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BILDUNG/1148: Praktisches Jahr - Ausbildung statt Ausbeutung (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2019

PJ
Ausbildung statt Ausbeutung

von Astrid Schock


Medizinstudierende aus Kiel setzen sich für eine faire Bezahlung im Praktischen Jahr ein. Der Druck auf die Politik wächst.


Der Hörsaal der Pharmakologie am UKSH Campus Kiel platzt aus allen Nähten, kein Sitzplatz ist mehr frei, an den Seiten wird gestanden und der Bereich vor dem Rednerpult ist bis auf den letzten Platz mit sitzenden Studenten bedeckt. Die große Anteilnahme - und das trotz parallel laufender Lehrveranstaltungen - zeigt, wie wichtig das Thema bei den angehenden Medizinern ist. Sie fordern für das Praktische Jahr, das sie am UKSH Campus Kiel absolvieren, angemessen entlohnt und fair behandelt zu werden.

Absolviert ein Medizinstudent sein Praktisches Jahr am UKSH Campus Kiel, gibt es für die 40 Stunden Arbeit pro Woche keine Aufwandsentschädigung.

Die PJ'ler haben keine Zeit zum Lernen, meist erhalten sie keinen ausreichenden persönlichen Zugang zum Patientenverwaltungssystem und keine Aufbewahrungsmöglichkeit für persönliche Gegenstände. Das soll sich nun ändern.

Am 16. Januar veranstaltete die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland einen Aktionstag, an dem sich auch die Fachschaft Medizin an der Kieler Christian-Albrechts-Universität mit einer Informationsveranstaltung zur aktuellen Situation beteiligte. Neben zahlreichen Studenten waren auch die Professoren Thomas Schwarz, Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Campus Kiel, und Norbert Frey, Direktor der Klinik für Innere Medizin III am Campus Kiel, anwesend und sprachen sich für die Zahlung einer Aufwandsentschädigung im Praktischen Jahr aus. "Es kann nicht sein, dass ein Student nach fünf Jahren teurem Medizinstudium sich auch noch während des Praktischen Jahrs mit einem Kellnerjob über Wasser halten muss. Eine schlechte Ausbildung wegen Müdigkeit können wir uns alle nicht leisten", sagte Frey. Schwarz sieht ebenso wie Frey die Gefahr der Abwanderung in andere Bundes- und EU-Länder, wenn sich nichts ändert. "Bei der Auswahl der PJ-Stelle darf Geld nicht der ausschlaggebende Punkt sein", sagte Schwarz.

"40 Arbeitsstunden pro Woche, null Euro - das klingt nicht nur nach billiger Arbeitskraft."
Marius Leye

Die Fachschaft Medizin versuchte ebenfalls, Argumente gegen die Zahlung einer Aufwandsentschädigung zu entkräften. Falsch sei etwa das Argument, dass die Anrechnung der Aufwandsentschädigung auf das Bafög ein Problem darstelle. Auf der Homepage der Fachschaft Medizin heißt es hierzu: "Richtig ist, dass eine Aufwandsentschädigung zwar vermutlich ohne Freibeträge, wie z. B. bei Nebenjobs, auf das BAföG angerechnet werden müsste, weil es im Rahmen eines Pflichtpraktikums während der Ausbildung gezahlt wird. Allerdings würden von der anzurechnenden Summe im Jahr 1.000 Euro Werbekostenpauschale und eine Sozialpauschale von 21,2% abgezogen werden." Es sei bewiesen, dass die Zahlung einer Aufwandsentschädigung daher keinesfalls einen Nachteil für Studierende darstelle.

Die Einwände auf politischer Seite stehen dagegen weiter im Raum. Der Landtagsabgeordnete Lasse Petersdotter von Bündnis 90/Die Grünen betont, dass eine finanzielle Unterstützung durch das Land nur dann gerechtfertigt ist, wenn auch andere Studiengänge berücksichtigt werden. So sei auch bei anderen Pflichtpraktika - beispielsweise im Lehramtsstudium - eine Bezahlung möglicherweise angebracht und das Problem müsse allgemein besprochen und geklärt werden. Eine bundeseinheitliche Regelung sei anzustreben. Auch Dennys Bornhöft, Landtagsabgeordneter der FDP, betont, dass das Praktische Jahr nicht Teil des Versorgungsauftrages sei und damit auch nicht von den Kostenträgern finanziert werden könne. "Die Zahlung einer Aufwandsentschädigung muss rechtlich sauber sein, sonst wird die Regelung so schnell wieder für ungültig erklärt, wie sie gekommen ist", so Bornhöft. Auf die Frage, welche Schritte die Politiker konkret als nächstes planen, kündigte Petersdotter an, das Thema auf die Tagesordnung der Beteiligtenrunde zu setzen und über die Staatssekretäre auch die Bundesregierung darauf aufmerksam zu machen. Gespräche mit Prof. Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender und Vorstand für Krankenversorgung des UKSH Kiel, sollen fortgesetzt werden. "Wir nehmen das Thema mit. Es ist allerdings nicht das alleroberste aller Probleme, es ist aber aktuell und wird ernst genommen", so Bornhöft.

In anderen Regionen Deutschlands werden bereits Aufwandsentschädigungen an PJ'ler gezahlt. Welche Lehrkrankenhäuser in Schleswig-Holstein wieviel Aufwandsentschädigung zahlen, finden Sie in unserer Märzausgabe des Jahres 2018.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Im vollbesetzten Hörsaal nehmen sich auch die Politiker Dennys Bornhöft (FDP) und Lasse Petersdotter (Bündnis 90/Die Grüne) des Themas an.
- Prof. Norbert Frey spricht sich für die Zahlung einer Aufwandsentschädigung aus.
- Marius Leye, Medizinstudent im 8. Semester, sprach für die Fachschaft Medizin der CAU Kiel.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201902/h19024a.htm

L=5.0 E=5.0 R=80.0 Tab=0.0 Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de L=5.0 E=5.0 R=75.0 Tab=0.0

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Februar 2019, Seite 20 - 21
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2019

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