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BILDUNG/1121: Endoskopie - Steile Lernkurve am Kunststoffpatienten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2018

Endoskopie
Steile Lernkurve am Kunststoffpatienten

von Martin Geist


Neues Ausbildungsangebot der Endoskopieschule an der Kieler Uniklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe: Medizinstudierende in Kiel üben simuliertes Operieren.


Da übt man mit etwas, das nicht lebt und nicht schreit." Treffender als Sophie Starck es tut, lässt sich der große Vorteil des neuen Ausbildungsangebots der Endoskopieschule an der Kieler Uniklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe kaum formulieren. Zusammen mit etwa einem Dutzend weiteren Medizinstudierenden operierte Sophie Starck zwei Tage lang an Dummies, die nicht leben, nicht schreien - und trotzdem enorme Lernfortschritte erlauben.

Erfinder dieses Kurses ist Privatdozent Dr. Ibrahim Alkatout, der das Konzept gemeinsam mit Assistenzarzt Dr. Johannes Ackermann entwickelte. Pate stand dabei die seit mehr als 30 Jahren erfolgreich praktizierte Postgraduiertenausbildung in der endoskopischen Chirurgie. Wie es sich am besten minimalinvasiv operieren lässt, lernen erfahrene und weniger erfahrene Mediziner in regelmäßig aufgelegten Kursen der von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Endoskopie zertifizierten Endoskopieschule: durch Vorträge, durch Hospitationen bei echten Operationen und durch Üben im Trainingsraum am in Kiel erfundenen Pelvitrainer, der sich im Altbau der universitären Frauenklinik befindet. "Die Idee war es, diese Ausbildung in studierendenfreundlicher Form auch in die curriculare Lehre einzubringen", erläutert Alkatout.

Viel anders als bei den fertigen Ärzten läuft es nach den Worten von Johannes Ackermann aber auch wieder nicht. "Die Inhalte des vierstufigen Trainingskonzeptes sind im Grunde gleich, nur den Einstieg haben wir ein bisschen angepasst", verrät er. Was bestimmt gut so ist, denn aller Anfang ist auch in der Endoskopie schwer. "Echt frustrierend" waren die ersten Übungen, gibt Studentin Ema Dzajic zu. Irgendwie schien es ihr, als wolle so gar nichts gelingen. Doch schon am zweiten Tag, das bestätigt genauso ihre Kommilitonin Katharina Moser, klappte alles viel besser.

Die Doktoranden Julian Pape und Felix Vogler begleiten das im Wintersemester 2017/18 gestartete Pilotprojekt praktisch und auch analytisch. Mit gutem Gewissen können sie deshalb die Eindrücke der beiden Studentinnen bestätigen. "Die meisten legen steile Lernkurven hin", weiß Felix Vogler und schaut hinüber zu Sophie Starck, die gerade an einem Kunststoffobjekt das Vernähen des Scheidenabschlusses nach einer Gebärmutterentfernung übt. Zuerst brauchte die junge Frau für eine Naht mehr als 20 Minuten, jetzt gerade hat es nur dreieinhalb gedauert. Dabei stellte sich die Nachwuchsmedizinerin auch noch so geschickt an, dass nach Einschätzung von Dr. Göntje Peters, die die Kiel School of Gynaecological Endoscopy mit Privatdozent Dr. Alkatout leitet, eine lebendige Patientin gut versorgt gewesen wäre.

In der Allgemeinen Chirurgie, der Gynäkologie, der Orthopädie, der Urologie und anderen chirurgischen Fächern kennt die Ausbildung angehender Ärzte bis heute kein standardisiertes und obligates Training am Simulator. Der Nachwuchs wird stattdessen schrittweise an Patienten aus Fleisch und Blut ans Operieren herangeführt. Über das Zusehen führt der Pfad zu einfachen Oberflächenschnitten bis hin zu Eingriffen in tieferen Regionen des Körpers. Das funktioniert zwar, meint Ibrahim Alkatout, allerdings bieten aus seiner Sicht zusätzliche Übungen am Kunststoffpatienten große Vorteile. "Man bekommt ein Gespür dafür, was chirurgisch möglich ist und ob diese Arbeit zu einem passt", betont der Arzt. Und außerdem habe das Klinikum ein ureigenes Interesse daran, "talentierte zukünftige Kolleginnen oder Kollegen frühzeitig zu binden".

Einer davon könnte Daniel von Essen sein. "Handwerklich arbeiten, das macht mir auch sonst Spaß", sagt der Student, der wie alle Teilnehmenden im zehnten Semester ist und kurz vor dem zweiten Staatsexamen steht. Ob er aber am Ende tatsächlich eine Laufbahn als Chirurg einschlagen wird, weiß von Essen noch nicht: "Ich habe viele Interessen."

