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AUSLAND/1735: Südafrika - Hohe Müttersterblichkeit, inkompetente Gesundheitsdienste (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. August 2011

Südafrika: Hohe Müttersterblichkeit - Inkompetente
Gesundheitsdienste

Von Terna Gyuse


Kapstadt, 11. August (IPS) - Während im Rahmen der so genannten Millenniumsziele (MDGs) die Zahl der Frauen, die Schwangerschaft oder Geburt nicht überleben, bis 2015 weltweit halbiert werden soll, hat sich in Südafrika die Müttersterblichkeit seit 1990 vervierfacht. Die internationale Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' hat jetzt einen Bericht vorgelegt, in dem die Ursachen des in Sachen Mutterschutz versagenden südafrikanischen Gesundheitssystems aufgedeckt werden.

Während es in der gesamten Sub-Sahara-Region gelungen ist, die Müttersterblichkeit seit 1990 um durchschnittlich ein Viertel zu verringern, ist im gleichen Zeitraum im wirtschaftlich stärksten Land Afrikas die Zahl der Frauen, die Schwangerschaft oder Geburt nicht überleben, von 150 pro 100.000 Lebendgeburten (1990) auf 625 pro 100.000 (2010) gestiegen.

Südafrika investiert beachtliche Summen in sein Gesundheitssystem. Dennoch ist der Pflegestandard für schwangere und entbindende Frauen, die mittlerweile zu 87 Prozent in Gesundheitsstationen und Geburtenkliniken versorgt werden, "unentschuldbar schlecht", resümiert HRW im aktuellen Bericht 'Stop Making Excuses: Accountability for Maternal Health Care in South Africa'.

Die Autorin des Berichts, Agnes Odhiambo betonte: "Auch Südafrikas hohe HIV-Aids-Rate (18 Prozent) sowie ein verbessertes Meldesystem für Todesfälle mögen zum Anstieg der amtlichen Mortalitätsrate geführt haben. Doch in vielen Geburtsstationen werden Frauen, die entbinden, vom Personal vernachlässigt, allein gelassen, schikaniert und beschimpft. Von HIV-Patientinnen und Ausländerinnen war zu erfahren, dass sie besonders stark diskriminiert wurden. Ich war schockiert über den inhumanen Umgang mit den Frauen."

Grundlage des HRW-Berichts waren Interviews mit 157 Frauen, die in Gesundheitseinrichtungen der Provinz Eastern Cape entbunden hatten. Zusätzlich sahen sich Experten in 16 medizinischen Gemeindezentren in Bezirken um, in denen die Müttersterblichkeit nach Angaben des Gesundheitsministeriums besonders hoch ist.


Mit totem Säugling über Stunden angenabelt

Viele der von HRW befragten Zeuginnen berichteten von Pflegekräften, die den Frauen ihre Hilfe verweigerten oder sie stundenlang warten ließen, obwohl die Wehen bereits eingesetzt hatten. In dem Bericht wird eine Mutter zitiert, die einen Krankenwagen rief, weil ihre Tochter eine Totgeburt erlitten hatte. "Obwohl sie stark blutete, half ihr niemand. Mit dem noch nicht abgenabelten toten Baby musste sie in die Ambulanz steigen. Man brachte sie ins Dora Nginza-Zentrum und ließ sie dort stundenlang unversorgt." Die junge Mutter überlebte die Strapazen nicht und starb eine Woche später.

"Die Frauen werden im Stich gelassen", klagte Odhiambo. Xolani Malamlela, regionaler Sekretär der Arbeitergewerkschaft für Bildung und Gesundheit (Nehawu), räumte ein, das Gesundheitspersonal arbeite gelegentlich inkompetent. Nach Ansicht seiner Gewerkschaft liege die eigentliche Ursache dieses Problems jedoch beim miserablen Management des Gesundheitssystems. "Dennoch ist es nicht hinnehmbar, dass Pflegekräfte Patientinnen schikanieren", betonte er.

Allerdings sei das Personal häufig demotiviert und überarbeitet und müsse oft lange auf die Auszahlung der Löhne warten, berichtete der Gewerkschaftler. Überdies sorge die zentralisierte Lagerhaltung von Medikamenten und medizinischem Material in der Provinzhauptstadt dafür, dass sich die Krankenhäuser nicht selbst entsprechend ihres jeweiligen Bedarfs versorgen können.

Odhiambos Bericht verweist jedoch auf landesweite, strukturelle Versäumnisse der südafrikanischen Behörden. So sammelten diese keine detaillierten statistischen Informationen über die Müttersterblichkeit. Mit dem Hinweis auf die hohen Kosten hat es in Südafrika seit 2003 keine staatliche Untersuchung der Demographie und Gesundheitslage gegeben.


Aids begünstigte hohe Müttersterblichkeit

"Unsere Gesundheitssysteme müssen auf den Prüfstand gestellt werden", forderte die Hebamme Marion Stevens, die für die Initiative 'Women in Sexual and Reproduction Rights and Health' arbeitet. Sie hält HIV/Aids für eine wesentliche Ursache der hohen Müttersterblichkeit in Südafrika und wirft dem Gesundheitsministerium vor, diesen Faktor bei der Versorgung Schwangerer zu wenig zu berücksichtigen. So sei es unverantwortlich, werdende Mütter anzuweisen, sich erst nach der 20. Schwangerschaftswoche in den überlasteten Kliniken untersuchen zu lassen. "Dann kommt die ärztliche Hilfe für kranke oder HIV-positive Schwangere ebenso zu spät wie für Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen", erklärte die Aktivistin.

Sie berichtete, das Gesundheitsministerium habe zwar neue Pläne für die Rechte der Reproduktions- und Sexualmedizin erarbeitet, in die auch die ganzheitliche Gesundheitsversorgung von Frauen integriert ist. "Doch seit Mai verstaubt das fertige Exposé auf einem Behördenschreibtisch", kritisierte sie.

Es sei an der Zeit, auch die Patienten in die Kontrollen der Gesundheitseinrichtungen einzubeziehen, betonte Stevens. Das Gesundheitspersonal müsse lernen, sachlich auf Beschwerden von Patienten einzugehen, ohne sich durch Klagen persönlich angegriffen zu fühlen. "Die Regierung muss dafür sorgen, dass die zwischen medizinischem Personal und Patienten bestehenden Barrieren abgebaut werden", forderte sie. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2011