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KRIEGSMEDIZIN/031: Vietnam - Agent-Orange-Opfer fordern Gerechtigkeit (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 32 vom 12. August 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Agent-Orange-Opfer fordern Gerechtigkeit

Vor 50 Jahren wurde das Gift versprüht. Es wirkt bis heute

Von Stefan Kühner


Mitte Juni 2011 begannen Spezialisten des vietnamesischen Verteidigungsministeriums in voller Schutzkleidung mit der Beseitigung von Blindgängern und anderen Kampfmitteln auf dem Gelände des ehemaligen US-Militärflughafens in Da Nang. Ihre Arbeit ist doppelt gefährlich. Da sind zum einen die nicht explodierter Granaten, Minen und anderes Kriegsgerät aus dem "amerikanischen Krieg". In unseren Breiten eher bekannt als Vietnamkrieg. Das Gelände ist außerdem in hohem Maße dioxinverseucht. Die Beseitigung der Kampfmittel ist die Voraussetzung dafür, dass danach das Erdreich entgiftet werden kann. Da Nang zählt zu den drei größten "Dioxin-Hot-Spots" in Vietnam. So werden die Stellen genannt, an denen die US-Luftwaffe ab 1961 Agent Orange lagerte und in Flugzeuge umpumpte, die das Gift dann über den vietnamesischen Urwald und landwirtschaftliche Flächen versprühten. Kanadische Spezialisten beziffern nach einer Meldung von Viet Nam News vom 20. Juni 2011 die Grenzwerte auf dem Flughafenareal in Da Nang auf mehrere Hundert Mal über dem Wert, der nach internationalen Standards noch akzeptabel sei.

Mit dem Beginn der Bodensanierung in Da Nang haben 10 Jahre dauernde Verhandlungen nun endlich einen greifbaren Erfolg.

Als die ersten Minensucher bei Da Nang das Gelände betraten war auch die Geschäftsträgerin der US-Botschaft in Vietnam, Virginia Palmer, zugegen. Sie lobte das gemeinsame Projekt "Wir haben in einem gemeinsamen Projekt zur Beseitigung von Dioxinbelastungen hier in Da Nang einen großen Schritt nach vorn gemacht. Das Projekt wird gemeinsam von USAID, einer staatlichen Institution für Entwicklungshilfe, und dem Ministerium der Verteidigung Vietnams getragen."


Farmgehilfen des Todes

Begonnen hat die systematische Dioxinvergiftung Vietnams vor exakt 50 Jahren. Am 10. August 1961 versprühte die US-Luftwaffe erstmals Pflanzenvernichtungsmittel über Vietnam. Unter dem Code Namen 'Ranch Hand' (auf Deutsch: Erntehelfer oder Farmgehilfe) wurde eine hochgiftige Chemikalie über Urwäldern und Reisfeldern verteilt. Die Ziele: Zerstörung des tropischen Regenwaldes, in dem die vietnamesische Befreiungsfront ihr Rückzugsgebiet hatte. Vernichtung der Ernte, um den Kämpfern und der sie unterstützenden Bevölkerung die Nahrung zu nehmen. Das amerikanische Militär bezeichnete die damals eingesetzten Herbizide je nach Beschaffenheit mit den Farbcodes Weiß, Blau oder Orange. Das am häufigsten eingesetzte Gift hatte orangefarbene Banderolen. Es enthielt neben anderen starken Giftstoffen auch Dioxin. Insgesamt wurden ca. 75 bis 80 Millionen Liter Herbizid versprüht. Besonders betroffen waren nach 1965 die Grenzregionen zu Kambodscha und Laos sowie die Region nördlich von Ho-Chi-Minh-Stadt/Saigon.

Getroffen von der Giftbrühe wurden neben den Pflanzen auch Tiere und der Mensch. Zu den unmittelbar auftretenden Folgen gehörten Allergieschock, Erbrechen, Durchfälle, Atembeschwerden, Blutungen der Schleimhäute - nicht selten mit Todesfolge. Bei Schwangeren kam es durch die Giftwirkung vermehrt zu Fehlgeburten.


