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AUSLAND/2053: Globaler Süden - Menstruationshygiene im Schatten der Millennium-Entwicklungsziele (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 124, 2/13

Menstruationshygiene im Schatten der Millennium-Entwicklungsziele
Ein Jahr nach dem 6. Weltwasserforum in Marseille

Von Martina Podeprel



Die Monatsblutung ist durchwegs in allen Breitengraden unseres Planeten noch immer ein Tabuthema. So verwundert es nicht, dass bei WASH-Projekten (Wasser, Sanitäre Anlagen, Hygiene) in Ländern des globalen Südens der Aspekt der Menstruationshygiene noch kaum Beachtung gefunden hat. Über Initiativen wie SHARE (Sanitation and Hygiene Applied Research for Equity) und Plattformen wie das Weltwasserforum wird die Thematik zwar über das Konzept Menstrual Hygiene Management (MHM) in den vorherrschenden Diskurs der Millennium-Entwicklungsziele eingebettet, jedoch reicht dies im Zuge von einseitigem Wissenstransfer nicht aus, um strukturelle Ungleichheiten zu beseitigen.


SHARE - what?

SHARE ist ein vom britischen Ministerium für internationale Entwicklung gefördertes 5-Jahres-Programm (2010-2015), das sich mit einem breit aufgestellten Konsortium - alle angesiedelt im Geflecht der großen internationalen Organisationen, u. a. WaterAid - auch dem Thema Menstruationshygiene widmet. Projektberichte aus Ländern des Südens regten dazu an, das Verhalten der Betroffenen zu reflektieren. Eine Dorfbewohnerin in Sheopur, einem Bezirk des indischen Bundesstaates Madyha Pradesh, bemerkte beiläufig zu einer WaterAid-Mitarbeiterin, für die Menstruationshygiene denselben Stoff seit vier Jahren zu verwenden. Eine andere Jugendliche aus dem Bezirk Sehore erklärte, ihre Mutter erlaube ihr aufgrund ihrer Unreinheit während der Menstruation nicht, die häusliche Toilette zu benützen.

Diese und andere Erfahrungen gaben den Impuls, diesen vernachlässigten, aber höchst entscheidenden Aspekt für die Würde und Gesundheit der Frauen und Mädchen zu adressieren und in zukünftige WASH-Projekte einzubinden. Zu diesem Zwecke veranstaltete SHARE eine Vortragsreihe beim 6. Weltwasserforum in Marseille im März 2012. Die Präsentationen erkennen Bewusstseinsbildung sowie die lokale Produktion und Abfallbeseitigung von Monatsbinden als primäre Dimensionen für MHM an. Tabus über Menstruation können das Selbstbild junger Mädchen sowie in Folge ihre Schulbesuchsrate negativ beeinflussen und zu sozialer Exklusion und langfristigen gesundheitlichen Schäden führen. Diesen Gefahren könne nur durch Veränderungen in Bewusstsein und Verhalten der jungen Frauen entgegengewirkt werden und durch den Verkauf von Wegwerfbinden, so der Tenor der MHM-Advokat_innen. Doch so wichtig eine Enttabuisierung ist, sie kann nicht positiv auf die gesellschaftlichen Strukturen der Zielgruppen einwirken, wenn die Maßnahmen dafür anhand normativ geprägter Wissensbestände der Länder des Nordens formuliert und damit ausschließlich durch die Brille der Initiator_innen gestaltet werden.


6. Weltwasserforum 2012 in Marseille

Das Weltwasserforum wird alle drei Jahre vom Weltwasserrat organisiert, der u. a. von den weltweit größten Wasserkonzernen Veolia und Suez gegründet wurde. Eine ähnliche Politik dieser Konzerne ist auch auf dem Forum präsent, nicht zuletzt deshalb wurde das alternative Wasserforum FAME ins Leben gerufen, das die getäuschte Bürger_innennähe und die Aneignung kritischer Diskurse durch die Teilnehmer_innen des Forums kritisiert. Das Motto "Le temps des solutions" - Zeit für Lösungen - mutete tatsächlich etwas seltsam an, stellt sich doch die Frage, wer diese Lösungen bereitstellt, um "Defizite" in Ländern des globalen Südens auszugleichen.

Das Weltwasserforum ist für die breite Öffentlichkeit nicht zugänglich, sodass sich die Akteur_innen auf Regierungsbeauftragte, internationale Organisationen und die Privatwirtschaft beschränken. Diskussionen um den Nexus Wasser - Energie - Nahrung sowie um das grüne Wirtschaften dominieren das 6. Weltwasserforum. Wird der Begriff der "grünen Wirtschaft" tatsächlich "nachhaltige Entwicklung" als neues Mantra ersetzen? Teilnehmer_innen vom Institute for Development Studies/Water Justice Programme konstatieren allenfalls berechtigterweise die vage Definition beider Termini, die Konflikte und Machtstrukturen verdecken und zu Entpolitisierung von Nord-Süd-Verhältnissen tendieren. Denn neben den Aktivist_innen fragt niemand: "Grün für wen?" - so die Kritik.


