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GESCHICHTE/611: Literaturhinweis - Kulturgeschichte der Fertilität (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 16.05.2017

Verhütung bleibt Frauensache

Historiker der Universität Jena erforschten die Geschichte der "Wunschkindpille"


Verhütung war - und ist - Frauensache! Über Jahrhunderte versuchten Frauen, der Schicksalhaftigkeit von Schwangerschaften und Geburten zu entgehen und so die Zeugung und Geburt von Kindern auf den Fall zu beschränken, in dem das Kind erwünscht ist und aufgezogen werden kann. Die Methoden der Verhütung - von diversen Kräutertränken bis zu selbstgefertigten Kondomen - standen jedoch immer unter dem hohen Risiko des praktischen Scheiterns. Mit der Erfindung chemischer Kontrazeptiva, der "Pille", sollte sich das endlich ändern.

Der Historiker Prof. em. Dr. Lutz Niethammer von der Universität Jena hat gemeinsam mit seiner Fachkollegin Prof. Dr. Silke Satjukow von der Universität Magdeburg das Buch "Wenn die Chemie stimmt..." Geschlechterbeziehungen und Geburtenplanung im Zeitalter der "Pille" herausgegeben. Versammelt sind darin Aufsätze von Historikerinnen und Historikern sowie Wissenschaftlern anderer Disziplinen aus der Kultur- und Sozialwissenschaft, die auf die Beiträge zweier wissenschaftlicher Tagungen in Jena zurückgehen.

"Es sind Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Fertilität", sagt Silke Satjukow. Dabei geht der Blick der Forscher weit über Deutschland hinaus: Beschrieben werden die Situation in den einstigen sozialistischen Ostblockstaaten, in den USA in den 1960er Jahren, in Russland ebenso wie in der Bundesrepublik und der DDR. Unter der Überschrift "Globale Ausblicke" werden zudem Argentinien, Brasilien, Südafrika, die Türkei und China in den Fokus gerückt. Ergänzend gibt es einen Exkurs in die Geschichte von Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. In einem Beitrag von Lutz Niethammer wird zudem die spannende und wechselvolle Geschichte der Geburtenkontrolle in frühen islamischen Ländern erzählt.

Die begrenzte Wahrnehmung der westlichen Welt

"Dass wir im Zeitalter der Pille leben, lässt sich nur aus der begrenzten Wahrnehmung der westlichen Welt behaupten", sagt Lutz Niethammer. Noch immer seien im weitaus größeren Teil der Welt herkömmliche Methoden wie Diaphragma, Spirale oder Sterilisation die Mittel der Wahl. Auch seien die Diskussionen um die "Pille" bis heute nicht verstummt: Die Einnahme wird aus religiösen Gründen in Frage gestellt, problematisch sind zudem die zahlreichen Nebenwirkungen der chemischen Kontrazeptiva.

Die Kulturgeschichte der Fertilität kennt zahlreiche Sonderwege. So ersetzte in der Sowjetunion und im heutigen Russland der Schwangerschaftsabbruch faktisch legal die Verhütung. In der DDR hingegen wurde die "Antibaby-Pille" als "Wunschkindpille" staatlich propagiert und gefördert. Das Präparat sollte es ermöglichen, Berufstätigkeit und Mutterschaft besser zu vereinbaren.

Erforscht haben die Geschichte der DDR-"Wunschkindpille" die Historiker Dr. Annette Leo und Christian König in einem Forschungsprojekt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie befragten Frauen verschiedener Generationen über ihre Erfahrungen mit der "Pille" und forschten in den Archiven. Ihre Ergebnisse haben sie in dem Buch "Die 'Wunschkindpille'. Weibliche Erfahrung und staatliche Geburtenpolitik in der DDR" veröffentlicht.

Offiziell begann die Geschichte der "Wunschkindpille" 1965 in Jena. In jenem Jahr brachte der Volkseigene Betrieb "Jenapharm" das neue Verhütungsmittel unter dem Namen "Ovosiston" auf den Markt. Vorausgegangen sei dem ein Spionagefall, schreiben die beiden Autoren. Angeblich stahl ein "Kundschafter" des Ministeriums für Staatssicherheit die Pillen-Rezeptur bei der westdeutschen Konkurrenz. Belege indes fanden König und Leo nicht.


Bibliographische Angaben:

Lutz Niethammer/Silke Satjukow (Hg.): "Wenn die Chemie stimmt ... Geschlechterbeziehungen und Geburtenplanung im Zeitalter der 'Pille'", Wallstein Verlag, Göttingen 2016, 424 Seiten, 39,90 Euro, ISBN: 978-3-8353-1741-3

Annette Leo/Christian König: "Die 'Wunschkindpille'. Weibliche Erfahrung und staatliche Geburtenpolitik in der DDR", Wallstein Verlag, Göttingen 2016, 314 Seiten, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-8353-1655-3

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution23

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Stephan Laudien, 16.05.2017
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2017

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