Langzeitfolgen von Agent Orange

Die Folgen der chemischen Kriegsführung in Vietnam dauern bis heute an. Betroffen sind neben den am stärksten leidenden Menschen in Vietnam, Angehörige der US-Armee und verbündete Soldaten aus Korea und Kanada.

Die US-Regierung hat nach langen Auseinandersetzungen eine Liste mit Krankheiten aufgelegt, die als Agent-Orange-Folgen anerkannt sind. US-Bürger, die an diesen Krankheiten leiden und nachweislich in Vietnam eingesetzt waren, erhalten in diesen Fällen öffentliche Leistungen zur Linderung ihrer Leiden. Letztmals im Oktober 2009 erweiterten die Gesundheitsbehörden diese Liste und ergänzten die Krankheiten B-Zell-Leukämie, Parkinson sowie krankhafte Durchblutungsstörungen des Herzens. Schon seit Jahren auf der Liste stehen unter anderem Prostatakrebs, Lungenkrebs, Weichteil-Sarkoma oder Hodgkin-Lymphome, Chlorakne, Diabetes Mellitus (Typ 2).

Die wohl schrecklichste Langzeitwirkung des Dioxins ist seine mutagene Wirkung. Die Bilder von Kindern und Erwachsenen mit fehlenden Gliedmaßen, deformierten Schädeln und sonstigen Missbildungen gingen und gehen um die Welt. In Vietnam, das mit ca. 4 Millionen Agent-Orange-Opfern am stärksten betroffen ist, gehören die jüngsten Opfern zur Generation der Enkel der Kriegsveteranen.

Auch Neukontaminationen mit Agent Orange sind immer noch nicht Vergangenheit. Bis heute sind die Belastungen in einigen Gebieten Vietnams nämlich nicht abgeklungen. An sogenannten Hotspots, also ehemaligen Lagerflächen von Herbizidfässern oder an Absturzstellen von Sprühflugzeugen; treten immer noch extrem hohe Boden- und Wasserverseuchungen auf. Besonders betroffen sind Gebiete um die Flughäfen bei Da Nang und Bien Hoa. Im Bien-Hung-See wurden nach Meldungen von Viet Nam Net im Sommer 2008 in Fischen Dioxinwerte von 15.349 ppt (parts per trillion) gemessen, Frösche wiesen 11.765 ppt auf. Der in Vietnam noch als unbedenklich geltende Wert liegt bei 1.0 ppt.


Die Selbstorganisation der Betroffenen

Die bittere Armut Vietnams in den 80er und 90er Jahren hatte besonders gravierende Auswirkungen auf die Agent-Orange-Opfer. Sie gehörten zu den Ärmsten der Armen. Die "Pflege" erfolgte in den Familien. Diese hatten aber so gut wie keine medizinischen und technischen Mittel, um schwer körperlich und geistig behinderten Kindern und Jugendlichen das Leben zu erleichtern. Auch die Möglichkeiten von Krankenhäusern und Kliniken in Vietnam waren enorm eingeschränkt. Sie waren völlig unzureichend ausgerüstet und erhielten auch kaum oder keine internationale Hilfe. Das Leiden der Agent-Orange-Opfer wurde mit wenigen Ausnahmen in der Weltöffentlichkeit bis weit in die 90er Jahre totgeschwiegen.

