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UMWELT/769: Klimawandel macht krank - Psychische Störungen nehmen zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2015

Meinung: Klimawandel macht krank - Psychische Störungen nehmen zu

von Jed Alegado and Angeli Guadalupe*


Bild: © Evan Schneider/UN

Junge in Tacloban auf den Philippinen watet durch die Trümmer, die der Taifun 'Yolanda' am 21. Dezember 2013 verursacht hatte
Bild: © Evan Schneider/UN

MANILA (IPS) - Jun, der eigentlich anders heißt, wird tagsüber wie ein Hund an die Kette gelegt. Damit will sein Bruder verhindern, dass er die Menschen seines Umfeldes angreifen und verletzen kann.

Seit drei Jahren leidet der Mann unter manischen Schüben, die ihn zu einer Gefahr für seine Umwelt machen. Taifun 'Haiyan', der die Philippinen vor zwei Jahren heimsuchte, hat die Krankheitssymptome erheblich verschlimmert.

Durch den Wirbelsturm hat Jun sein Haus, seine Frau und seine Kinder verloren. Die Folge war ein gesundheitlicher Rückfall. Nun lebt der Witwer unter dem Dach seines Bruders. Da dieser arbeiten gehen muss und die Eltern alt und viel zu schwach sind, um die Anfälle ihres anderen Sohnes zu kontrollieren, wird Jun im Haus an einem Pfosten angekettet.

Eine regelmäßige medikamentöse Behandlung des Patienten ist nicht möglich: die Präparate kann sich die Familie nicht leisten, und die Tabletten, die vom lokalen Gesundheitszentrum ausgegeben werden, sind nur unregelmäßig verfügbar.

In der Stadt Tacloban und in vielen anderen Teilen des Landes gibt es zahlreiche solcher Fälle. Der Taifun Haiyan alias 'Yolanda' hatte das Land am 8. November 2013 überfallen. Der Supertaifun der Kategorie 5 mit Windgeschwindigkeiten von 250 bis 315 Stundenkilometern kostete mindestens 6.300 Menschen das Leben. Die Schäden beliefen sich auf mehrere Milliarden Dollar.

Aufgrund der riesigen Verluste und der Schuldgefühle vieler Überlebender leidet hier jeder Zehnte an Depressionen. Doch selbst zwei Jahre nach dem Desaster wissen die wenigsten Überlebenden, dass es Anlaufstellen für Menschen mit geistigen Erkrankungen gibt. Diejenigen, die Bescheid wissen, klagen über eine schlechte Behandlungsqualität und den fehlenden Zugang zu wirksamen Medikamenten. Viele Patienten lassen sich aus Angst vor einer Stigmatisierung in einer anderen Stadt psychiatrisch behandeln.

So wie meist im Anschluss an Naturkatastrophen wird der Behandlung körperlicher Schäden Priorität eingeräumt. Das ist nachvollziehbar und vernünftig, doch sollten auch die mentalen Probleme der Opfer nicht vergessen werden.

Einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind geistige Störungen nach Herzkreislauferkrankungen mit Blick auf die behinderungsbereinigten Lebensjahre (Disability-Adjusted Life Years, DALYs) oder die Zahl der Jahre, die durch Krankheit, Behinderung oder vorzeitigen Tod verloren gehen, weltweit die Hauptmorbiditäts- und Todesursachen.

Trotz der erschreckend hohen Zahl von Betroffenen haben weltweit nur 25 Prozent von ihnen Zugang zu einer psychiatrischen Versorgung. In mehr als 40 Prozent der Länder fehlt es an einer Gesundheitspolitik zur Behandlung psychisch Kranker, und die meisten Länder geben noch nicht einmal ein Prozent ihres Gesundheitsetats für die psychische Gesundheit aus.

Heutzutage bringt uns der Klimawandel immer häufiger auftretende und zerstörerische Naturkatastrophen. In Notlagen, wie sie Naturkatastrophen darstellen, verdoppelt sich oft die Zahl geistiger Störungen. Deshalb sollten sich auch die Ausgaben zur Behandlung solcher Krankheiten insbesondere in Ländern verdoppeln, die für Naturkatastrophen besonders anfällig sind.

