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NACHSORGE/083: Reha-Konzepte neu denken (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2018

Reha
Konzepte neu denken

von Horst Kreussler


Reha-Symposium in Lübeck. Neue Ansätze sollen die medizinische Rehabilitation voranbringen.


Es ist kein Geheimnis, dass die medizinische Rehabilitation seit längerer Zeit nicht nur Wertschätzung genießt, sondern auch mit Problemen zu kämpfen hat. Patienten verstehen nicht immer die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen für ihre persönliche Situation, Reha-Einrichtungen sind nicht immer quantitativ und qualitativ optimal besetzt und behandeln nicht immer individuell genug, Kostenträger hinterfragen den Langzeitnutzen.

Dieses Szenario ruft geradezu nach erklärender und unterstützender Forschung. Und genau hier ist der norddeutsche "vffr" (Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein e.V.) schon vor rund 20 Jahren aktiv geworden. Immer neue Verbesserungsvorschläge kamen in den vergangenen Jahren auf den Tisch. Das letzte (9.) Symposium in Lübeck von vffr, Deutscher Rentenversicherung Nord und Universität zu Lübeck nahm den wichtigsten Partner, den Patienten bzw. Rehabilitanden, besonders in den Blick: "Rehabilitation neu denken - Rehabilitation soll Teilhabechancen verbessern ...", so begann der Einladungstext.

Prof. Matthias Bethge vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität zu Lübeck, der das Symposium wissenschaftlich leitete, fragte zu Beginn der Veranstaltung: "Muss das Konzept der Rehabilitation möglicherweise ganz neu gedacht werden? Muss der Zugang zur Reha kritisch reflektiert und müssen nicht neue Möglichkeiten einer umfassenden Nachsorge geschaffen werden?"

Die Referate aus den Bereichen Forschung und Reha-Praxis untermauerten diese Kernfragen und lieferten vielfach erste Ansätze. So zeigte sich im ersten Themenblock "Information durch Netz und Peers", dass webbasierte Information und Bedarfstests grundsätzlich hilfreich sein können, um bisher nicht versorgte Reha-Bedürftige zu erreichen.

In einer Studie des gastgebenden Instituts (Katja Spanier et al., "Promoting Access to Rehabilitation") wurden vier Module angeboten: Bedarfstest, Erfahrungsberichte, Information zur Rehabilitation und Hilfen zur Antragstellung. Allerdings konnten "trotz der sehr positiven Rückmeldungen" noch keine höheren Antragszahlen festgestellt werden gegenüber Personen, die ein derartiges Angebot nicht bekommen hatten. Eine alleinige bessere Verfügbarkeit von (webbasierten) Informationen sei hier offenbar nicht handlungsrelevant, schlussfolgerten die Autoren. Wichtig könnte vielmehr die Empfehlung von Personen aus dem nahen Umfeld sein, hier wurden insbesondere der Hausarzt und der Betriebsarzt genannt.

Die aktuelle Frage, ob und welche Zugangsschranken speziell für Migranten bestehen, untersuchte Daniel Nowik von der Medizinischen Hochschule Hannover. Er stellte personenbezogene, systembezogene, migrationsunspezifische und -spezifische Hindernisse vor, die durch "gezielte, kultursensible Informationsangebote" abgebaut werden könnten.

Ein anderer Zugangsbereich, der noch verbesserungsfähig wäre, betrifft Betriebe und Betriebsärzte. Während Praktiker aus den Bereichen Stadtreinigung und Post betriebliche Probleme darlegten, stellte Elke Peters vom gastgebenden Institut eine Querschnittsstudie zur betriebsärztlichen Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg vor. Sie kam zu dem klaren, wenn auch nicht überraschenden Ergebnis, dass Betriebsärzte unter folgenden günstigen Umständen die Mitarbeiter stärker zur Reha motivieren:

  • guter Informationsstand der Betriebsärzte,
  • Bewusstsein einer rehabilitativen Funktion und
  • Einbindung in das betriebliche Eingliederungsmanagement.

Eine weitere Herausforderung für Reha-Akteure könnte mit dem Stichwort patientenorientiertes Fallmanagement bezeichnet werden. Dazu sagte Bethge: "Rehabilitation als Strategie zu verstehen bedeutet auch, dass der Begriff Rehabilitation ein Dach für sehr vielfältige Instrumente und Interventionen bedeutet." Dazu gehörten die medizinische Rehabilitation, aber auch Qualifizierungsleistungen, Eingliederungszuschüsse, Arbeitsplatzanpassung, die stufenweise Wiedereingliederung oder das betriebliche Eingliederungsmanagement.

Wie ein koordinierendes Management dieser einzelnen Bausteine funktionieren kann, zeigten neben Referenten von der Universität Ulm aus der Praxis insbesondere Dr. Silke Kleinschmidt von der Curtius-Klinik Malente sowie Referenten von der kooperierenden Brücke Schleswig-Holstein gGmbH: "Für 80 Patienten der Klinik konnte in diesem Jahr eine individuelle sozialtherapeutische Anschlussbegleitung erfolgreich umgesetzt werden." Das Modellprojekt über zwölf Wochen "FÜR Arbeit" (Fallmanagement im Übergang psychosomatischer Reha und Arbeit) läuft seit Februar 2017 im Auftrag der DRV Nord an der Curtius-Klinik und an der Fachklinik in Aukrug.

Ebenfalls aus unserem Bundesland zeigten die letzten Referate zur Thematik Rehabilitation und Pflege, dass ein frühzeitiger Beginn der Rehabilitation eine Pflegebedürftigkeit abwenden oder hinauszögern kann. Das gilt allgemein in der Geriatrie und auch speziell nach dem wohl einzigartigen Ratzeburger Modell (Ameos Alzheimer-Therapiezentrum Ratzeburg) bei Demenzpatienten mit ihren pflegenden Angehörigen, so Chefarzt Synan Al-Hashimy. Hier stellte die Reha-Forscherin Dr. Ruth Deck aus Lübeck eine Evaluation vor, die den zweiten Preis des erstmals ausgelobten Posterpreiswettbewerbs gewann - neben dem ersten Preis zur Schlaganfall-Rehabilitation, den sie ebenfalls gewann.

Als Fazit aus Sicht des Berichterstatters ließe sich sagen, dass auf der einen Seite mit neuen Mitteln noch ungedeckte Reha-Nachfrage erkannt und geweckt werden kann. Sicher sollte eine "proaktive" oder "abholende" Reha nicht künstlich und unnötig Bedarf stimulieren.

Doch liegt hier eine klare Aufgabe, wenn man die Datenlage bedenkt, die kürzlich im Deutschen Ärzteblatt Nr.45/2017 angesprochen wurde: Von den geschätzt fast zwei Millionen psychisch auffälligen und rehafähigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland nahmen rund 50.000 teil, also nur etwa drei Prozent. Auf der anderen Seite, der Angebotsseite, gilt es vor allem die Leistungsfähigkeit und Attraktivität des Reha-Sektors zu steigern.


vffr

1994 wurde bundesweit der erste regionale "Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung in Schleswig-Holstein e. V.", kurz "vffr" gegründet. Mit ihm sollten regional die Voraussetzungen gezielter und kontinuierlicher Forschungsförderung geschaffen werden.

Die Schaffung der DRV Nord im Jahr 2005 ermöglichte die Erweiterung der Förderaktivitäten auf die Bundesländer Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Aufgrund geänderter Rahmenbedingungen hat sich der Verein seit 2016 mit dem Schwerpunkt der praxisorientierten Rehabilitationsforschung neu etabliert.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201801/h18014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Januar 201, Seite 16
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2018

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