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GENTECHNIK/293: Keine präzise "Genomchirurgie" (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2019

Keine präzise "Genomchirurgie"
Medizinische Anwendungen von Genome Editing-Verfahren

von Dr. Isabelle Bartram


Die Idee der Gentherapie, einer Behandlung von Menschen durch das Einbringen von körperfremdem Genmaterial, ist nicht neu. Doch durch Genome Editing-Technologien wie CRISPR-Cas9 hat der Forschungszweig neue Fahrt aufgenommen. Aller Risiken zum Trotz ist auch der erste Fall von vererbbaren genetischen Veränderungen Realität geworden.


In den 1970er Jahren entdeckten WissenschaftlerInnen, dass bestimmte Viren Genmaterial in Zellen schleusen und in deren Erbgut einbauen. Schnell wurden eine Vielzahl von Anwendungen für die Grundlagenforschung im Labor entwickelt, die in den 1980er Jahren die Basis für die Erforschung therapeutischer Anwendungen darstellten. 1990 erfolgte die erste erfolgreiche Anwendung am Menschen, und Gentherapien wurden zur Hoffnung für viele Menschen mit für unheilbar gehaltenen Erkrankungen.

Doch dieser Hype kam nach mehreren Todesfällen bei klinischen Studien zu einem abrupten Ende. Die verwendeten Viren lösten schwere Immunreaktionen aus, außerdem führten sie durch die Schädigung wichtiger DNA-Sequenzen zu Krebserkrankungen. Zudem wurde die Kritik an den Versprechen der Gentherapien lauter. Die HerstellerInnen veranschlagten enorm hohe Kosten für die Therapien, während sich die Anzahl potenzieller PatientInnen als äußerst gering herausstellte. Denn die allermeisten Erkrankungen sind nicht genetisch gesteuert, und noch weniger werden die Veränderungen von nur einem Gen ausgelöst.

Die Entdeckung von Genome Editing-Methoden hat den Enthusiasmus um Gentherapien jedoch in den letzten Jahren wiederbelebt. Die Arbeitsgruppen um die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckten 2012 das Potenzial einer Immunreaktion von Bakterien: CRISPR-Cas9 kann im Labor Gene in Zellen gezielt verändern. Im medialen und wissenschaftlichen Hype um CRISPR-Cas9, in dem sich Wissenschaft und finanziell motiviertes Marketing mischen, gilt die neue Technologie als präzise Wunderwaffe. Die Schnelligkeit, vermeintliche Präzision und Effizienz der Methode lassen die Gentherapie als "medizinische Revolution" wieder in greifbare Nähe rücken.

Neue Gentherapien
Sogenannte somatische Anwendungen, also nicht-vererbbare genetische Veränderungen, sind ethisch wenig umstritten. Als Neuauflage der Gentherapie beschränkt sich ihre Problematik auf die Risikoabwägung für PatientInnen. Wie 2 Jahrzehnte zuvor steht die Therapie von angeborenen Erkrankungen, bei denen jeweils nur eine kleine Abweichung in einem Gen zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen führt, im Fokus. Nur 7 Jahre nach der Entdeckung von CRISPR-Cas9 haben bereits klinische Tests begonnen oder stehen kurz bevor. Knapp 40 Studien mit verschiedenen Genome Editing-Verfahren, die vor allem in den USA und China durchgeführt werden, sind momentan im international genutzten Register für klinische Studien clinicaltrials.gov zu finden. Die meisten sind noch nicht abgeschlossen, wie zum Beispiel eine aktuelle Studie des US-amerikanischen StartUps CRISPR Therapeutics, das von CRISPR-Cas9-Entwicklerin Emmanuelle Charpentier mitgegründet wurde. Sie testet die Verträglichkeit und Effizienz eines gentherapeutischen Ansatzes bei Thalassämie-PatientInnen. Bei der seltenen Erkrankung verursacht eine Genabweichung eine verminderte Sauerstoffaufnahme der Blutzellen. Auch Kliniken in Deutschland sind an der Studie beteiligt, bei der Blutstammzellen der ProbandInnen mit CRISPR-Cas9 genetisch verändert werden.

Sind andere Organe als das Blutsystem betroffen, können Zellen nicht entnommen und im Labor behandelt werden. Das macht es schwieriger, ungewollte Nebenwirkungen vorzubeugen, denn die CRISPR-Komplexe werden nach wie vor mit Viren in die Zellen transportiert. Zwar wurde viel daran geforscht, diese Viren ungefährlicher zu machen. Doch ihre Wirkung ist beim direkten Einsatz im Körper schwer vorherzusagen und ist von der nur teilweise kontrollierbaren Immunreaktion der PatientInnen abhängig. Den ersten Versuch einer solchen "In vivo"-Anwendung stellte die klinische Studie der US-amerikanischen Firma Sangamo Therapeutics dar, deren Ergebnisse im Februar vorgestellt wurden. Durch die Genome Editing-Methode Zinkfingernukleasen wurde versucht, die durch eine Mutation nicht-funktionale Sequenz des IDS-Gens bei Morbus Hunter-PatientInnen durch eine funktionale zu ersetzen. Das Ergebnis war ernüchternd und ließ die Aktienwerte der Firma sinken. Zwar wurden die gewünschten genetischen Veränderungen in den Leberzellen umgesetzt, doch die Symptome der Stoffwechselerkrankung wurden durch die Behandlung nicht gemildert.

