überwiegend eingesetzten Enzymimmunoassay. Erst mit der Einführung des Westernblot (Immunoblot) wurde durch die elektrophoretische Auftrennung der Borrelienproteine des Bakterienlysates erreicht, borrelienspezifische und -unspezifische Antikörper sicher zu unterscheiden. Damit konnte der Immunoblot als Bestätigungstest für auffällige Suchteste (Immunfluoreszenz- bis Enzymimmunoassay) eingesetzt werden. Mit der Entwicklung der Gentechnologie war es dann möglich, rekombinante Borrelienproteine isoliert herzustellen und Bakterienlysate als Antigenquelle für den Enzymimmunoassay und Westernblot mehr und mehr abzulösen. Der Westernblot-Test wird wegen der Verfügbarkeit von immer mehr rekombinanten Antigenen gegenwärtig z.T. durch den Immuno-Line-Test, wobei die einzelnen Antigene reproduzierbar aufgesprüht werden, ersetzt. Die serologische Diagnostik der Borrelieninfektion hat sich besonders nach der Verfügbarkeit von rekombinanten Borrelienproteinen, die erst im Wirt exprimiert werden (z.B. VlsE) während der letzten 5 Jahre deutlich verbessert.


Entwicklung von Methoden zum Erregernachweis

Der Erregernachweis mittels Kulturverfahren war in seinen En twicklungsmöglichkeiten von vornherein begrenzt. Auch der später eingeführte Nachweis borrelienspezifischer DNA mittels Polymerasekettenreaktion (Borrelien-PCR) hat für Steigerung der Sensitivität des direkten Borreliennachweises bisher keinen Durchbruch gebracht, da die Erregerdichte in dem infizierten Organismus mit fortschreitender Infektionsdauer meist nur gering ist.


Die antibiotische Behandlung

Für die antibiotische Behandlung der Borreliose stehen heute neben dem anfänglich benutzten Penicillin weitere Alternativen wie Tetrazykline, Cephalosporine und Makrolide zur Verfügung[1].

[1] s.a. den Beitrag von Berghoff ab S. 125 dieser Ausgabe


Entwicklung einer Borrelienvakzine

Für die Immunprophylaxe der Borrelieninfektion wurde eine Borrelienvakzine für die USA von der deutsche Arbeisgruppe um Simon, Wallich und Kramer entwickelt (11), erfolgreich klinisch geprüft (12) und bereits 1998 durch die Prüfbehörde FDA unter dem Namen Lymerix zugelassen. Der Impfstoff bestand aus einem rekombinanten OspA-Protein von B. burgdorferi sensu stricto. Es wurde dann festgestellt, dass dieses Protein eine kurze Sequenz enthält, die auch in dem LFA1- (leucocyte function-associated antigen-1) Protein auf der Oberfläche von menschlichen Leukozyten vorhanden ist (13). Darauf gründete sich der Verdacht, dass gelegentliche Nebenwirkungen der Impfung auf durch die Vakzine induzierten Autoimmunreaktion gegen LFA1 beruhen. Ein Beweis für diese Hypothese konnte allerdings bisher nicht erbracht werden. Wegen einer in den öffentlichen Medien geführten Kampagne gegen diesen Impfstoff sah sich der Hersteller jedoch veranlasst, Lymerix vom Markt zu nehmen, obwohl die FDA nach umfangreicher Prüfung der Reklamationen keine Veranlassung sah, die Zulassung von Lymerix aufzuheben. Die Entwicklung einer für Europa geeigneten trivalenten OspA-Borrelienvakzine wurde nach den Erfahrungen in den USA trotz eines weit fortgeschrittenen Entwicklungsstadiums vom Produzenten ebenfalls eingestellt.


Zum Erreger der Borreliose

Borrelien sind Gram-negativ, mikroaerophil und spiralförmig, weisen aber nur wenige Windungen auf (Länge ca. 20 µm, Breite 0,2 µm). Sie gehören zur Familie der Spirochaetaceae mit den weiteren Gattungen Treponema und Leptospira (Übersicht s. 14).

Borrelien (benannt nach dem Bakteriogen Borell) wurden bereits 1907 erstmals beschrieben und als Erreger des Rückfallfiebers (z.B. B. recurrentis - Läuserückfallfieber; B. duttoni - Zeckenrückfallfieber) und einer Reihe von veterinärmedizisch relevanten Spirochätosen erkannt.

