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AUSLAND/1743: Guatemala - Kontrolldefizite bei Menschenversuchen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. September 2011

Guatemala: Kontrolldefizite bei Menschenversuchen

von Danilo Valladares


Guatemala-Stadt, Washington, 12. September (IPS) - Aufgrund inadäquater Kontrollen und Sicherheitsbestimmungen konnten US-amerikanische Ärzte in den Jahren 1946 bis 1948 1.300 Guatemalteken gezielt und ohne deren Wissen mit sexuell übertragbaren Krankheiten infizieren. Eine von US-Präsident Barack Obama eingesetzte Untersuchungskommission kommt zu dem Schluss, dass die existierenden Sicherheitsstandards auch 65 Jahre nach der grausigen Versuchsreihe tief greifende Mängel aufweisen.

"Es fehlen ausgebildete Experten, die die Forschungsreihen effektiv überwachen. International anerkannte Standards und Regelungen sind entweder nur schwach ausgeprägt oder werden nicht eingehalten", kritisierte Luis López, eines von 14 Kommissionsmitgliedern.

In Guatemala regelt ein Abkommen des Gesundheitsministeriums aus dem Jahre 2007 die medizinische Forschung. Das Problem besteht López zufolge darin, dass die Übereinkunft über keinerlei Rechtskraft verfügt und intersektorale Aspekte, die bei Menschenexperimenten eine Rolle spielen könnten, ignoriert werden.

In den 1940er Jahren, als Häftlinge, Wehrdienstleistende, Prostituierte, psychisch Kranke und Waisenkinder als Testpersonen für die Wirksamkeit von ++(Penezilin)[Penizillin] mit Syphilis, Gonorrhö und Weichem Schanker angesteckt wurden, waren gar keine Richtlinien vorhanden. "Doch auch heute sind die Kontrollen so lax, dass nicht alle auf Menschenversuchen basierenden Studien dem Gesundheitsministerium vorgelegt werden", erläuterte López.

Universitäten, Krankenhäuser und andere Institutionen verfügen zwar über zahlreiche klinische Ethikkomitees. Doch letztlich entscheidet das Gesundheitsministerium über die Kommission zur Einschätzung klinischer Tests über die Durchführung.

Susan Reverby, eine Professorin am Wellesley College im US-Bundesstaat Massachusetts, hatte die Experimente im Oktober 2010 öffentlich gemacht. Sie waren vom US-Gesundheitsdienst des Nationalen US-Gesundheitsinstituts NIH unter Leitung des US-Arztes John Cutler in Zusammenarbeit mit guatemaltekischen Medizinern durchgeführt worden.

Wie Reverby kritisierte, wurde der Fall von den Medien trivialisiert. Mit einer Einteilung der Welt in die Guten und die Bösen werde der falsche Eindruck erweckt, dass sich eine solche Tragödie mit den richtigen Bestimmungen nicht wiederholen werde. Es dürfe nicht vergessen werden, "dass die beteiligten Personen zum Zeitpunkt der Experimente fest davon überzeugt gewesen waren, das Richtige zu tun".


Obama entschuldigt sich bei den Opfern

Obama hatte sich gleich nach der Veröffentlichung des Skandals bei den Opfern entschuldigt und die Kommission ins Leben gerufen, die die damaligen Vorgänge und die Sicherheitsstandards im Umgang mit menschlichen Testpersonen in laufenden US-Versuchsreihen untersuchen sollte.

Ende August wartete die Kommission mit Details auf und berichtete, dass die in Guatemala durchgeführten Experimente noch nicht einmal damaligen Mindeststandards genügten. Außerdem wurden nur 700 der 1.300 mit Geschlechtskrankheiten infizierten Testpersonen medizinisch behandelt. Mindestens 83 der insgesamt 5.500 Probanden starben vor Ende 1953, ohne dass sich allerdings klären ließ, ob die Opfer tatsächlich an den Folgen der Experimente gestorben sind.

Auch die guatemaltekische Regierung richtete eine Ermittlungskommission ein, deren Ergebnisse jedoch noch nicht vorliegen. Die Behörden konnten fünf Überlebende der Experimente ausfindig machen, die nun entschädigt werden sollen. Guatemala ist ein armes Land. Die Hälfte der 14 Millionen Guatemalteken lebt in Armut, 17 Prozent in extremer Armut. Entsprechend schlecht ist es um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung bestellt.


Empfehlungen

Im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Testreihen wartete die US-Kommission mit einigen Empfehlungen für Guatemala auf. So sei es wichtig, die Kontrolleure angemessen auf ihre Arbeit vorzubereiten und die Standardbestimmungen zur Regulierung klinischer Tests in Gesetze umzuwandeln, wie sie bereits in Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru zu finden seien.

Dem Experten López zufolge sollten sich klinische Tests vor allem auf Krankheiten wie Chagas, Tuberkulose, Leishmaniose und Malaria konzentrieren, "die in armen Ländern verbreitet sind, aber von der Pharmaindustrie, denen noch nie an der Lösung der Probleme lokaler Bevölkerungen gelegen war, ignoriert werden".

Die von Obama ins Leben gerufene Kommission hat im Zusammenhang mit den Menschenversuchen von 1946 bis 1948 auch Ethikkurse für Wissenschaftler, die Entschädigung der Menschen, die bei den Experimenten zu Schaden kamen und eine Harmonisierung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit vorgeschlagen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://bioethics.gov/cms/node/249
http://www.bioethics.gov/
http://www.ipsnoticias.net/print.asp?idnews=99082

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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2011