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STUDIE/473: Hamburg startet die größte Gesundheitsstudie der Welt (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2015

Studie
Hamburg startet die größte Gesundheitsstudie der Welt

Von Dirk Schnack


45.000 Hamburger sollen über mehrere Jahre beobachtet werden. Pilotphase startete im Mai. 30 Kliniken aus dem UKE sind dabei.


Die Zahlen versprechen eine Studie der Superlative. 30 Kliniken und Institute des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) sind dabei, 60 Mitarbeiter werden neu eingestellt, 500 Quadratmeter umfassen die Untersuchungsräume, 45.000 Teilnehmer werden benötigt, 112.640 Gigabyte Speicherplatz beansprucht und rund 270 Millionen Biodaten sollen verarbeitet werden. Die Hamburg City Health Study (HCHS) soll die größte Gesundheitsstudie der Welt werden, wie die Initiatoren aus dem UKE beim Start der rund sechsmonatigen Pilotphase Anfang vergangenen Monats im Hamburger Rathaus selbstbewusst ankündigten.

Auch die Namen Framingham, Kopenhagen und Mainz fielen bei der Vorstellung der Studie mehrfach. Dass die Initiatoren selbst einen Zusammenhang mit diesen für wichtige medizinische Studien stehenden Orten herstellen, zeigt, welch große Hoffnungen sie mit der neuen Studie verbinden. Tatsächlich soll die HCHS mit einer Stichprobenzahl arbeiten, die es in diesem Umfang bislang nicht gab, auch nicht in den erwähnten Orten. Erst diese Zahl an Probanden aber wird es ermöglichen, eine Daten- und Biomaterialbank aufzubauen, die es den Forschern erlaubt, ihre Untersuchungsergebnisse in einen größeren Zusammenhang zu bringen. "So können Risikofaktoren neu erforscht werden. Denn Krankheiten haben keine linearen Ursachen, sondern entstehen aus einem Geflecht persönlicher, sozialer und biologischer Voraussetzungen", erklärten die Initiatoren zum Start.

Die Probanden sollen zwischen 45 und 74 Jahre alt sein, jeweils sechs Stunden lang untersucht werden und für Folgeuntersuchungen über einen Zeitraum von sechs Jahren für den ersten Studienabschnitt zur Verfügung stehen. Jeder Teilnehmer durchläuft neun Untersuchungsstationen mit rund 20 unterschiedlichen Untersuchungsmodulen. Am Ende wird den Teilnehmern ein automatisiert erstellter Befundbericht mit einer Empfehlung zur Besprechung beim Hausarzt ausgehändigt. Im Zentrum der Beobachtung stehen 26 Erkrankungen, darunter Herzschwäche, Schlaganfall, Demenz, Depression, Prostata- und Hautkrebs. Die verschiedenen beteiligten Fachrichtungen am UKE sollen interdisziplinär kooperieren.

Im Unterschied zu der an bundesweit 18 Standorten laufenden Nationalen Kohorte, für die insgesamt 200.000 Menschen (davon 10.000 in Hamburg) untersucht werden sollen, ist die HCHS lokal begrenzt und wird von den Initiatoren als "ideale komplementäre Studie" bezeichnet. "Das Zusammenwirken beider Studien wird neue Aufschlüsse über die großen Volkskrankheiten geben und bereitet den Weg für die Medizin von morgen", hieß es zum Start.

Ihr größerer Zeitumfang, die zusätzlichen Untersuchungen und deren Tiefe lassen für Hamburg auf zusätzliche Erkenntnisse hoffen. Das UKE bemühte sich bei der Vorstellung der HCHS aber, keine Konkurrenzgedanken aufkommen zu lassen. "Wir unterstützen die Nationale Kohorte sehr", sagte der UKE-Kardiologe und Sprecher des HCHS-Gründungsvorstands Prof. Stefan Blankenberg. "Man darf die Studien nicht gegeneinander ausspielen", warnte UKE-Dekan Prof. Uwe Koch-Gromus.

