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AUSLAND/1860: Fördert die EU Abtreibungen in Entwicklungsländern? (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 102 - 2. Quartal 2012
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Fördert die EU Abtreibungen in Entwicklungsländern?

Von Sophia Kuby



Ob es einem Staat erlaubt sein kann, die Tötung ungeborener Kinder zu gestatten und rechtlich zu regeln, ist umstritten. Fest steht: Noch nie hat ein Staatenbündnis eine solche Kompetenz beansprucht. Auch in der Europäischen Union gilt: Rechtlich fällt Abtreibung in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten. Dennoch heißt es immer wieder, die Europäische Union fördere Abtreibungen in Entwicklungsländern. Die Nichtregierungsorganisation European Dignity Watch ist diesem Vorwurf nachgegangen und hat Erstaunliches entdeckt.


Die Europäische Union (EU) besitzt keine Kompetenz in Sachen Abtreibung. Auch schließt der Begriff »sexuelle und reproduktive Gesundheit«, wie er von der EU definiert ist, Abtreibung explizit aus. Dennoch finanziert die Europäische Kommission regelmäßig aus Steuergeldern Projekte der beiden weltgrößten Abtreibungsorganisationen, wie ein neuer Bericht von European Dignity Watch zeigt. Das wirft Fragen auf: werden EU-Gelder, die für Entwicklungshilfe und öffentliche Gesundheit bestimmt sind, für Abtreibungsfinanzierung ausgegeben? Passiert das aus Nachlässigkeit oder absichtlich? Wenn absichtlich, ist es legal? Wenn es eine ungewollte Folge von Nachlässigkeit ist, ist die Kommission bereit, in Zukunft mehr Sorgfalt walten zu lassen?


»Sexuelle und reproduktive Gesundheit«

Das EU-Recht ist in der Sache klar: Abtreibung darf keinesfalls als Mittel der Familienplanung gefördert werden (vgl. Verordnung 1567/2003). Die Definition von »sexueller und reproduktiver Gesundheit« (SRG) geht zurück auf die Definition, die auf der Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen 1994 in Kairo (ICPD) festgelegt wurde. Diese gibt keinen Hinweis darauf, dass Abtreibung - in egal welcher Form - Teil von ihr ist. Im Bericht der ICPD von 1994 heißt es: »Sexuelle und reproduktive Gesundheit (...) beinhaltet das Recht von Männern und Frauen auf Information und Zugang zu sicheren, wirkungsvollen, bezahlbaren und akzeptablen Methoden der Familienplanung ihrer Wahl (...)« In Punkt 8.25 des Berichts findet sich unmissverständlich klargestellt, dass »Abtreibung in keinem Fall als eine Methode der Familienplanung gefördert werden [darf]«. Mehr noch: das Thema Abtreibung wurde bei der Konferenz vor fast 20 Jahren hitzig und kontrovers diskutiert. Das Thema war der große Streitpunkt des »Aktionsprogramms« der Konferenz, das schließlich davon absah, Abtreibung als Bestandteil in die SRG-Definition aufzunehmen.

Auf Anfragen von Europaabgeordneten hat die Europäische Kommission wiederholt und schriftlich bestätigt, dass die ICPD-Definition von SRG Abtreibung explizit ausschließe und die EU zu keiner Zeit eine alternative Definition verabschiedet habe. Nicht weniger oft und deutlich hat auch der Rat der Europäischen Union klargestellt, dass Abtreibung außerhalb der SRG liege. Auf eine mündliche Anfrage eines Europaabgeordneten, ob der Begriff SRG Abtreibung einschließe, Ja oder Nein, antwortete der Vertreter des Rates: »Nein.«

Ein Argument, das zum Beispiel von der UN-Frauenstatuskommission und von Abtreibungslobbyisten vorgebracht wird, besagt, dass der Begriff SRG zwar Abtreibung nicht explizit, wohl aber implizit einschließe. Dieses Argument hält jedoch nicht Stand. Soll Abtreibung implizit im Begriff SRG beinhaltet sein, muss sie entweder in der Bedeutung des Begriffs selbst beinhaltet oder wesentlich für die Erreichung des Ziels von SRG sein. Beides ist nicht der Fall. Erstens bezieht sich der Begriff SRG zunächst auf die sexuelle Gesundheit einer Person und die Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens. Außerdem setzt reproduktive Gesundheit voraus, dass »Reproduktion« stattfindet oder stattfinden soll, ohne die Gesundheit der beteiligten Personen zu gefährden. Abtreibung hingegen beendet den Prozess der Reproduktion und ist nicht nur kein Bestandteil von SRG, sondern ihr der Bedeutung nach diametral entgegengesetzt.