Nach der Entdeckung von Borrelia burgdorferi sensu stricto wurden in Europa weitere verwandte Borrelienspezies wie B. afzelii, B. garinii, B. valaisiana, B. lusitaniae und B. spielmani beschrieben, die einen eigenen Komplex (B. burgdorferi sensu lato) innerhalb der Gattung Borrelia darstellen.

Während in Nordamerika nur B. burgdorferi sensu stricto als Erreger der Borreliose vorkommt, sind es in Europa zusätzlich die Spezies B. afzelii und B. garinii, während die anderen drei Arten bisher nur in Einzelfällen bei Patienten mit klinischer Borreliose nachgewiesen wurden.

Die Struktur der Borrelien entspricht einem korkenzieherartig gewundenem dünnen Zylinder, der von einer flexiblen trilamellären Membran umgeben ist. Auf dieser Membran befindet sich eine mukoide Oberflächenschicht, aus einer Reihe von Kohlenhydratverbindungen bestehend, die zum Teil immunogen sind und eine große Bedeutung für die Erkennung der Borrelien durch Rezeptoren (z.B. Toll like Rezeptoren) von phagozytierenden Zellen und weiteren Elementen der unspezifischen Infektionsabwehr haben. Eingelagert in diese Schicht sind eine Reihe von immunogenen Oberflächenproteinen, in der Reihenfolge ihrer Entdeckung von OspA bis OspF bezeichnet. Zwischen den Lamellen der Zellmembran befindet sich der periplasmatische Raum mit längsgerichteten kontraktionsfähigen Endoflagellen, die (ähnlich Muskelfasern) für die extreme Beweglichkeit dieser Bakterien, auch in einer relativ dichten Umgebung (kreisend wie ein Korkenzieher) verantwortlich sind. Die Membran umhüllt den protoplasmatischen Raum bzw. Zylinder mit einem linearen Chromosom und einer großen, von Isolat zu Isolat wechselnden Anzahl von ringförmigen und linearen Plasmiden.

Über ihre Oberflächenproteine realisieren Borrelien Wechselwirkungen mit Zellen und Proteinen der Bindegewebsmatrix in ihrer Umgebung (z.B. Decorin-bindendes Protein). Mit OspA binden diese Bakterien an Epithelzellen des Zeckendarmes. Nach dem Zeckenstich und Kontakt mit Blut wird OspA herunter- und OspC heraufreguliert. Die Borrelien lösen sich vom Zeckendarm und gelangen über die Hämolymphe in die Speicheldrüsen und deren Sekret in den Wirt.

Osp-Proteine sind sehr heterogen. Die OspA-Typen bestimmen die Spezies, ihnen zugeordnet sind jeweils eine Mehrzahl verschiedener OspC-Typen. Die Heterogenität nahezu aller für Borrelien spezifischen Proteinantigene stellt für die Standardisierung des diagnostischen Nachweises borrelienspezifischer Antikörper ein bisher nicht gelöstes Problem dar.

Da sich die Expression dieser Proteine unter verschiedenen Einflüssen der Umgebung ebenfalls sehr dynamisch verhält, können sich Borrelien mit zunehmender Infektionsdauer der Immunabwehr des Wirtes immer besser entziehen.

Unter Stress (z.B. Einwirkung von Antibiotika) bilden sich, besonders gut in vitro zu verfolgen, aus spiralförmigen Borrelien membrandefekte Zysten, die sich unter optimaleren (antibiotikafreien) Bedingungen wieder in vegetative Formen zurückbilden können. Borrelien können intrazellulär und in bradytrophen, wenig durchbluteten Geweben wie Fascien, Bändern und Sehnen persistieren. Hier sind sie gegen Mechanismen der Immunabwehr und ggf. auch Antibiotika relativ gut geschützt.

Borrelien lassen sich in vitro unter mikroaerophilen Bedingungen in ausgewählten Nährmedien bei 30-34°C anzüchten. Die Generationszeit beträgt dabei 12 bis 24 Stunden, was für den diagnostisch-kulturellen Nachweis eine Kulturdauer von 3 bis 6 Wochen erfordert und Untersuchungen von Isolaten hinsichtlich der Wirksamkeit verschiedener Antibiotika sehr erschwert.