Krebstherapien mit CRISPR-Cas9
Auch nicht erbliche Erkrankungen wie Krebs sollen durch CRISPR-Cas9 mittels Gentherapie behandelbar werden. Schon seit Längerem wird an Therapien geforscht, bei denen PatientInnen mit eigenen, im Labor genetisch veränderten Immunzellen behandelt werden. Bei der sogenannten CAR-T-Zelltherapie werden körpereigene Zellen so verändert, dass sie die Krebszellen angreifen und zerstören sollen. Bei Studien mit anderen Gentechnik-Methoden konnten damit einige PatientInnen erfolgreich therapiert werden, bei denen etablierte Medikamente nicht angeschlagen hatten. Unter dem Namen Kymriah (Novartis) wurde daher Ende 2017 die erste Therapie dieser Art in den USA für bestimmte BlutkrebspatientInnen zugelassen. Die EU-Zulassung erfolgte im August 2018. Wie bei konventionellen Gentherapien ist der Preis pro PatientIn hoch: Eine erste deutsche Krankenkasse unterschrieb Anfang des Jahres einen Vertrag mit Novartis: 320.000 Euro pro PatientIn soll die Therapie kosten.

Doch längst nicht alle PatientInnen können so geheilt werden und viele PatientInnen leiden an schwersten Nebenwirkungen, es kam bereits zu mehreren Todesfällen in klinischen Studien. Zudem wird die Therapieform CAR-T-Zellen in Zukunft auch nur bei sehr speziellen Krebsformen einsetzbar sein. Denn sie basiert darauf, dass die angezielten Krebszellen einen speziellen Angriffspunkt besitzen, der im gesunden Gewebe nicht vorhanden ist bzw. mitzerstörtes gesundes Gewebe ersetzt werden kann. Von der Wunderheilung für alle erdenklichen Erkrankungen durch CRISPR-Cas9, die in den Schlagzeilen versprochen wurde, ist dieser Ansatz daher weit entfernt.

Vererbbare Veränderungen
Auch in einem ethisch weit problematischeren Anwendungsfeld klaffen Versprechen und Realität weit auseinander. Im Oktober 2018 schockierte der chinesische Wissenschaftler He Jiankui von der Southern University of Science and Technology die Welt mit einem PR-Stunt. Mittels Youtube-Video verkündete er, dass die ersten genetisch manipulierten Babys das Licht der Welt erblickt hätten. Die Zwillingsschwestern Lulu und Nala seien Mitte 2018 geboren worden und mit einer genetischen Resistenz gegen HIV ausgestattet. Untersuchungen von chinesischen Behörden bestätigten Hes Behauptung: Die Zwillingsmädchen gibt es, die versuchte genetische Veränderung im Embryonenstatus auch. Nun sollen sie lebenslang unter Beobachtung bleiben und He, den Ruhmsucht angetrieben haben soll, wurde unter Hausarrest gestellt. Doch so isoliert wie es zunächst dargestellt wurde, hat He nicht gehandelt. Mehrere renommierte WissenschaftlerInnen berichteten inzwischen, dass sie vorab von He über seine Experimente informiert worden waren. An der Stanford University (USA) gaben der Ethiker William Hurlbut, der Bioingenieur Stephen Quake und der Gentherapieforscher Matthew Porteus an, sie hätten He von seinen Plänen abgeraten. Doch keiner von ihnen schlug Alarm. Die Bioethikerin Natalie Kofler von der Yale University (USA) sieht in ihrem Schweigen ein Symptom einer Krise der Wissenschaftskultur, in der Werte und Ziele nicht übereinstimmen.

Kein grundsätzliches Hinterfragen
Zunächst sah es so aus, als könne der Fall der "CRISPR-Babies" zu einem neuen Nachdenken über vererbbares Genome Editing führen. Selbst einige der CRISPR-Cas9-EntwicklerInnen forderten im Februar ein temporäres Moratorium für vererbbares Genome Editing. Doch Forderungen nach einem dauerhaften Stopp dieser Art von Forschung und ein grundsätzliches Hinterfragen ihrer Ziele sind selten. Auch der Deutsche Ethikrat forderte im Mai 2019 zwar ein internationales Moratorium, aber stellte gleichzeitig fest, dass vererbbares Genome Editing grundsätzlich ethisch vertretbar sei. Der Bericht ist unter der Prämisse geschrieben, dass die Risiken von Genome Editing in Zukunft "auf ein vertretbares Maß" reduziert werden können.

Nicht nur Hes Versuche haben gezeigt, dass die Forschung von risikolosem Genome Editing weit entfernt ist. Laut seiner Daten wiesen nur wenige der behandelten Embryonen die angestrebten genetischen Veränderungen auf, viele waren genetische Mosaike - das heißt nur einige Zellen waren wie gewünscht verändert worden, andere Zellen desselben Embryos nicht. In einer Studie mit embryonalen Zellen von Mäusen aus dem letzten Jahr hinterließ CRISPR-Cas9 zum Teil gravierende Schäden im Genom der behandelten Zellen. Nach einer neuen Studie verursacht selbst eine vermeintlich harmlosere Variante, das "Base Editing", bei dem nur einzelne Bausteine der DNA verändert werden, wesentlich mehr ungewollte Änderungen als vermutet. Ob diese Effekte jemals vollständig verhinderbar sein werden oder Teil der Funktionsweise von Genome Editing-Verfahren sind, ist zu diesem Zeitpunkt reine Spekulation.


Autorin Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des Gen-ethischen Netzwerkes.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2019, Seite 22 - 23
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2019

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