Abtreibung steht Gesundheit entgegen

Neue Studien zeigen darüber hinaus auf, dass Abtreibung die SRG von Frauen nicht fördert, sondern mindert. Laut dem »International Journal of Obstetrics and Gynaecology« (2009, S. 1425-1442) tragen Frauen, die eine Abtreibung gehabt haben, ein um 35 Prozent höheres Risiko der Frühgeburt bei nachfolgenden Schwangerschaften. Dieses Risiko steigt auf 75 Prozent nach einer zweiten Abtreibung. Doch nicht nur die physische Gesundheit steht auf dem Spiel. Im September 2011 publizierte das »British Journal of Psychiatry« die Ergebnisse der größten Studie dieser Art (»Abtreibung und mentale Gesundheit: quantitative Synthese und Analyse von Forschung zwischen 1995 und 2009«): Demnach stünden zehn Prozent aller Probleme mentaler Gesundheit mit Abtreibungen in Verbindung. Insgesamt sei das Risiko, psychische Probleme nach einer Abtreib ung davonzutragen, um 55 Prozent bis 138 Prozent höher als bei allen untersuchten Frauen, die ihr Kind ausgetragen hatten.


Fragwürdige Partnerschaften

Ein guter Teil der EU-finanzierten SRG-Projekte wird von den beiden Organisationen International Planned Parenthood Federation (IPPF) und Marie Stopes International (MSI) ausgeführt. Die intensive und regelmäßige Zusammenarbeit der EU und der genannten Organisationen sowie der extrem aufwändige und strenge Prozess, der von der EU-Kommission bei der Vergabe von Förderung angewandt wird, sollten denken lassen, dass IPPF und MSI vollstän dig mit der EU-Definition von SRG übereinstimmen. Ein Blick auf deren Webseiten genügt, um festzustellen, dass ihre zentralen Anliegen dazu in krassem Widerspruch stehen. MSI beschreibt in seinem »Global Impact Report 2010« die folgende Strategie der Organisation: 1) weltweite Ausweitung des Zugangs zu Abtreibung, wo erlaubt, und 2) Training von Personal für Abtreibung und »manuelle Vakuum-Absaugungstechniken«. Die Organisation brüstet sich, weltweit die meisten Abtreibungen zu ermöglichen: 2010 nutzten geschätzte eine Million Frauen die Abtreibungsdienstleistungen der Organisation.

Die IPPF ist noch kühner. In ihrem Jahresbericht 2007/2008 versichert sie, der Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung sei ein »Menschenrechtsimperativ«. Zwischen 2005 und 2007 verdreifachten die IPPF und ihre Mitgliedsorganisationen (in Deutschland: »pro familia«) weltweit ihre Dienstleistungen rund um Abtreibung. Berechnungen von European Dignity Watch ergeben, dass MSI 2007 mindestens 3,5 Millionen Euro und 2005 und 2009 mindestens 9 Millionen Euro für Projekte aus EU-Steuermitteln erhalten hat. MSI selbst beziffert die finanzielle Förderung durch die EU für die Jahre 2005 und 2009 sogar auf knapp 18 Millionen Euro. Die Förderungssummen der EU-Kommission für Projekte, die European Dignity Watch analysiert hat, bewegen sich zwischen 750.000 Euro und 2,5 Millionen Euro. Die meisten davon führen in ihren Projektberichten an, tausende von »Menstruationsregulierungen« bereitgestellt sowie Personal in der Bereitstellung dieser Technik geschult zu haben. Die Bedeutung dieser so harmlos wie positiv klingenden »Menstruationsregulierung« ist in keinem der Projektberichte erklärt, kann jedoch abermals unkompliziert auf den organisationseigenen Webseiten erhellt werden.