Die heute vorhandene Solidaritätsbewegung ging in starkem Maße von Vietnam selbst aus. 1998 entstand unter dem Schirm des vietnamesischen Roten Kreuzes das Komitee zur Unterstützung der Agent-Orange-Opfer. Im Juli 2004 etablierte sich dann die Vietnamesische Organisation der Opfer von Agent Orange (VAVA). Sie vertritt die Interessen der Betroffenen und organisiert Benefizveranstaltungen, um Geld für die Opfer zu sammeln. Die weltweit am stärksten wahrgenommene Aktion der VAVA war eine Klage, die vietnamesische Agent-Orange-Opfer gegen die amerikanischen Chemieunternehmen führen, die einst die Herbizide hergestellt und damit riesige Gewinne erwirtschaftet haben. Die Klage richtet sich gegen Dow Chemical, Monsanto und 35 andere Unternehmen. Die Verfahren zogen sich über fünf Jahren hinweg durch alle Instanzen. Ende Februar 2009 hat der Oberste Gerichtshof der USA letztinstanzlich die Klage der Agent-Orange-Opfer ohne Kommentar zurückgewiesen. Die erneute Brüskierung der Opfer durch die US-Rechtsprechung bringt diese aber nicht zum Schweigen. Auch wenn die juristischen Verfahren keinen Erfolg gebracht haben, so haben sie doch weltweit die Aufmerksamkeit auf die Problematik der Agent-Orange-Opfer gelenkt. Und auch heute, 50 Jahre nach dem Start des chemischen Krieges, ruft die VAVA die Weltöffentlichkeit zur Solidarität auf. In einem Appell aus Hanoi von Juni 2011 heißt es: "Wir appellieren an unsere Brüder und Schwestern in Vietnam und in aller Welt, die Hilfe für die Opfer von Agent Orange zu erweitern und unseren Kampf für Gerechtigkeit zu unterstützen."


Die US-Regierung übernimmt keine Verantwortung

Gemessen an den Anforderungen zur Linderung der Beschwerden der Agent-Orange-Opfer sind die in Vietnam sowie weltweit aufgebrachten Geldmittel viel zu gering. Die US-Regierung bestreitet weiterhin jeglichen ursächlichen Zusammenhang der Sprühaktionen in den 60er Jahren und den heute vorhandenen Leiden. Die USA wollen mit allen Mitteln vermeiden, dass Ansprüche auf Schadenersatz entstehen könnten. Wie groß diese Furcht ist, zeigen nicht zuletzt die Aussagen der US-Diplomatin Virginia Palmer. Bei der eingangs erwähnten Pressekonferenz zum Start der Dioxin-Dekontaminierung in Da Nang erklärte sie: "Wir verstehen die Besorgnis der Vietnamesen über die Auswirkungen von Dioxin auf die Umwelt und die Gesundheit. Unsere gemeinsamen Gespräche in den letzten Jahren haben dieses Entgiftungsprojekt ermöglicht und außerdem Hilfsprogramme zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen, egal welche Ursachen diese Behinderungen auch haben mögen. Die US-Regierung hat hierfür in den letzten fünf Jahren ungefähr 42 Millionen US-Dollar bereitgestellt." Jeder Dollar hilft den Betroffenen und jede positive Geste den Opfern gegenüber aus offiziellem US-amerikanischem Munde ist gut. Solche Gesten müssen aber größer und verbindlicher werden. Dies fordern auch die nichtstaatlichen Organisationen in den USA, die schon seit langer Zeit Hilfe leisten. Teilnehmer einer Konferenz über die Folgen von Agent Orange in Washington sprachen sich Anfang Januar 2010 für eine Ausweitung der Hilfe für vietnamesische Agent-Orange-Opfer aus. Sie bezeichneten die bisherige Hilfe als zu gering und völlig unzureichend.

Alan B. Oates, Vorsitzender der "Nationalen Vereinigung der Vietnam Veteranen" sagte während der Veranstaltung, "Ich kann nicht erkennen, dass die Regierung der USA sich wirklich um die Probleme derjenigen kümmert, die in Vietnam von den Folgen des Agent Orange betroffen sind."


Die Vietnams von heute heißen Iran, Libyen oder Jemen

Das Engagement vieler engagierter Menschen und Gruppierungen hat bewirkt, dass 50 Jahre nach dem Start der Agent-Orange-Sprühaktionen heute auch in den großen Massenmedien berichtet wird. Das ist gut. Das Problem der Zerstörung menschlicher Gesundheit und der Umwelt durch Kriege ist allerdings ganz und gar nicht Geschichte. Als die USA vor wenigen Tagen die kompletten "Pentagon Papiere" offiziell freigaben, ergriff ein Mann namens Daniel Ellsberg das Wort. Er hatte diese Papiere vor 40 Jahren in die Öffentlichkeit gebracht und die Lügen der USA über den Krieg in Vietnam entlarvt.

