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ETHIK/1182: Bundesverband Lebensrecht Fachtagung 18.4.15 in Hamburg - "Du sollst nicht töten" (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 113 - 1. Quartal 2015
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

"Du sollst nicht töten"

Von Peter Winnemöller


Anlässlich der Eröffnung der diesjährigen bundesweiten "Woche für das Leben" veranstaltete der Bundesverband Lebensrecht (BVL) erstmals eine Fachtagung in Hamburg, wo die von den beiden christlichen Kirchen ins Leben gerufene Woche eröffnet wurde. Impressionen von vor Ort.

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Erstmals hat der Bundesverband Lebensrecht (BVL) begleitend zur bundesweiten Eröffnung der "Woche für das Leben" eine Fachtagung veranstaltet. Die "Woche für das Leben", eine gemeinsame Veranstaltung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), wurde in diesem Jahr mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg und einer anschließenden Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie Hamburg eröffnet.

Die Fachtagung des BVL war um die Programmpunkte der offiziellen Eröffnungsveranstaltung von DBK und EKD herum angeordnet, so dass die Teilnehmer der Fachtagung auch an der offiziellen Eröffnung teilnehmen konnten. Dabei bewies der BVL große Flexibilität, denn die anberaumte Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie machte es nötig, das Nachmittagsprogramm um etwa eine Stunde nach hinten zu verschieben. Die Teilnehmer begrüßten dies ausdrücklich. Wünschenswert wäre es natürlich, wenn DBK und EKD als Ausrichter der "Woche für das Leben" und der BVL als Ausrichter der Fachtagung sich vorher abstimmen könnten. Auch böte eine gemeinsame Einladung oder eine gegenseitige Einladung zu beiden Veranstaltungen allen Teilnehmern die Möglichkeit, beide Veranstaltungen zu besuchen.

So nahmen zwar fast alle Teilnehmer der Fachtagung auch an der offiziellen Eröffnung von DBK und EKD teil, umgekehrt aber gab es keinen Gegenbesuch. Im Hinblick auf die hochkarätigen Vorträge, die der BVL organisiert hatte, war dies durchaus bedauerlich. Trotzdem war die Fachtagung in den Räumen der "CityChurchHamburg" sehr gut besucht.

"Du sollst nicht töten! Dies ist keine Erfindung von christlichen Lebensschützern oder gar des Bundesverbandes Lebensrecht. Dies ist ein göttliches Gebot, das seit Jahrtausenden gilt." Mit diesen Worten begrüßte der Vorsitzende des BVL, Martin Lohmann, die Teilnehmer der Fachtagung. Und fügte hinzu, statt Sterbehilfe sei Lebenshilfe gefragt. Dazu solle diese Zusammenkunft ihren Beitrag leisten.

"Robert Spaemann schickte ein Grußwort"

Auf der Fachtagung in Hamburg sprachen der Frauenarzt Dr. Michael Kwiorr und die Professoren Manfred Spieker und Axel W. Bauer. Der Schwerpunkt lag auf der gesellschaftlichen Diskussion um den assistierten Suizid. In seinem Grußwort wies der Philosoph Robert Spaemann darauf hin, dass der Suizid in unserer Rechtsordnung nicht erlaubt sei und auch gar nicht erlaubt werden könne. Dass der Selbstmord moralisch geächtet bleibe, sei für die menschliche Gemeinschaft von größter Wichtigkeit. Das Grußwort wurde von Alexandra Maria Linder, Stellvertretende Bundesvorsitzende der ALfA, verlesen. Der erste Vortrag fiel etwas aus der Reihe, hatte jedoch einen sehr aktuellen Bezug. Michael Kwiorr stellte die neuen Schwangeren-Bluttests Vor. Mit diesen neuartigen Testmethoden kann aus dem Blut von schwangeren Frauen DNA des ungeborenen Kindes gewonnen werden. Mit diesen Informationen kann schon heute in einer sehr frühen Phase der Schwangerschaft, nämlich etwa der zehnten Schwangerschaftswoche, festgestellt werden, ob bei einem Kind Trisomie 21 vorliegt. Die Tests stellen eine massive Gefahr fürMenschen mit Behinderungen dar.