Zecken als Vektor für Borrelien

Zecken sind Spinnentiere (Arachnida) und hämatophage Ektoparasiten. Von den in Mitteleuropa heimischen zahlreichen Zeckenarten nimmt als potentieller Krankheitsüberträger die Schildzecke Ixodes ricinus (gemeiner Holzbock) eine dominierende Stellung ein, da sie an nahezu allen heimischen Wirbeltierarten parasitieren kann und deshalb eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Übertragung pathogener Mikroorganismen auf den Menschen und Haustiere besteht (Übersicht s. 15). Neben Borrelien können Zecken das FSME-Virus (Zeckenencephalitis), aber auch Ricketsien, Babesien, Ehrlichien und Anaplasmen übertragen. Auch Koinfektionen sind möglich. Die Borreliose ist jedoch in Europa und Nordamerika die weit am häufigsten durch Zecken übertragene Infektionskrankheit.

Ixodes ricinus ist unter den mittel- und nordeuropäischen klimatischen Bedingungen weit verbreitet. Die Entwicklung der Zecken verläuft über Eier zu Larven (Durchmesser 0,5 mm), von diesen zu Nymphen (1mm) bis zu adulten Zecken (ca. 1,5 mm), deren Weibchen nach Befruchtung wieder bis zu 2000 Eier absetzen können. Larven und Nymphen benötigen für die weitere Reifung jeweils eine Blutmahlzeit, ebenso adulte weibliche Zecken zur Bildung der Eier (s. Abb.1).

Der Zeitraum eines Zyklus vom Ei bis zur Eiablage der adulten Zecke beträgt, abhängig von den Witterungsbedingungen, ca. 18 Monate bis 3 Jahre, da Zecken nur ab einer Umgebungstemperatur von über 7°C aktiv, d.h. auf Wirtssuche sind und sonst in den oberen Bodenschichten persistieren. Zur Wirtssuche begeben sich die Zecken aus dem Boden auf Grashalmen, Kräutern und Büschen in eine Wartestellung bis sie sich von Wirtstieren bzw. Menschen abstreifen oder auf diese fallen lassen. Larven befinden sich besonders bodennah, Nymphen bis zu 30 cm und Adulti bis zu 80 cm über dem Grund. Am Wirtstier bewegen sie sich an eine zum Blutsaugen geeignete Stelle, fixieren sich dort mit sog. Chelizeren in der Haut und durchstechen diese mit dem Hypostom, sezernieren dabei einen anästhesierenden, gerinnungs- und entzündungshemmenden, zytolytischen Speichel. Blut, Lymphe und Gewebesäfte werden durchmischt mit Speichel in den Zeckendarm angesaugt, regurgitiert und wieder angesaugt. Auf diese Weise bildet sich unter dem Hypostom ein kleiner subdermaler Blutsee. Die Übertragung von Mikroorganismen (z.B. Borrelien) kann in beide Richtungen erfolgen, auf den Wirt über den abgesonderten Speichel, auf die Zecke über das angesaugte Blut. Der Saugvorgang dauert bis zu mehrere Tage.

Die Infektionswahrscheinlichkeit erhöht sich für den Wirt mit zunehmender Saugdauer. Wenn der Saugvorgang abgeschlossen bzw. die Zecke mit Blut gefüllt ist, löst sie sich vom Wirt und fällt auf den Boden. An größeren Wildtieren (z.B. Rehwild) sind im Kopf- und Halsbereich eine Vielzahl prall mit Blut gefüllter Zecken zu beobachten. Sie bilden zusammen mit Wildtieren (vor allem Mäusen) mehr oder weniger ausgedehnte Naturherde für die Infektion von Mensch und Haustieren. Solche Naturherde sind besonders feuchte (Zecken sind gegenüber Austrocknung sehr empfindlich), schattige Wald- und Buschregionen in der Umgebung von Seen oder entlang von Wasserläufen. Eine hohe Dichte von Zecken findet sich meist an schattigen Wildpfaden durch hohes Gras, Büsche und Unterholz.