Prof. Nicolai Maass, Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, und das Team der Endoskopieschule haben jedenfalls Interesse daran, dass das auf ein Jahr angelegte Kieler Projekt nicht im Nichts endet, sondern fortgeführt wird. "Das ist ja für viele Disziplinen nützlich", plädiert er für eine breite Verankerung im Pflichtprogramm des Medizinstudiums. Das für die Studierenden kostenlose Pilotprojekt wurde zwar zunächst dank einer 20.000-Euro-Förderung der Medizinischen Fakultät und erheblicher industrieller Drittmittel finanziert, doch ist Alkatout zuversichtlich, dass der nachhaltige Nutzen dieses Konzeptes angesichts der "extrem guten Erfahrungen" von den Verantwortlichen erkannt und fest in die curriculare Lehre eingebettet wird.

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Erste Live-Operation aus der Anatomie

Live-Operationen gehören zu den Highlights bei den Jahrestagungen aller operativen Fächer, so auch der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Endoskopie AGE). Als sich die Mediziner Ende April in Hamburg trafen, gab es jedoch ein Novum: Erstmals wurde in der Anatomie des Kieler Uniklinikums die Operation an einem Körperspender direkt ins Plenum des Kongresssaales übertragen. Im Tagungshotel Radisson Blu verfolgten etwa 600 Gynäkologen aus ganz Deutschland den Eingriff eines Teams unter Leitung von Privatdozent Dr. Ibrahim Alkatout (Gynäkologie UKSH Kiel) und Prof. Thilo Wedel (Zentrum für Klinische Anatomie, CAU Kiel).

Oberarzt Alkatout ist Leiter der Kieler Endoskopieschule und war zugleich als Kongresssekretär führend in die Organisation der Tagung eingebunden. Die Körperspender-OP hat der Arzt aus guten Gründen ins Programm aufgenommen, denn unter Regie des Kieler Anatomieprofessors Thilo Wedel befasst sich das Uni-Klinikum seit Jahren damit, Körperspender so zu fixieren, dass Lehroperationen möglichst wirklichkeitsgetreu vorgenommen werden können. "Das sonst übliche Formalin macht das Gewebe zu fest, deshalb wurde in Kiel eine spezielle Alkohollösung etabliert, die dieses Problem verhindert und ein absolut authentisches Operationssetting erlaubt", nennt Alkatout einen entscheidenden Punkt.

Von der AGE-Tagung verspricht sich der Kieler Arzt Impulse, um dieses Verfahren bekannter und gebräuchlicher zu machen. "Man kann auf einem ganz anderen Niveau zeigen, worauf es beim Operieren ankommt. Hierdurch betreten wir eine neue Dimension des Lernens und der prospektiven Fehlervermeidung", betont Alkatout und fügt hinzu: "Es gibt kein Modell, das auch nur annähernd eine solche Qualität erreicht."

Ein weiterer Höhepunkt der AGE-Tagung war die Live-Übertragung aus vier Operationssälen der Kieler Unifrauenklinik. Die Patientinnen hatten sich freiwillig mit diesem Modus einverstanden erklärt. Neben den Gynäkologen aus der Kieler Frauenklinik haben renommierte Chirurgen aus ganz Deutschland konventionelle laparoskopische Operationen und in einem Saal auch roboterassistierte Eingriffe vorgenommen. Dieser Beitrag lief aus Alkatouts Sicht ebenfalls "sehr erfolgreich", doch sei mit solchen Übertragungen immer ein ethisches Problem verbunden. "Das kann auch in Richtung Übermut oder Voyeurismus gehen und muss unter medizinethischen Gesichtspunkten immer zu 100 Prozent am Patientenwohl ausgerichtet sein", nennt er ein Beispiel.

Eine erstmals in einem solchen Setting simultan vorgenommene Befragung der zuschauenden Mediziner lässt allerdings auf sehr respektable Motivationen schließen. Überwiegend interessieren sich die Ärzte für anspruchsvolle und komplizierte Eingriffe, besonders lehrreich ist nach ihrer Einschätzung, zu beobachten, wie erfahrene Chirurgen mit unvorhergesehenen Situationen umgehen. Ebenfalls interessant ist folgende Einschätzung: Mehr als 80 Prozent der Ärzte würden sich als Patienten nach eigenen Angaben selbst live unters Messer legen. Live-Operationen an Körperspendern könnten nach Meinung von Dr. Alkatout trotzdem mehr als nur eine gute Ergänzung sein.


Info

Medizinstudierende in Kiel üben simuliertes Operieren. Training an künstlichen Patienten soll nach sehr guten Erfahrungen zum Standard in der Ausbildung werden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Angeleitet von Dr. Göntje Peters und Dr. Sandra Schott nähern sich die Studentinnen Ema Dzajic und Katharina Moser der Kunst des Operierens mithilfe dreidimensionaler Optik an.

- Dr. Ibrahim Alkatout, Dr. Martina Brügge und ihr Team operierten am Kieler Uniklinikum eine Patientin in einer Live-Übertragung.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201806/h18064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juni 2018, Seite 22 - 24
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2018

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