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VORSORGE/448: HPV-Impfung - nötig sind sachliche Informationen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2009

HPV-Impfung - nötig sind sachliche Informationen

Von Werner Loosen


Mehr als hundert verschiedene HPV-Typen gibt es, also Arten des Humanen Papillom-Virus. Etwa 40 von ihnen sind in der Lage, Veränderungen am Gebärmutterhals zu verursachen. 13 davon sind als hochriskant zu bewerten, von ihnen können einige wenige Krebs hervorrufen. "Bei der jetzigen Diskussion über eine möglichst flächendeckende Impfung, wie sie die Pharmaindustrie haben möchte, muss bedacht werden: Diese Impfung richtet sich keinesfalls gegen den Krebs, es ist vielmehr eine Impfung gegen Viren. Und eine Virusinfektion ist nicht dem Zervixkarzinom gleichzusetzen." Dies stelle Prof. em. Dr. Winfried Kahlke zu Beginn einer Veranstaltung des Arbeitskreises Interdisziplinäres Ethik-Seminar am UKE in Hamburg fest. Das Thema: "HPV-Impfung gegen Zervixkarzinom - Chancen, Risiken, Entscheidungskonflikte".


Angst und Unsicherheit

Nach den Worten von Winfried Kahlke ist die Zahl der entsprechenden Erkrankungen seit der Einführung von Früherkennungsmaßnahmen vor einigen Jahren deutlich gesunken. Im Herbst 2006 seien zwei Impfstoffe zugelassen worden, die geeignet seien, die riskanten Viren zu eliminieren. Nun gebe es einen Streit unter den Wissenschaftlern: Im November 2008 haben 13 Gesundheitswissenschaftler ein Manifest veröffentlicht, in denen sie im Zusammenhang mit der Impfung einiges kritisch beleuchten. Selbstverständlich werden Medikamente, auch Impfstoffe, nach ärztlicher Indikation eingesetzt. Die andere Seite ist das dahinter vermutete große Geschäft der Industrie, das an sich noch nicht ehrenrührig sei, so Winfried Kahlke: "Diese Impfstoffe sind aber noch nicht lange getestet, und dennoch drängt die Industrie bereits sehr stark auf den Markt, selbst wenn der positive Nutzen einer solchen Impfung überhaupt noch nicht erwiesen ist." Kritikwürdig sei, dass Ärzte und Wissenschaftler sich beeinflussen lassen und für eine schnelle Zulassung gesorgt haben. Dagegen wenden sich die genannten 13 Wissenschaftler, die bezweifeln, dass die Impfung tatsächlich den hohen Nutzen hat, wie er versprochen und in aufwändigen Anzeigenkampagnen beinahe täglich beschworen wird. Winfried Kahlke: Der Entwicklungsprozess ist alles andere als abgeschlossen. Betroffen sind von der Kampagne vor allem die jungen Mädchen, die sich impfen lassen sollen und deren Mütter, denen eine Entscheidung abverlangt wird." Angstmacherei? Ziemlich sicher ist das so. Auf jeden Fall ist eines der Resultate der Kampagne eine starke Verunsicherung: "Sie muss ernst genommen werden", sagte Winfried Kahlke, "und es ist schwierig auch für die Ärzte, die jetzt aufgefordert sind, die Entscheidung ihrer Patientinnen mit zu tragen. Und das zu einer Zeit, in der gesicherte und ausreichende Informationen nicht vorliegen!"


Wichtig vor allem: Aufklärung

Dr. med. Ass. jur. Jasper Kiehn vom Referat Berufsordnung der Ärztekammer Hamburg erklärte, derzeit sei eine Schaden-Nutzen-Bewertung der Impfung schwierig. Andererseits werde sie bereits millionenfach angewandt, es gebe sie in der Hälfte aller Länder. Jasper Kiehn erinnerte an den rechtlichen Rahmen einer solchen Impfung: "Sie ist nur unter der Voraussetzung der Entscheidungsfreiheit möglich. Dazu muss es Aufklärung geben, und hier erwarte ich Entscheidungskonflikte, da Minderjährige betroffen sind." Sicher können Infektionskrankheiten verheerende Folgen haben. Zwar gebe es in Deutschland keine gesetzliche Impfpflicht mehr, in manchen Ländern aber werde bereits überlegt, eine solche Impfpflicht gegen Papillomaviren einzuführen. Eltern müssten sachlich aufgeklärt werden, da sie das Recht und die Pflicht haben, für das minderjährige Kind zu sorgen. Sie sollten nach den Worten von Jasper Kiehn dabei bedenken, dass es hier um eine präventive Maß nahme geht. Die Jugendlichen sollten in die Entscheidung einbezogen werden, da grundsätzlich gelte: Selbstbestimmung vor Fremdbestimmung, und: "In deren Indikationsalter von zwölf bis 17 Jahren kann man ihnen selbst kaum eine Entscheidung abverlangen - Alter, geistige und sittliche Reife sind zu unterschiedlich." Der Inhalt der Aufklärung müsse geeignet sein, zur Entscheidung beizutragen, dazu gehöre auch, den potenziellen Nutzen gegen mögliche Risiken abzuwägen. Zum allgemeinen Nutzen zählte Jasper Kiehn den Schutz vor einer HPV-Infektion durch bestimmte Virentypen, in deren Folge es zu Zellveränderungen und möglicherweise Gebärmutterhalskrebs kommen könne. Angeblich sei die Frage von Nutzen und Risiken bereits geklärt, seit die Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut (STIKO) die fragliche Impfung empfohlen habe.