Der Klimawandel mit Erwärmung der Erdatmosphäre führt zwangsläufig dazu, dass sich die aktive Phase (Wirtsuche) der Zecken verlängert und damit die benötigte Zeit für einen Zyklus vom Ei bis zur adulten Zecke verkürzt. Von Zecken übertragene Infektionen sind deshalb schon jetzt auch im Spätherbst und bei milden Temperaturen auch im Winter möglich.


Die Immunologie der Borrelieninfektion

Die klinische Manifestation einer Borrelieninfektion und der Verlauf der Borreliose werden von dem jeweiligen Borrelienstamm und dem Wirt, d.h. der individuellen Reaktionsfähigkeit des Immunsystems bestimmt.

Die Haut als wichtiger Oberflächenschutz gegenüber Mikroorganismen wird bereits durch den Zeckenstich überwunden. Im Unterhautgewebe findet zunächst die Auseinandersetzung der Borrelien mit Mechanismen der unspezifischen Infektionsabwehr des Makroorganismus statt. Das antiinflammatorisch wirkende Sekret der Zecken hemmt zunächst die Invasion von Leukozyten in das Einstichgebiet. Zum Teil sind Borrelien in der Lage, durch Bindung regulatorischer Komplementfaktoren an CRASP- und Erp-Proteine der lytischen Wirkung des Komplements zu entgehen (17). Hinzu kommen Modulationen der Oberflächen- (Osp-) Proteine, am auffälligsten die Herunterregulation von OspA und starke Expression von OspC [2].

[2] Übersichten zu den Überlebensstrategien von Borrelien im Wirt und zur spezifischen Immunabwehr s. Nachweise 14 und 16

Nur wenn es den Borrelien gelingt, die unspezifische Infektionsbarriere zu überwinden, vermehren sie sich zunächst am Ort der Übertragung und wandern von hier aus kreisförmig in die umgebende Unterhaut aus. Bereits wenige Tage bis ca. vier Wochen nach der Primärinfektion bildet sich oft, aber nicht obligat das sog. Erythema migrans (histologisch lympho-monozytäre Infiltration mit eingelagerten Spirochäten). Dieses dehnt sich über mehrere Wochen kreisförmig um die Einstichstelle aus, wobei der Rand des Hofes meist deutlich gerötet ist und das Zentrum sich mehr und mehr aufhellt. Bereits während dieser Frühphase kann eine systemische Ausbreitung der Infektion über das Blut oder die Lymphe erfolgen.

Mit der Vermehrung der Borrelien steigt die Konzentration immunogener Proteine (Borrelienantigene) an. Dendritische Zellen der Haut nehmen diese Antigene auf und wandern in die regionalen Lymphknoten. Hier erfolgt die Antigenpräsentation gegenüber jungfräulichen T-Helferzellen und von diesen ausgehend eine antigenspezifische Aktivierung weiterer Lymphozytensubpopu lationen, unter anderen der B-Lymphozyten mit nachfolgender Synthese von zunächst borrelienspezifischen IgM- und später IgG-Antikörpern. Bis zum eindeutig positiven Antikörpernachweis (Serokonversion) können 14 Tage bis mehrere Wochen post infectionem vergehen. Auch seronegative Verläufe sind beschrieben. Anfangs kommt es zu einem Anstieg der IgM-Antikörper gegen das Flagellenprotein p41, dieses ist nicht borrelienspezifisch, sondern kreuzreagierend mit Flagellen anderer Bakterienspezies. Das borrelienspezifische Majorantigen für frühe IgM-Antikörper ist das OspC-Oberflächenprotein. Mit fortschreitender Infektionsdauer kommen weitere mehr oder weniger borrelienspezifische IgM- und IgG-Antikörperspezifitäten hinzu. Für die serologische Diagnostik ergibt sich daraus die wichtige Schlussfolgerung: Ein Patient, in dessen Blutserum borrelienspezifische Antikörper festgestellt werden, muss irgendwann mit Borrelien infiziert worden sein. D.h., Borrelien müssen sich in ihm, zumindest für eine begrenzte Zeit, vermehrt haben.

Antikörper gegen Oberflächenproteine (OspA bis -F) wirken auf Borrelien potentiell bakteriolytisch, entweder über Komplementaktivierung (diese wird aber wie oben ausgeführt durch einige Borrelienstämme gehemmt) oder durch eine antikörpervermittelte zelluläre Bakteriolyse (antibody-dependent cellulare cytotoxicity = ADCC) durch Makrophagen und besonders NK-Zellen.