Diese Tests, erläuterte Kwiorr, seien bereits Realität. Sie seien auf dem Markt und würden in der Praxis angewandt. Dies sei geschehen, ohne dass es eine vorherige ethische Debatte gegeben habe. Es sei aber dringend an der Zeit, eine solche zu führen. Die Testverfahren dürften auf keinen Fall Kassenleistungen werden. Im Kern handele es sich bei den Bluttests um Auswahlverfahren. Welches Kind darf leben und welches Kind nicht? Diese Frage stehe im Grunde hinter jedem Test dieser Art. Im Falle einer festgestellten Trisomie 21 würden in Deutschland inzwischen 95 Prozent aller Kinder abgetrieben.

Ein solches Auswahlverfahren, erläuterte der Mediziner, sei eine "slippery slope", was im Deutschen mit "schiefe Ebene" übersetzt wird. Wenn wir erst einmal anfangen, auf diese Weise zu selektieren, begeben wir uns auf einen gefährlichen Weg. Der Test auf Trisomie 21 sei nur der Anfang. Es werde zukünftig noch weitere Tests geben. Da das menschliche Genom entschlüsselt sei, bestehe die Gefahr, dass künftig schon eine Veranlagung zu bestimmten Krebsarten oder anderen Erkrankungen eine Abtreibung nach sich zöge. Das hieße Kinder zu töten, nur weil sie eine gewisse Wahrscheinlichkeit besäßen, eine bestimmte Krankheit zu bekommen. Eine gesellschaftliche Diskussion über diese Frage und ihre Konsequenzen sei unbedingt erforderlich. Kwiorr forderte das Auditorium auf, sich selbst einzubringen. Ärzte, Politiker und die Öffentlichkeit müssten für das Thema sensibilisiert werden.

Die Tagung wurde nach dem Gottesdienst und dem Podium in der Katholischen Akademie mit einem Vortrag von Professor Spieker fortgesetzt. Mit "Selbsttötung als neues Menschenrecht?" stellte Spieker gleich schon in der Überschrift die entscheidende Frage. Einem Überblick über die Formen der Sterbehilfe folgte eine Einführung in die Grundrechtssystematik. Grundrechte sind keine positiv gesetzten Rechtsakte, vielmehr bestehen sie "als unmittelbar geltendes Recht". Dies sei zu erkennen an der Tatsache, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sich zu den Grundrechten bekenne, wie in Art. 1, Abs. 2 GG zu lesen sei. Daraus ergebe sich die Konsequenz, führte der Sozialethiker weiter aus, dass Grundrechte eben nicht wieder verschwinden können. Wohl aber könnten neue Formulierungen hinzukommen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wurde in Deutschland "nach den bitteren Erfahrungen mit den tödlichen Menschenversuchen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern", so Spieker wörtlich, dem Recht auf Leben, das schon die Weimarer Reichsverfassung kannte, hinzugefügt.

Einem vermeintlichen Recht auf Selbsttötung erteilte der Sozialethiker eine klare Absage. Dabei bezog er sich auf die Einschränkungen, die der Art. 2, Abs. 3 GG der freien Entfaltung der Persönlichkeit setzt. Dabei handele es sich um die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz. Der Suizid sei zumindest immer eine Verletzung der Rechte anderer, da er die sozialen Beziehungen zerstört. Die Beihilfe zum Suizid, der zwar selber nicht strafbar sei, aber dennoch niemals Anspruch auf Legalität erheben könne, dürfe auf keinen Fall explizit erlaubt werden. Eine organisierte Beihilfe zum Suizid suggeriere soziale Akzeptanz. Darüber hinaus entstehe ein sozialer Druck auf all jene, die ihr Weiterleben in Leiden schwerer Krankheit als Belastung für ihr Umfeld wahrnehmen. "Eine tödliche Falle der Selbstbestimmung: sie mündet in Selbstentsorgung", betonte Spieker.

Das Ende der Fahnenstange ist damit allerdings noch lange nicht erreicht. Trotz aller Beteuerung, aktive Sterbehilfe abzulehnen, liege doch genau diese in der Logik des assistierten Suizids. Wenn ein assistierter Suizid scheitere oder auch nur das Risiko dazu bestehe, sei genau dieses aktive Eingreifen des Arztes die logische Konsequenz. Am Ende führte Spieker die christliche Alternative der Sterbebegleitung aus. Schon 1992 hatte PapstJohannes Paul II. auf die Notwendigkeit der Hospizbewegung hingewiesen. Das Sterben müsse ebenso wie die Beerdigung ein soziales Ereignis werden, betonte Spieker. Beispielhaft stehe dafür das Sterben dieses Papstes. Seine letzten Worte "Ich bin froh, seid ihr es auch!" seien ein großes Vermächtnis für die Wiederbelebung der ars moriendi, für eine Kultur des Lebens, die dem Leiden und Sterben nicht ausweicht, schloss Manfred Spieker seinen Vortrag.

