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AUSLAND/1965: Pakistan - Zehn Prozent der Krankenhauspatienten kommen aus Afghanistan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Mai 2013

Pakistan: Zehn Prozent der Krankenhauspatienten kommen aus Afghanistan - Zustrom verschärft Gesundheitskrise

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Tausende Afghaninnen lassen sich und ihre Kinder in Pakistan
medizinisch behandeln
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 5. Juni (IPS) - Muzaffar Shah, ein Händler aus der afghanischen Hauptstadt Kabul, wartet in einem Krankenhaus im Norden Pakistans verzweifelt darauf, dass ihm die Ärzte über den Zustand seiner Frau berichten. Fast 300 Kilometer hat er zurückgelegt, um zum Khyber-Lehrkrankenhaus in Peshawar zu gelangen, wo die Patientin auf der Intensivstation betreut wird.

Erst vor einigen Tagen wurde sie von einem Jungen entbunden, der binnen weniger Minuten starb. Kurz darauf setzten bei der Frau starke Blutungen ein. "Zuerst kam sie in das Indira-Gandhi-Kinderkrankenhaus in Kabul, wo es aber nur selten Strom gab und es auch an Wasser fehlte. Das hat die Behandlung erheblich erschwert", berichtet Shah. Als sich der Zustand seiner Frau nach zwei Tagen noch nicht gebessert hatte, brachte er sie eiligst nach Pakistan.

Die Kranke erhält in Peshawar täglich drei Blutkonserven, und ihre Überlebenschancen sind gestiegen. Dass sie sich noch nicht vollständig erholt hat, führen die Ärzte darauf zurück, dass sie während der Geburt nicht sofort medizinisch versorgt wurde.

Muhammad Shaukat von der Gesundheitsbehörde in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa berichtet, dass die Ärzte mittlerweile daran gewöhnt seien, afghanische Patienten zu behandeln. Meist sind es Frauen, die nach der Entbindung dringend Hilfe brauchen.

"Die drei Lehrkrankenhäuser in der Grenzstadt Peshawar nehmen jeden Monat mindestens 1.000 Afghanen auf, die aus der afghanischen Hauptstadt Kabul oder Provinzen wie Jalalabad und Kunar kommen, wo es keine spezialisierten medizinischen Einrichtungen gibt", sagt Shaukat.

Die meisten Hospitäler in Afghanistan sind notdürftig ausgestattet und personell unterbesetzt. Die Krise im Gesundheitssektor wird durch den Mangel an lebenserhaltenden Medikamenten verschärft. Afghanische Patienten belegen mittlerweile zehn Prozent der Betten in den Krankenhäusern von Peshawar. "Sie werden zu einer Belastung, aber wir können ihnen aus humanitären Gründen die Aufnahme nicht verwehren", erklärte Shaukat.


Zunahme afghanischer Patienten erwartet

Im vergangenen Jahr behandelten die Krankenhäuser in der nördlichen Provinz insgesamt etwa 34.888 Afghanen. In diesem Jahr dürfte die Zahl weiter steigen. Bis zum 20. Mai wurden bereits 20.000 Patienten aus dem Nachbarland versorgt. Wie der Mediziner Hakimullah Khan erklärte, nahm allein das staatliche Krankenhaus 'Hayatabad Medical Complex' (HMC) in Peshawar im vergangenen Jahr mehr als 3.400 Afghanen auf, vor allem Frauen und Kinder.

Laut Sardar Ali von der Weltgesundheitsorganisation WHO liegt die Müttersterblichkeit in Afghanistan bei 500 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten, während das Verhältnis in Pakistan 250 zu 100.000 beträgt. Im Vergleich dazu kommen in den USA auf 100.000 Lebendgeburten sieben Todesfälle.

Auch die hohe Säuglingssterblichkeit in Afghanistan zeigt, dass dort eine adäquate medizinische Infrastruktur und ausgebildete Fachkräfte fast völlig fehlen. Von 1.000 lebend geborenen Säuglingen sterben im Durchschnitt 152. Nur bei acht Prozent aller Geburten sind in Afghanistan Ärzte und Hebammen anwesend, während dies in Pakistan bei 35 Prozent der Geburten der Fall ist.

Manche Experten führen die katastrophale Situation im Gesundheitssektor auf die politische Instabilität in Afghanistan zurück. Ahmed Jamal, ein Arzt aus der ostafghanischen Stadt Jalalabad, berichtet, dass seit dem Sturz der Taliban-Regierung durch die US-geführten Truppen 2001 die Gesundheitsversorgung im Land fast vollständig vom Ausland finanziert wird. 70 Prozent der Bevölkerung werden in Einrichtungen behandelt, die die WHO, das Weltkinderhilfswerk UNICEF und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) betreiben.

Seit 2002 hat Afghanistan etwa 60 Milliarden Dollar an Finanzhilfen erhalten. Ein Großteil davon wurde für Schulen oder Hospitäler verwendet. Trotz großzügiger internationaler Spenden haben aber fast 40 Prozent der 25 Millionen Einwohner des Landes keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Schätzungen zufolge ist die Kindersterblichkeit in den zehn Jahren nach der US-Invasion um die Hälfte gesunken. Etwa ein Fünftel aller Neugeborenen ist aber untergewichtig und akut mangelernährt. Nach Angaben der WHO gibt es in der Stadt Kabul mit 3,2 Millionen Einwohnern statistisch gesehen 1,28 Krankenhausbetten für jeweils 1.000 Menschen. In anderen Provinzen kommen sogar nur zwei Betten auf jeweils 10.000 Menschen.


Kein einziges Krebszentrum in Afghanistan

Aufgrund der schlechten Ausstattung und der mangelhaften Strom- und Wasserversorgung sind die Krankenhäuser oft nur zur Hälfte belegt. Krebskranke finden kein einziges spezialisiertes Behandlungszentrum. Laut Abdul Shakoor vom Institut für Radiotherapie und Nuklearmedizin in Peshawar kommen inzwischen 15 Prozent aller Krebspatienten in Pakistan aus Afghanistan.

Nicht alle Afghanen können sich allerdings eine bessere Behandlung in Pakistan leisten. Der Autohändler Aziz Ahmed aus Kabul schaffte es mit Müh und Not, den Aufenthalt seines Vaters in einer Privatklinik in Peshawar zu bezahlen, wo diesem ein Nierenstein entfernt wurde. "Die meisten meiner Landsleute können sich das jedoch nicht leisten", sagt er.

Wer sich jenseits der Grenze behandeln lassen will, muss nicht nur die Krankenhausgebühren aufbringen, sondern auch für etwa 200 Dollar ein Auto mieten und auf der Fahrt über unwegsame Straßen zahlreiche Kontrollpunkte passieren. Das Risiko für Schwerkranke, auf der Fahrt zu sterben, ist hoch. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.who.int/countries/afg/en/
http://www.ipsnews.net/2013/06/good-health-lies-just-across-the-border/

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IPS-Tagesdienst vom 5. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2013