Millennium-Entwicklungsziele: Trinkwasser und sanitäre Anlagen

Kurz vor dem Auftakt des Weltwasserforums wurde ein Teilziel des 7. Millennium-Entwicklungsziels, nämlich die Halbierung des Anteils von Menschen ohne adäquaten Trinkwasserzugang, gefeiert. Allerdings ist die gleiche Vorgabe für die Sanitärversorgung nicht annähernd auf demselben Weg. Regionale Unterschiede oder Schwankungen zwischen sozioökonomischen Gruppen und Geschlechtern werden in den Zielvorhaben nicht berücksichtigt. So stellt südlich der Sahara und in ländlichen Gegenden der Zugang zu Trinkwasser und sanitären Anlagen weiterhin ein großes Problem dar. Zusätzlich impliziert die Definition von verbesserten Trinkwasserquellen weder eine Aussage über Trinkwasserqualität noch über die Nachhaltigkeit der Quelle.

Die Geschlechterblindheit der Millennium-Entwicklungsziele führt dazu, die Interessen und Lebenswelten der Frauen zu ignorieren, genauso wie reproduktive und sexuelle Rechte und den Zugang zu Land und Wasser. Sanitäre Anlagen in ländlichen Gebieten verfügen selten über separate Frauen- und Männertoiletten und oftmals über keinerlei Möglichkeit zur diskreten Abfallentsorgung und Hygiene.

Die Millennium-Entwicklungsziele, technokratisch und S.M.A.R.T (spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminierbar) in ihren Definitionen, haben wenig mit einer rassismus-, gender- und kolonialkritischen Entwicklungspolitik gemein. Sie erinnern an die Modernisierungstheorien der 1960er-Jahre und an die Grundbedürfnisstrategien. Die Skalierbarkeit und Replizierbarkeit der Strategien zur Erreichung dieser Ziele sind die vorrangigen Anliegen bei der Durchführbarkeit, obwohl maßgeschneiderte Lösungen nicht von einem Kontext in einen anderen kopiert werden können. Menstruationshygiene wird hierbei nur als Mittel zum Zweck angesehen und auf gesundheitliche Aspekte reduziert. Die Umsetzung von MHM in der Praxis führt dementsprechend häufig zu Widerstand und Ablehnung.


Reflexion von Machtpositionen vs. institutionelle Besserwisserei

So wichtig es ist, Tabus aufzubrechen und marginalisierte Diskurse wie jene über die Menstruationsblutung zu thematisieren, so können dadurch oftmals auch Ungleichheiten verfestigt werden. Tabus sind immer historisch gewachsen und kulturell verwurzelt. Dasselbe gilt für Strategien, um diese Tabus aufzubrechen, sie sind ebenso normativ geprägt. So sind Einwegbinden ein Produkt unserer Wegwerf- und Konsumgesellschaft, die in anderen Kontexten abgelehnt werden oder gar nicht erst funktionieren können.

MHM greift insofern zu kurz, als es in erster Linie um das Führen und Leiten von ursächlichem Fehlverhalten der Betroffenen geht. Die Anschauung, das Recht und das Wissen zu besitzen, anderen Menschen Bewusstsein zu verschaffen, ist Ausdruck eines unangebrachten Helfer_innensyndroms. Denn die Kritik an den Misserfolgen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der letzten 60 Jahre zielt nicht nur auf die fehlende Wirksamkeit von Entwicklungsprojekten ab. Philipp Lepenies beispielsweise unterstellt der Entwicklungszusammenarbeit berechtigterweise eine gewisse institutionelle Besserwisserei.

Insgesamt orientiert sich die Entwicklungszusammenarbeit gerne an Lücken, die im ständigen Vergleich zu den Lebens- und Entwicklungsmodellen der Länder des Nordens nur als defizitär wahrgenommen werden können und dementsprechend gefüllt werden müssen. Je nach Kontext ist die Menstruation genauso ein marginalisiertes und tabuisiertes Thema in Mitteleuropa, während in manchen anderen Gegenden der Länder des globalen Südens die Menses als Ausdruck weiblicher Macht gesehen wird. Deshalb sollte jenseits von formalen Versprechen wie den Deklarationen von Paris und Busan der Universalismusgedanke aufgegeben und der einseitige Wissenstransfer durch ein gegenseitiges Lernen ersetzt werden.


LESETIPPS:
House, Sarah/Mahon, Thérèse/ Cavill, Sue (2012): Menstrual hygiene matters. A resource for improving menstrual hygiene around the world. WaterAid.
Ziai, Aram (2011): Millennium Development Goals: Back to the Future? Third World Quarterly, 32 (1), S. 27-43.
Lepenies, Philipp (2010): Besserwisser mit besten Absichten. In: E+Z, 7, S. 298.


ZUR AUTORIN:
Martina Podeprel studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft in Wien und Buenos Aires. Sie ist im WASH Bereich tätig, derzeit bei HORIZONT3000 - Österreichische Organisation für Entwicklungszusammenarbeit.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 124, 2/2013, S. 8-9
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2014