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FORSCHUNG/2529: Geheimnis Narkose - Warum verlieren wir das Bewusstsein? (idw)


Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf - 17.11.2011

Geheimnis Narkose - Warum verlieren wir das Bewusstsein?


Bei Narkose mit dem Hypnotikum Propofol (1) entsteht in der Großhirnrinde (Kortex) eine hochgradig synchrone Aktivität von Nervenzellen (Neuronen), die offenbar die Kommunikation zwischen Gehirnarealen unterbindet. Das führt zu einem Zusammenbruch der Informationsverarbeitung und damit zum Verlust des Bewusstseins. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie von Dr. Gernot Supp und Prof. Dr. Andreas K. Engel vom Institut für Neurophysiologie und Pathophysiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und ihren Kollegen Dr. Markus Siegel und Dr. Jörg Hipp vom Zentrum für Integrative Neurowissenschaft (CIN ) an der Universität Tübingen.

Die Studie wird im Fachjournal "Current Biology" unter dem Titel "Cortical hypersynchrony predicts breakdown of sensory processing during loss of consciousness" veröffentlicht. Damit könnten die Forscher der Beantwortung der grundsätzlichen Frage, wie Narkose Bewusstsein ausschaltet, einen entscheidenden Schritt näher gekommen sein.

Supp und Kollegen haben in ihrer Studie die elektrische Gehirnaktivität der Probanden (mittels EEG oder Elektroenzephalografie) bei steigender Dosierung des Narkosemittels gemessen und den Übergang von Wachheit in tiefe Bewusstlosigkeit in sieben Stufen herbeigeführt. Auf jeder Narkosestufe erhielten die Probanden elektrische Reize am Handgelenk. Zur Bestimmung des jeweiligen Wachheitsniveaus der Probanden wurde eine Skala herangezogen, die im klinischen Umfeld breite Anwendung findet. "Wir haben, anders als in einer realen Narkosesituation, den Prozess des kontrollierten Bewusstseinsverlustes sehr langsam schrittweise eingeleitet. Auf jeder Narkosestufe haben wir die Grundaktivität des Kortex gemessen und ermittelt, wie dieser auf den externen Reiz reagiert", sagt Dr. Supp.

Ursprünglich ging die Wissenschaft davon aus, dass die Narkose die Informationsübertragung in die Großhirnrinde stört, im Kortex also kaum noch Signale aus der Umwelt ankommen. In der aktuellen Studie stellten die Wissenschaftler fest, dass selbst im Zustand fortgeschrittener Bewusstlosigkeit der Kortex auf sensorische Reize reagiert, diese aber nicht an andere Gehirnareale weitergeben kann. "Vergleichbar mit einer Nachricht, die zwar in der Mailbox ankommt, dort aber feststeckt und nicht weitergeleitet werden kann", so Dr. Supp weiter.

Die vorliegende Studie zeigt, dass Propofol die Grundaktivität der Großhirnrinde massiv verändert. Propofol ist ein intravenös zu verabreichendes Narkosemittel ohne analgetische Wirkung und ohne Einfluß auf die Muskelrelaxation. Es greift offenbar in die Kommunikation zwischen verschiedenen Gehirnarealen ein, indem es eine große Anzahl von Neuronen in eine hochgradig synchrone Aktivität zwingt. Dieser extrem synchrone Zustand des Kortex verhindert, dass aus der so genannten ersten sensorischen Station des Kortex (primäres sensorisches Areal) Signale an andere Hirnregionen gesendet werden.

Ursache für Bewusstlosigkeit wäre damit die Unterbrechung der Kommunikation zwischen spezialisierten Gehirnarealen. Differenzierte Botschaften können nicht mehr ausgetauscht werden. Das Ergebnis: die Informationsverarbeitung im Kortex bricht zusammen. Genau der Zusammenbruch dieser Kommunikation könnte der Schlüssel für den kontrollierten Verlust des Bewusstseins sein, fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Stellt sich diese neue Erkenntnis als richtig heraus, dann sollte dieser Mechanismus bei weiteren Hypnotika identisch sein. Damit wäre die Wissenschaft bei der Entschlüsselung der Funktionsweise von Hypnotika einen bedeutenden Schritt weiter.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution347


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Christine Jähn, 17.11.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2011