Was meint »Menstruationsregulierung«?

IPPF zufolge ist »Menstruationsregulierung« ein Vorgang, in dem der Uterus durch einen manuellen Vakuumsauger entleert wird. Beide Organisationen führen als Unterschied zu chirurgischer Abtreibung an, dass diese Technik absichtlich vor der offiziellen Feststellung einer Schwangerschaft angewandt wird. Der Vorgang der »Menstruationsregulierung« wird normalerweise von einem Arzt oder einer Hebamme, aber durchaus auch von einem Familienmitglied der Frau vorgenommen. Dabei wird die Kanüle des Absauggeräts durch den geweiteten Gebärmutterhals eingeführt und mit Hilfe eines Kolbens ein so starker Sog erzeugt, dass es den Uterus vollständig entleert, inklusive Fetus, Plazenta und Gebärmuttergewebe.

»Menstruationsregulierung« saugt also den Inhalt des Uterus der Frau ab, in dem sich wahrscheinlich ein Fötus eingenistet hat. Chirurgische Abtreibung hingegen entfernt den Inhalt des Uterus, in dem die Einnistung des Fötus festgestellt wurde. Die Technik kann in beiden Fällen exakt dieselbe sein. Bis zur zwölften Woche ist der Fötus weich und der Sog stark genug, um alles durch eine enge Kanüle abzusaugen. Das Ergebnis ist ein undefinierbares, blutiges Gewebe. Dies ist entscheidend für den massenhaften Einsatz dieser Technik auch in Ländern, in denen Abtreibung verboten ist, da die Strafgesetze vieler dieser Länder physische Evidenz zur Feststellung einer (illegalen) Abtreibung verlangen. Nicht ohne Grund wird »Menstruationsregulierung« von Personen wie Malcom Potts, erster medizinischer Direktor von IPPF, oft für seine Nützlichkeit gepriesen, restriktive Abtreibungsgesetze zu umgehen. Die Absaugtechnik der »Menstruationsregulierung« macht es schlicht unmöglich, weltweit agierenden Abtreibungsorganisationen illegale Abtreibung vorzuwerfen, da ein physischer Beweis so gut wie unmöglich ist.

Wenn man bedenkt, dass es nach Jahrzehnten der Entwicklungspolitik durch UNO und EU nicht weniger, sondern mehr Armut gibt, dass immer noch Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, minimaler Gesundheitsversorgung, Bildung haben, ist man in der Tat versucht zu fragen, ob die EU mit ihrer Entwicklungspolitik im Bereich SRG nicht eher die Armen als die Armut bekämpft.


INFO
European Dignity Watch

Von Brüssel aus verfolgt die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation European Dignity Watch seit dem Jahr 2010 aufmerksam die politische Agenda Europäischer Institutionen wie die des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission. Dabei versteht sich European Dignity Watch als »aktive Interessensvertretung«, die darüber wacht, dass in der Europäischen Politik der Würde der Person und den Grundfreiheiten Rechnung getragen wird. Ein Grund: Nach Ansicht von European Dignity Watch ruhen »freie und gerechte Gesellschaften« auf drei Säulen: Dem Recht auf Leben, der Familie und der Freiheit. Im März 2012 veröffentlichte European Dignity Watch unter der Überschrift »The Funding of Abortion through EU Development Aid« einen lesenswerten Report, der die Politik der Europäischen Union auf dem Gebiet der »sexuellen und reproduktiven Gesundheit« analysiert.   reh

Mehr Infos sowie den Report zum Download gibt es unter
www.europeandignitywatch.org.


IM PORTRAIT

Sophia Kuby, Jahrgang 1981, ist Direktorin der in Brüssel ansässigen Nichtregierungsorganisation European Dignity Watch. Während und nach dem Philosophiestudium studierte und arbeitete sie in verschiedenen Ländern (Frankreich, Chile, Australien). Vor ihrem Wechsel nach Brüssel arbeitete sie als Presse- und Marketingverantwortliche eines Münchner Medienunternehmens. Im Ehrenamt ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende und Jugendbeauftragte der Christdemokraten für das Leben e.V.

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 102, 2. Quartal 2012, S. 16 - 17
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2012