Helmholtz Zentrum München / Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 20.07.2016
Stillen verändert den mütterlichen Stoffwechsel und schützt bis zu 15 Jahre vor Diabetes
Neuherberg, 20. Juli 2016. Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Helmholtz Zentrum München hat den Stoffwechsel von Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes nach der Entbindung untersucht. Zusammen mit Partnern der Technischen Universität München und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) konnten sie zeigen, dass eine Stilldauer von mehr als drei Monaten zu langfristigen Veränderungen des Stoffwechsels führt. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin "Diabetologia" nachzulesen.
Vier Prozent aller schwangeren Frauen in Deutschland entwickeln vor der Geburt einen Schwangerschaftsdiabetes. Obwohl sich ihr Blutzuckerspiegel nach der Entbindung zunächst wieder normalisiert, erkrankt jede zweite Betroffene innerhalb der nächsten zehn Jahre an einem Typ-2-Diabetes. Mittlerweile ist zwar bekannt, dass Stillen dieses Risiko um 40 Prozent senken kann, warum das so ist, ist aber noch unverstanden.
In einer früheren Untersuchung hatten Forscherinnen und Forscher um Prof. Dr. Anette-G. Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung (IDF) am Helmholtz Zentrum München, bereits gezeigt, dass sich ab einer Stilldauer von drei Monaten ein Schutzeffekt einstellt, der bis zu 15 Jahre nach einem Schwangerschaftsdiabetes anhalten kann. In einer aktuellen Studie untersuchten sie nun, ob der Stoffwechsel dafür verantwortlich sein könnte.*
Für ihre Analysen untersuchte das Wissenschaftlerteam knapp zweihundert Patientinnen, die einen Schwangerschaftsdiabetes entwickelt hatten. Die Studienteilnehmerinnen nahmen dabei eine standardisierte Zuckerlösung zu sich und gaben zuvor nüchtern und im Testverlauf eine Blutprobe ab. Diese verglichen die Wissenschaftler hinsichtlich 156 verschiedener, bekannter Stoffwechselprodukte. Die Entbindung lag zu diesem Zeitpunkt im Schnitt dreieinhalb Jahre zurück.
"Wir konnten beobachten, dass sich die Stoffwechselprodukte der Frauen, die länger als drei Monate gestillt hatten, deutlich von jenen unterschieden, die kürzere Stillzeiten hatten", berichtet Erstautorin Dr. Daniela Much vom IDF. "Das längere Stillen ist mit einer veränderten Produktion von Phospholipiden und verringerten Konzentrationen von verzweigtkettigen Aminosäuren im Blutplasma der Mütter verbunden." Dies sei auch insofern interessant, weil die betroffenen Stoffwechselprodukte schon in früheren Studien mit Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht wurden, so die Autoren.
"Die Ergebnisse unserer Studie liefern Hinweise auf krankheitsrelevante Stoffwechselpfade, die durch den Stillvorgang beeinflusst werden und somit dem Schutzeffekt zu Grunde liegen könnten", fasst Dr. Sandra Hummel zusammen. Sie führt die Arbeitsgruppe Gestationsdiabetes am IDF und leitete die Studie. Somit stelle Stillen eine kostengünstige Interventionsmaßnahme dar, langfristig das Risiko für Typ-2-Diabetes bei Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes zu senken.
Künftig wollen die Wissenschaftler überlegen, wie man die Erkenntnisse in konkrete Handlungsempfehlungen umsetzen kann. "Frauen mit Gestationsdiabetes stillen durchschnittlich seltener und kürzer im Vergleich zu nicht-diabetischen Müttern", so Hummel. "Das Ziel ist nun, Strategien zu entwickeln, die langfristig das Stillverhalten insbesondere von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes verbessern."
Weitere Informationen
Hintergrund:
* Konkret handelte es sich um einen targeted Metabolomics Ansatz: Darunter
versteht man die zielgerichtete Identifizierung und Quantifizierung einer
Vielzahl von bekannten Metaboliten.
Original-Publikation:
Much, D. et al. (2016). Lactation is Associated with Altered Metabolomic
Signatures in Women with Gestational Diabetes, Diabetologia, DOI:
10.1007/s00125-016-4055-8
http://link.springer.com/article/10.1007/s00125-016-4055-8/fulltext.html
Grundlagen-Publikation:
Ziegler, AG. et al. (2012). Long-term protective effect of lactation on
the development of type 2 diabetes in women with recent gestational
diabetes mellitus, Diabetes, DOI: 10.2337/db12-0393
• Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum
für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose,
Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes
mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das
Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des
Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum
München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der
Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und
medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten
angehören.
www.helmholtz-muenchen.de
• Das Institut für Diabetesforschung (IDF) befasst sich mit der
Entstehung und Prävention von Typ 1 Diabetes und Typ 2 Diabetes als Spätfolge
eines Gestationsdiabetes. Ein vorrangiges Projekt ist die Entwicklung einer
Insulin-Impfung gegen Typ 1 Diabetes. In groß angelegten Langzeitstudien
untersucht das IDF den Zusammenhang von Genen, Umweltfaktoren und Immunsystem
für die Pathogenese von Typ 1 Diabetes. Mit den Daten der Geburtskohorte
BABYDIAB, die 1989 als weltweit erste prospektive Diabetes-Geburtskohorte
etabliert wurde, konnten Risikogene sowie Antikörperprofile identifiziert
werden. Diese lassen Vorhersagen über Entwicklung und Ausbruch von Typ 1
Diabetes zu und werden die Klassifizierung und den Diagnosezeitpunkt
verändern. Das IDF ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC).
www.helmholtz-muenchen.de/idf
• Die Technische Universität München (TUM) ist mit mehr als
500 Professorinnen und Professoren, rund 10.000 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern und 39.000 Studierenden eine der forschungsstärksten Technischen
Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften,
Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, ergänzt um
Wirtschafts- und Bildungswissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische
Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft.
Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft.
Weltweit ist sie mit einem Campus in Singapur sowie Verbindungsbüros in
Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und Såo Paulo vertreten.
An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von
Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als
Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie
regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.
www.tum.de
• Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. (DZD) ist eines der
sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem
Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie
und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen,
integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen,
maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu
leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München -
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche
Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für
Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für
Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München
an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut
Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav
Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg,
Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.
www.dzd-ev.de
Fachliche Ansprechpartnerin:
Dr. Sandra Hummel
Helmholtz Zentrum München -
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Institut für Diabetesforschung
Heidemannstr. 1, 80939 München
E-Mail: sandra.hummel@helmholtz-muenchen.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
Sonja Opitz, Abteilung, 20.07.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2016
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