Mit Serum von immunisierten Mäusen kann eine experimentelle Borrelieninfektion bei suszeptiblen Labormäusen verhindert werden (positiver passiver Infektionsschutzversuch). Eine bereits manifeste Borrelieninfektion ist mit solchen Immunsera jedoch meist nicht zu beseitigen (negativer passiver Infektionstherapieversuch). Das bedeutet, Borrelien sind offensichtlich in der Lage, sich durch Modulation ihrer Oberflächenantigene der spezifischen Immunabwehr des Wirtes zu entziehen. Da die Oberflächenproteine der Borrelien von Plamidgenen kodiert werden, ist eine solche Modulation leicht möglich.

Eine wichtige Schlussfolgerung könnte sein, dass Patienten mit einer verzögert einsetzenden spezifischen humoralen Immunantwort oder/und eingeschränktem Repertoire von borrelienspezifischen Antikörpern besonders für systemische Manifestationen und chronische Verläufe der Borreliose disponiert sind. Dafür sprechen Ergebnisse von Paralleluntersuchungen der Borrelienserologie sowie dem kulturellen oder PCR-Nachweis von Borrelien im Blut, Liquor und Gelenkpunktaten bei klinisch an Neuroborreliose, Lyme Arthritis und Erythema migrans erkrankten Patienten. Borrelien konnten überwiegend bei jenen Patienten nachgewiesen werden, in deren Serum keine oder nur geringe Titer borrelienspezifischer Antikörper zu finden waren (18).

Es ist gesichert, dass eine einmal erworbene Infektion keine sichere Immunität gegenüber weiteren klinisch relevanten Borrelieninfektionen vermittelt. Die oben aufgeführte erfolgreiche Entwicklung einer Borrelienvakzine steht in keinem Widerspruch dazu. Als Impfantigen wurde hier Borrelien-OspA eingesetzt. Damit werden in der geimpften Person Anti-OspA-Antikörper induziert. Diese werden mit dem Blut in den Zeckendarm angesaugt und inaktivieren bereits hier vorhandene Borrelien, da diese OspA stark exprimieren. Damit wird bereits die Übertragung der Borrelien auf den Geimpften blockiert (19). Dieses ist eine besondere Form des Impfschutzes, der nur bei Infektionen über hämatophage Ektoparasiten möglich ist. Nach Übertragung der Borrelien auf den (nicht geimpften) Wirt ist aber OspA herunterreguliert. Anti-OspA-Antikörper treten deshalb nicht häufig auf, und somit wird dieser Weg des Schutzes vor weiteren Borrelieninfektionen meist nicht wirksam.


Zur Epidemiologie der Borrelieninfektion

Eine Meldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz existiert in Deutschland bisher nicht. Nur in den neuen Bundesländern besteht eine Meldepflicht nach Falldefinitionen für ausgewählte Manifestationen der Borreliose auf der Basis von Verordnungen der einzelnen Bundesländer.

Die gründlichsten Analysen liegen zum Land Brandenburg vor. Es zeigte sich eine kontinuierliche Zunahme der Inzidenz seit 1997 von 20 bis auf 72 Fälle/100.000 Einwohner im Jahr 2003. Die Inzidenz von gemeldeten Erkrankungen wurde hier für einen Landkreis bis auf einzelne Ämter und Gemeinden aufgeschlüsselt. Es zeigte sich dabei eine Streuung von 16 bis zu 300 Erkrankungsfällen pro 100.000 Einwohner und Jahr in wald- und wasserreichen Regionen (21). Stichprobenartige Untersuchungen in den alten Bundesländern ergaben Inzidenzen bis zu jährlich 100 Fällen/100.000 Einwohner. Mehr als 80 % der gemeldeten Erkrankungen betreffen das Erythema migrans. Es folgen die Arthritis und Formen der akuten Neuroborreliose, selten die ACA und die Carditis. Die höchsten Inzidenzen in Europa wurden schon 1995 aus Südschweden (70 F.), Slowenien (120 F.) und Österreich (130 Fälle/100.000 Einwohner) gemeldet (Zitat in 22).