Offene Fragen

Dennoch seien viele Fragen offen, sei etwa über eine Langzeitwirkung der Impfung nichts bekannt. Auch über das Studiendesign wisse man so gut wie nichts. "Über den therapeutischen Nutzen wisse man ebenso wenig", stellte Jasper Kiehn fest, "man könnte auch fragen: Soll die propagierte Impfung Voraussetzung für sexuelle Kontakte sein?" Zum Vergleich des Risikos Impfnebenwirkungen gegenüber einem Erkrankungsrisiko lasse sich ebenfalls nichts sagen. "Andererseits sind die Ärzte zu Aufklärung und Behandlung nach anerkanntem Standard verpflichtet, das wäre hier die STIKO-Empfehlung." Jasper Kiehn forderte sachliche und ausgewogene Informationen, die geeignet sein müssten, auf keinen Fall Angst zu schüren. Einwurf einer Teilnehmerin: "Gestern gab es in einer bekannten Boulevardzeitung einen groß aufgemachten Aufruf zu Impfung - wo ist da die nötige Kompetenz?!" Entscheidungskonflikte könne es geben, wenn Eltern die HPV-Impfung ablehnten, wenn sie etwa das Kindeswohl gefährdeten durch eine missbräuchliche Ausübung elterlicher Sorge. Oder: Was tun, wenn ein Mädchen gegen den Willen der Eltern geimpft werden möchte? "Der Arzt muss auf jeden Fall abwägen - er kann auf keinen Fall zur Impfung gezwungen werden, wenn er selbst nicht davon überzeugt ist. Er muss zu seiner eigenen Unsicherheit stehen und notfalls zu einem Kollegen überweisen."

Jasper Kiehns Fazit: Die Impfung gegen HPV-Viren muss freiwillig sein. Dazu sind ausgewogene Informationen für eine Nutzen-Risiko-Abwägung nötig. Minderjährige müssen in die Entscheidung einbezogen werden. Geklärt werden müssen die offenen Fragen auch deshalb, weil eine Langzeitwirkung der Impfung längst nicht gesichert ist.


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Dr. phil. Anke Steckelberg, Gesundheitswissenschaftlerin an der Universität Hamburg, berichtete von einer kürzlichen Studie mit Frauen, in der es um informierte Entscheidung gegangen sei. Nötig seien evidenzbasierte Informationen, die die vorhandenen Optionen zu Screening, Diagnostik, präventiven und therapeutischen Interventionen darlegten. "Nach den erzielten Ergebnissen können wir feststellen: Werbekampagnen wie in diesem Fall behindern jegliche Aufklärung! Sie führen vielmehr zu Angst und verursachen bei den Müttern ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich nicht so entscheiden, wie die Werbeleute das möchten." Beispielsweise seien die befragten Frauen in der Mehrzahl überzeugt gewesen, dass die in der Kampagne erwähnten Testergebnisse hundertprozentig richtig seien: "Sie haben jetzt erstmals erfahren, dass beispielsweise nicht jede HPV-Infektion automatisch einen Tumor verursacht, dass die Infektionen sich vielmehr in der Mehrzahl selbst zurückbilden." Solche Informationen seien für die Frauen bedeutsam, nötig sind nach Auffassung von Anke Steckelberg weitere Evaluationen, um die Wirksamkeit der Impfung zu überprüfen. Näheres dazu finden Interessierte in einer Broschüre, die das Nationale Netzwerk Frauen und Gesundheit veröffentlicht hat, zu dem auch der Deutsche Ärztinnenbund und Pro Familia gehören (www.nationales-netzwerk-frauengesundheit.de). Nach einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung (20.12.2008) hat sich inzwischen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) an die Impfkommission gewandt und sich auf das bereits erwähnte Manifest der 13 Wissenschaftler bezogen. Möglicherweise sei der Schutz vor Gebärmutterhalskrebs deutlich niedriger, als es der Öffentlichkeit vermittelt werde, hatten die Wissenschaftler argumentiert. Die bislang veröffentlichten Daten seien nicht überzeugend. Dazu heißt es im Bericht der Zeitung: "Dem widersprach der STIKO-Vorsitzende Friedrich Hofmann: 'Wir hatten gute Daten vorliegen, dass die Impfung die Vorformen des Krebses verhindern kann', sagte er. 'Wir haben zwar gelesen, dass die STIKO die Kritik zurückgewiesen hat', sagte der G-BA-Vorsitzende Rainer Hess, 'aber das reicht uns nicht'. In dem Brief fordere der G-BA die Impfkommission daher zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den klinischen Studien auf. 'Die STIKO muss die vorliegenden Daten noch einmal nachbewerten.'"


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200902/h090204a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Februar 2009
62. Jahrgang, Seite 66 - 68
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Karl-Werner Ratschko (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2009