Nahtlos schloss sich daran der Vortrag von Professor Axel W Bauer an. Der Medizinethiker aus Heidelberg bringt sich seit längerem sehr aktiv in die Diskussion um den assistierten Suizid ein. Mit seinem Buch "Wir sollen sterben wollen" hat er bereits 2013 gemeinsam mit Andreas Krause Landt ein Standardwerk zum Thema vorgelegt. Bauer erinnerte daran, dass Anfang 2013 ein Gesetz verhindert werden konnte, dass nur die gewerbliche Suizidbeihilfe verboten und alle anderen Formen legitimiert hätte. Dabei spiele die gewerbliche Suizidbeihilfe in Deutschland praktisch keine Rolle. Genauso gut hätte man das Falschparken auf dem Mars verbieten können. Laut Bauer sei das Gesetzgebungsverfahren gestoppt worden, weil die Bundeskanzlerin im Wahljahr keinen Streit mit den Kirchen hätte gebrauchen können. Das damals geplante Gesetz nannte er einen Gesetzestrojaner. Als Gründe für die nur scheinbare rechtliche Begrenzung gab Bauer insbesondere die demographische Entwicklung und die fortschreitende Medizin an. So würden die jetzt 45- bis 55-Jährigen zwar durchaus älter, aber dann die Krankheiten, die man heute mit 75 bekommt, mit 85 bekommen. Die Folge seien steigende Pflegekosten in der letzten Lebensphase. Es sei eine Illusion zu glauben, wir würden künftig nicht nur später, sondern auch in einem kerngesunden Zustand sterben. Das Problem der Renten-, Krankheits-und Pflegekosten werde eskalieren, wenn 2030 rund ein Viertel der Bevölkerung in einem Alter von 65 bis 85 Jahren sei. In dieser Lage, so Bauer, käme ein angeblich selbstbestimmter Freitod der älteren Generation passend. Dazu verwies er auf den Roman "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley, der, 1932 erschienen, für das Jahr 2540 prophezeite, dass man dann freiwillig aus dem Leben scheide, bevor man ernsthaft erkranke und Kosten Verursache. Wir seien, so Bauer, diesem ernüchternden Gesellschaftsentwurf gefährlich nahe gekommen.

Massive Kritik äußerte der Medizinethiker auch an dem Gesetzentwurf von Taupitz, Wiesing, Jox und Borasio, die insbesondere für zwei Gruppen den assistierten Suizid freigeben wollen. Dies seien zum einen nahe Angehörige, welche selber emotional involviert seien und mitlitten, zum anderen Ärzte als privilegierte Suizidassistenten. Angehörige, deren Mitleid mit einem Leidenden auch eigenes Leid sei, könnten zu tödlichem Mitleid neigen oder als Erben davon betroffen sein, dass durch lange Pflegezeiten das Vermögen des Erblassers erheblich geschmälert wird. Dieser Gruppe, hielt Bauer fest, solle man am allerwenigsten die Beteiligung am Suizid erlauben dürfen. Die Konsequenzen für ärztliche Suizidhelfer ließen sich kaum ausloten. So müssten angehende Ärzte dann künftig Suizidassistenz im Studium lernen. Eine vorgeschlagene Änderung des Betäubungsmittelgesetzes mache den Tod auf Rezept dann zur grausigen Wirklichkeit. "Wer die Suizidbeihilfe effektiv einschränken möchte, der muss sie ohne Ausnahme verbieten", schloss Bauer.

Den Abschluss der Tagung bildete ein kurzer Bericht aus der Hospizbewegung. Nach den Vorträgen zog Hartmut Steeb ein kurzes Fazit aus dem Gehörten und lud die Teilnehmer besonders zum "Marsch für das Leben" am 19. September in Berlin ein. Es sei sehr wichtig, auch öffentlich und zahlreich für das Recht auf Leben eines jeden Menschen sichtbar zu werden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Martin Lohmann
- Alexandra Maria Linder

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 113, 1. Quartal 2015, S. 8 - 9
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2015

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