Bei 499 Waldarbeitern wurde in Brandenburg eine Seroprävalenz (IgG-Antikörper) von 29 % ermittelt, nur 10,2 % gaben anamnestisch Erkrankungen an, die einer Borreliose zugerechnet werden können (21).


Wie kann einer Lyme-Krankheit heute vorgebeugt werden?

Da eine Impfprophylaxe mit einer Borrelienvakzine gegenwärtig noch nicht zur Verfügung steht und eine Zeckenbekämpfung durch Einsatz von Insektiziden ökologisch nicht vertretbar ist, kann z.Z. einer durch Zecken übertragenen Infektion nur durch Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen, die einen Zeckenbefall erschweren, vorgebeugt werden.

Aufklärung der Bevölkerung über Ursachen und Gefahren der Borreliose
Dieses betrifft besonders Risikoberufe innerhalb der Land- und Forstwirtschaft sowie Personen, die innerhalb von möglichen Naturherden wohnen oder in der Freizeit durch ihre Hobbies einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind (Jäger, Angler, Camper, Hobbygärtner, Naturfreunde, Pilzsammler, Hundebesitzer). Eine sehr wichtige Infektionsquelle ist der Hausgarten !!
Absuchen der Haut nach Zecken und ggf. sachgemäße Entfernung derselben nach Aufenthalt in Risikogebieten. Dieses gilt ganz besonders für Kinder!!
Anwendung von Repellentien für die Kleidung und Haut vor Aktivitäten, die mit einem erhöhten Risiko für Zeckenstiche verbunden sind.
Beim Bemerken von persistierenden umschriebenen Hautrötungen sollte umgehend der Hausarzt aufgesucht werden, um eine frühzeitige antibiotische Behandlung des möglichen Erythema migrans zu gewährleisten.

Von großer gesundheitspolitischer Bedeutung ist, dass die unterbrochenen Entwicklungen und Erprobungen von Borrelienimpfstoffen wieder aufgenommen und damit möglichst bald, zumindest für Personen mit einem erhöhten Infektionsrisiko, verfügbar werden.


Verwendete Abkürzungen:

ACA (Acrodermatitis chronica atrophicans)
B. (Borrelia)
IgG (Immunglobulinklasse G)
IgM (Immunglobulinklasse M)
NK-Zellen (natürliche Killerzellen)
OspA bis F (Outer surface protein A - F)
P41 (Borrelienprotein mit Molekulargewicht von 41 kD)
VlsE (Variable major protein like sequence Expressed


Nachweise

(1) STEERE AC, MALAVISTA SE, HARDIN JA et al. (1977): Erythema chronicum migrans and Lyme arthritis: The enlarging clinical spectrum. Ann Intern Med. 86: 685-698.

(2) STEERE AC, MALAVISTA SE, NEWMAN JH et al. (1980): Antibiotic therapy in Lyme disease. Ann Intern Med. 93: 1-8.

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(10) STEERE AC, MALAVISTA SE et al. (1984): First International Symposium on Lyme disease. Yale J Biol Med. 54: 445-471.

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(20) HAYES EB, PIESMAN J. (2003): How can we prevent Lyme disease? New Engl J Med. 348: 2424-2430.

(21) ROBERT KOCH-INSTITUT (Hrsg.)(2005): Zur Lyme-Borreliose im Land Brandenburg. RKI Epid Bull. 20/2005: 173-178.

(22) MEHNERT MH, KRAUSE G (2005): Surveillance of Lyme borreliosis in Germany, 2002 and 2003. Euro Surveill. 10: 83-85.


Kontakt:
Prof. Dr. med. Rüdiger von Baehr
Institut für Medizinische Diagnostik-Berlin
Nicolaistr. 22
12247 Berlin
prof.vbaehr@imd-berlin.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Abb. 1: Der Vermehrungszyklus der Zecke verläuft vom Ei über Larve und Nymphe bis zur eiablegenden adulten Zecke. Dazu benötigen Larven, Nymphen und Adulti jeweils eine Blutmahlzeit von Tieren oder Menschen. Während des Saugaktes werden Krankheitserreger (z.B. Borrelien, FSME-Virus u.a.) gegenseitig übertragen (s. Pfeilrichtungen).


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Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft Nr. 2/2009, (Juni 2009) S. 99-103
22. Jahrgang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2009