Wie im Fall der Philippinen, was angesichts der Tatsache, dass das Land ein Inselarchipel und Entwicklungsland zugleich ist, kein Wunder ist. Nach Angaben des UN-Universitätsinstituts für Umwelt und menschliche Sicherheit in ihrem Weltrisikoindexbericht 2014 befinden sich unter den 15 Ländern mit dem weltweit höchsten Katastrophenrisiko acht Inselstaaten einschließlich der Philippinen.

Gesundheitsexperten setzen sich für eine rasche Reaktion auf diese alarmierenden Realitäten ein. Gruppen unter Führung der Internationalen Vereinigung medizinischer Studien (IFMS) sorgen dafür, dass die Frage der Gesundheit und deren Auswirkungen auf den Klimawandel im den Text für ein neues Klimaabkommen aufgenommen werden.

Von der Vertragsstaatenkonferenz (COP 20) in Lima in Peru im letzten Jahr bis zum Folgetreffen im vergangenen Februar hat sich die Gruppe dafür stark gemacht, dass die Gesundheit wieder ins Zentrum der Verhandlungen rückt. Sie will damit sicherstellen, dass die Unterhändler auf der Klimakonferenz in Paris im Dezember ein starkes Klimaabkommen zustande bekommen.

Die Klimagespräche vom 31. August bis 4. September in Bonn - eine der letzten wenigen Verhandlungen vor der COP 21 in Paris, waren enttäuschend, da sich die Unterhändler wieder einmal um Verlust- und Schadensmechanismen gedrückt haben, die nach Ansicht von Gesundheitsexperten wichtig sind, um den Menschen zu helfen, die die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen.

Laut IFMS nimmt jedoch die Zahl der Mitgliedstaaten, die eine Aufnahme der Gesundheit in den Verhandlungstext wünschen, zu. "Als Gruppe wollen wir sicherstellen, dass Gesundheit in alle Teile des Verhandlungspapiers aufgenommen wird - in die Präambel und die Kapitel über Forschung, Kapazitätenaufbau, Klmaanpassung und -finanzierung."

Die Folgen des Klimawandels gehen über die Bereiche Umwelt, Ernährungssicherheit, Landrechte und sogar Indigenenrechte hinaus. Und was noch wichtiger ist: Der Klimawandel wirkt sich sowohl direkt als auch indirekt auf die Gesundheit aus. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels sind jedoch ungleich verteilt: gesellschaftliche Gruppen wie ältere Menschen, Kinder und schwangere Frauen haben die geringsten Anpassungschancen.

Die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) sind in dieser extrem wichtigen Angelegenheit gefragt, im Dezember ein faires und verbindliches Klimaabkommen zustande zu bringen, das die globale Erwärmung unter zwei Grad Celsius hält und den besonders bedrohten Ländern Anpassungsmechanismen ermöglicht.

Für die Zukunft werden bereits Kriege um Wasser, nicht um Öl, vorhergesagt. Die Naturkatastrophen geben uns einen Eindruck von dem Schlimmen, was auf uns zukommt, wenn sich die furchtbaren Auswirkungen des Klimawandels verstärken und uns in einer Weise betreffen, die jenseits unserer Möglichkeiten liegen, mit ihnen fertig zu werden. (Ende/IPS/kb/09.09.2015)


* Jed Alegado ist Doktorand am Internationalen Institut für Sozialstudien (ISS) in Den Haag. Angeli Guadalupe hat einen Doktor in Medizin und nimmt derzeit am Graduierten-Programm für nachhaltige Wissenschaft - Globale Leadership-Initiative der Universität Tokio teil. Beide sind 'Climate Trackers' des 'Adopt a Negotiator Project', das eine größere Verbindlichkeit von Klimazusagen anstrebt.


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/09/mental-health-another-casualty-of-changing-climate/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2015

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