Heute ruft Ellsberg verantwortungsbewusste Journalisten auf, die Wahrheit über die aktuellen Kriege in die Öffentlichkeit zu tragen:

"Machen Sie nicht meinen Fehler. Warten Sie nicht, bis ein neuer Krieg im Iran begonnen hat, bis weitere Bomben in Afghanistan, in Pakistan, Libyen, Irak oder Jemen gefallen sind. Warten Sie nicht, bis Tausende gestorben sind, bevor Sie an die Presse und an den Kongress gehen, um die Wahrheit mit Dokumenten zu sagen, die Lügen und Verbrechen oder internen Projektionen von Kosten und Gefahren enthüllen."


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Aus dem Leben von Frau Dao Thi Cuc Phuong

Ihr ganzes Leben kämpft Dao Thi Cuc Phuong gegen die anhaltenden Auswirkungen von Agent Orange und die Diskriminierungen, die oftmals damit verbunden sind. Frau Dao Thi Cuc Phuong ging es nie gut. Sie litt schon seit langem unter chronischen Schmerzen und einer allgemeinen Schwäche. Seit kurzem haben diese Krankheitssyndrome aber neue Formen angenommen. Schwindelanfälle und höllische Kopfschmerzen führen zu 'Blackouts' und dies manchmal mitten im Verkehr. Seit über 32 Jahren leidet sie unter den Folgen von Agent Orange.

Phuongs Vater Dao Duy Thanh war Soldat im Amerikanische Krieg und ihre Mutter Ngo Thi Kim Phuong lebte in der Nordprovinz Ham Thuan. Als 1976 ihre Tochter Phuong geboren wurde, waren sie überglücklich. Aber ihr Glück war nur von kurzer Dauer, da sie wenige Tage später erfuhren, dass ihre Tochter eine angeborene Behinderung hatte. Einen erheblichen Teil ihrer Kindheit verbrachte Phuong im Krankenhaus. Trotzdem konnte sie im Alter von 12 Jahren auf die höhere Schule wechseln. Ihre Leiden waren etwas abgeebbt.

Phuong erinnert sich an die Zeit Ihrer Jugend. "Ich träumte davon Polizistin zu werden oder Rechtsanwältin. Aber ich wusste, dass dies nur Träume waren." Phuong schrieb sich an der Universität Ho Chi Minh Stadt ein und studierte Ökonomie und Fremdsprachen. Zwei Jahre lang ging dies gut. Mit einem Mal waren die Krankheitssymptome so plötzlich zurück, wie sie verschwunden waren. Phuong wurde bettlägerig und litt unter starken Magenkrämpfen. Sie musste nach Hause zurückkehren, um ihr Studium zu Ende zu bringen. Zu Hause, zurück in ihrem Stadtbezirk, begann sie sich gewerkschaftlich zu engagieren. Über vier Jahre lang arbeitete sie emsig und voll begeistert obwohl diese Arbeit rein ehrenamtlich war. Alle ihre Kollegen waren von ihrem Engagement ganz begeistert. Als aber die Wahlen für die neue Gewerkschaftsführung anstanden, wurde Phuong trotz ihrer Befähigung wegen ihrer Behinderungen (ihres Aussehens) nicht nominiert.

Nachfolgend bewarb sie sich bei zahlreichen Firmen als Buchhalterin. Erneut wurde sie wegen ihres Aussehens diskriminiert.

Quelle: Viet Nam Net, 17.08.2008,
http://english.vietnamnet.vn/social/2008/08/799210


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) Nr. 32 vom 12. August 2011, Seite 3
Zeitung der DKP, 43. Jahrgang
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2011