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GESCHICHTE/572: Ausstellung - Als das Medizinstudium für Frauen noch "grober Unfug" war (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2014

Ausstellung
Als das Medizinstudium für Frauen noch "grober Unfug" war

Von Dirk Schnack



"Körperlich und geistig viel zu zart und schwach": wie Frauen vor 100 Jahren in der Medizin im Abseits standen - und Pionierinnen trotzdem ihren Weg machten.


Der Patient steht tatsächlich im Mittelpunkt der ärztlichen Visite, für die sich die sechs Kollegen rund um das draußen stehende Krankenhausbett versammelt haben. Sie beraten intensiv, zumindest wirkt dies auf dem 1926 aufgenommenen Foto "Ärztliche Visite im Freien" so. Das Auffälligste an der Aufnahme aber ist die abseits stehende Frau im weißen Kittel, die respektvoll abwarten muss, was ihre männlichen Kollegen entscheiden. Bei der Frau handelt es sich um Dr. Gertrud Remé. Sie war damals Volontärärztin. Es ist aber anzunehmen, dass sie auch wegen ihres Geschlechts nicht in die Gruppe der Kollegen einbezogen wurde.

Wie schwer es Frauen um diese Zeit hatten, die als Ärztin arbeiten wollten, zeigt die im vergangenen Monat eröffnete Ausstellung "Spurensuche - erste Ärztinnen in Hamburg und am UKE", die im Medizinhistorischen Museum in Hamburg zu sehen ist.

In der reich bebilderten Ausstellung finden sich immer wieder Fotos, die die Ärztinnen am Rande des männlich dominierten Berufes zeigen. So auch Dr. Lilli Meyer-Wedell auf der um 1910 herum entstandenen Aufnahme aus dem Ärztecasino. Meyer-Wedell war eine Ausnahmepersönlichkeit zu ihrer Zeit.

Sie hatte 1905 als zweite Frau überhaupt in München promoviert. Später war sie über 20 Jahre lang als Ärztin in Hamburg niedergelassen und in der Hamburger Säuglings- und Kleinkinderfürsorge tätig. Zur Einordnung: 1910 waren in ganz Hamburg nur vier Ärztinnen niedergelassen, im gesamten Deutschen Reich praktizierten 168 Ärztinnen, die meisten "ohne unliebsames Aufsehen", wie eine der Zeitleisten in der Ausstellung überschrieben ist.

Die von Prof. Eva Brinkschulte geleitete Ausstellung zeigt, "wie schwierig es war, uns an Frauen in der Medizin zu gewöhnen", wie Dekan Prof. Uwe Koch-Gromus es zur Eröffnung im vergangenen Monat ausdrückte. Die Frage, ob ein solches Thema in Zeiten eines überdurchschnittlich hohen Frauenanteils bei Studienanfängern, Absolventen und Promovierenden überhaupt Relevanz habe, wurde zur Eröffnung durchweg bejaht. Verwiesen wurde u. a. auf den noch immer sehr geringen Anteil an Medizinprofessorinnen. Ein anderes Foto aus der Ausstellung ist erneut im Ärztecasino aufgenommen: Die steifen Kragen sind verschwunden, auch Bierkrüge und Zigarren sind nicht mehr zu sehen. Die Gruppe, die sich vor der Kamera versammelt hat, zeigt die Vereinigung außerplanmäßiger Professoren und Privatdozenten in Hamburg. 50 Jahre nach dem ersten Foto ist es aufgenommen worden und wieder hat es nur eine Frau in die Gruppe geschafft. Es ist Hedwig Wallis, die später Direktorin der Psychosomatischen Abteilung der Kinderklinik werden sollte. 50 Jahre hatte es gebraucht, bis die Frau immerhin nicht mehr am Rande dieses exklusiven Zirkels, sondern - zumindest auf dem Foto - in die Mitte gerückt war. Aber: Sie war noch immer die einzige Ärztin in dieser Runde.

Wallis war eine bemerkenswerte Persönlichkeit; Meilensteine ihres Lebensweges sind in der Ausstellung nachzulesen. Eine andere Persönlichkeit war Hermine Heusler-Edenhuizen, die noch unter ganz anderen Umständen 1902 inkognito als "Schwester Hermine" arbeiten musste. Die Medizinstudentin verpflichtete sich damals als Aushilfsschwester, um praktische Erfahrungen sammeln zu können. Sie erfuhr, wie körperlich anstrengend, geprägt von Putzarbeiten und von Herablassung durch Ärzte diese Tätigkeit damals war. Gegen Äußerungen von Professoren, ein Medizinstudium von Frauen sei "grober Unfug", weil sie "körperlich und geistig viel zu zart und schwach" seien, konnte sie nicht aufbegehren, um ihre Tarnung nicht zu gefährden.

Es hat fast ein Jahrhundert gedauert, bis Frauen in der Medizin die meisten der mit solchen Vorurteilen verbundenen Hindernisse und Folgen aus dem Weg räumen konnten. Damit auch die verbliebenen noch verschwinden, ist ein Rückblick, wie ihn die Ausstellung bietet, wertvoll.

Die Ausstellung auf dem UKE-Gelände läuft noch bis ins kommende Jahr.

Info: www.uke.de/medizinhistorisches-museum

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201406/h14064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Dr. Gertrud Remé: Ärztinnen im Abseits, 1926
- "Ärztin im Kasino, 1909"

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2014
67. Jahrgang, Seite 60 - 61
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz-Joseph Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014