Die Hamburger Studie kostet jährlich rund fünf Millionen Euro und soll mindestens zwölf Jahre lang laufen, auch wenn die angestrebte Probandenzahl nicht sofort erreicht wird. Wie wichtig das Projekt dem UKE ist, zeigt die finanzielle Beteiligung nach dreijähriger Vorarbeit. Die Hälfte des benötigten Geldes steuern die 30 eingebundenen Kliniken und Institute aus ihrem bestehenden Etat bei.

Der Anteil an der Finanzierung beeinflusst auch die Nutzungsrechte. Die weitere Finanzierung stammt aus Drittmitteln, etwa von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie von Sponsoren auch aus der Industrie. Nach Angaben von Koch-Gromus gibt es zwei große und drei kleinere Industriepartner. Es habe Anfragen von mehr als 20 Unternehmen für eine Unterstützung gegeben, berichtete Koch-Gromus. Welche Nutzungsrechte die Industriepartner damit erhalten, sei vertraglich festgehalten. Um die angestrebte Probandenzahl zu erreichen, werben seit dem Startschuss Prominente als "Botschafter" für eine Teilnahme an der Studie. Darunter sind etwa der aus Elmshorn stammende Tennis-Olympiasieger Michael Stich und der in Rendsburg geschulte Sportschau-Moderator Gerhard Delling.

Schirmherr für die HCHS ist Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. Seine Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) warb zum Start für eine breite Beteiligung und sagte: "Wer sich beteiligt, arbeitet nicht nur für die Wissenschaft, sondern für die eigene Gesundheit." Sie räumte aber zugleich ein, dass die Zahl von 45.000 Teilnehmern nicht leicht zu erreichen sein wird. Katharina Fegebank, neue Wissenschaftssenatorin und zweite Bürgermeisterin in der Hansestadt, gab sich zuversichtlich, dass die Studie am Ende die erhofften Ergebnisse bringen wird. "Ich bin sicher, dass die Forscher der Hamburg City Health Study weitere Ursachen und Risikofaktoren herausfinden werden. Die Zukunft liegt in der individualisierten Medizin. Das ehrgeizige Forschungsprojekt des UKE wird hierzu einen wichtigen Beitrag leisten", sagte die Grünen-Politikerin.

Erste Ergebnisse aus den in diesem Jahr startenden Basisuntersuchungen stellt das UKE schon für 2016 in Aussicht. Die ersten Langzeitergebnisse sollen 2021 vorliegen. Im selben Jahr beginnt die zweite Phase der als reine Beobachtungsstudie angelegten Untersuchung. Neben Koch-Gromus und Blankenberg zählen auch Prof. Christian Gerloff (Direktor der Klinik für Neurologie), Prof. Gerhard Adam (Direktor der Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie) sowie Dr. Annika Jagodzinski (Leiterin des HCHS-Studienzentrums) zu den Initiatoren.


Info

Die Hamburg City Health Study (HCHS) soll mit 45.000 Teilnehmern einmal die größte monozentrische Gesundheitsstudie der Welt werden. Mit Langzeitergebnissen ist im Jahr 2021 zu rechnen. Dann soll auch die zweite sechsjährige Untersuchungsphase beginnen, zu der jeder Teilnehmer erneut eingeladen wird, um mehr über die Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit ergeben haben, zu erfahren. Die HCHS ist eine reine Beobachtungsstudie. Neue Medikamente oder neue Therapieverfahren werden in ihrem Rahmen nicht getestet.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201506/h15064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Bei einer Temperatur von minus 80 Grad werden die Bioproben für die Studie in mehr als 150 Tiefkühlschränken im UKE gelagert.

- Hamburgs Senatorinnen Katharina Fegebank (Wissenschaft, links) und Cornelia Prüfer-Storcks (Gesundheit) sowie Prof. Uwe Koch-Gromus (links) und Prof. Stefan Blankenberg.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Juni 2015, Seite 16 - 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2015

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