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AUSLAND/2165: Pakistan - Wenn Schwangere fliehen müssen, erhöhte Mütter- und Säuglingssterblichkeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Oktober 2014

Pakistan: Wenn Schwangere fliehen müssen - Erhöhte Mütter- und Säuglingssterblichkeit

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Eine Ärztin bei der Arbeit in einem Flüchtlingslager in Bannu in Pakistans Nordprovinz Khyber Pakhtunkhwa Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 10. Oktober (IPS) - In Pakistan hat der Militäreinsatz zur Vertreibung der Taliban aus den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) eine humanitäre Krise ausgelöst, von der hunderttausende Menschen betroffen sind. Hauptleidtragende sind schwangere Frauen, die auch nach den Strapazen der Flucht in Lebensgefahr schweben.

Als die pakistanische Armee Mitte Juni mit ihren Luftangriffen auf den 11.585 Quadratkilometer großen Verwaltungsbezirk Nord-Waziristan begann, sah sich der überwiegende Teil der Bevölkerung zur Flucht in die Nachbarprovinz Khyber Pakhtunkhwa gezwungen. Die meisten leben dort in Auffanglagern. Die Hälfte der auf 580.000 Menschen geschätzten Vertriebenen sind Frauen.

Die alte Stadt Bannu hat die meisten Binnenflüchtlinge aufgenommen. 40.000 der Menschen, die von der jüngsten Flüchtlingswelle hier angeschwemmt wurden, sind schwangere Frauen. Sie leben in der ständigen Angst, ohne Arzt oder medizinische Grundversorgung entbinden zu müssen.


Viel zu wenig Ärzte

Für das Kind von Tajdara Bibi kam jede Hilfe zu spät. Die 30-Jährige hatte nach einem mühseligen Fußmarsch von 55 Kilometern Bannu erreicht. Als sie endlich in der städtischen Entbindungsklinik behandelt wurde, konnten die Ärzte nichts mehr für den Säugling tun.

Wie Muhammad Sarwar, die Bibi betreut hatte, gegenüber IPS erklärte, fehlt es an weiblichen Ärzten, um die vielen schwangeren Frauen adäquat zu versorgen. "Mindestens vier Frauen sind aufgrund von Komplikationen infolge von Schwangerschaft oder Geburt auf dem Weg nach Bannu gestorben", sagt sie. 20 andere hätten im Krankenhaus Fehlgeburten erlitten.

Die Not schwangerer Flüchtlingsfrauen traumatisiert auch deren Männer. So berichtet Gul Rehman, ein 44-jähriger Ladenbesitzer, von der Erfahrung, sich erst um die Gesundheit der eigenen Frau zu sorgen, dann das eigene Kind zu verlieren und dann erneut um das Leben seiner Frau zittern zu müssen.

Laut Fawad Khan von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind die Gesundheitszentren auf die Welle der Flüchtlinge aus Nord-Waziristan nicht vorbereitet. Die WHO leistet derzeit der Gesundheitsbehörde von Khyber Pakhtunkhwa Hilfe, um "unnötige Todesfälle zu verhindern". Khan zufolge sind 73 Prozent der nach Bannu geflohenen Frauen und Kinder auf Hilfe angewiesen.

Etwa 30 Prozent der schwangeren Flüchtlingsfrauen werden von Geburtskomplikationen bedroht. Diese Situation ließe sich leicht durch eine personelle Aufstockung und den Aufbau neuer Behandlungszentren verbessern. So würden vor allem Gynäkologen gebraucht.

Zwölf Gesundheitszentren wurden bereits eingerichtet, um die Unterernährung von Frauen und Kindern in den Lagern zu bekämpfen, die gerade Schwangeren zusetzt. Auch erhöht sich dadurch die Gefahr, dass untergewichtige Kinder geboren werden.

"Vier Prozent aller vertriebenen Frauen sind schwanger und müssen unverzüglich behandelt werden", sagt Abdul Waheed, der Gesundheitsminister von Khyber Pakhtunkhwa, gegenüber IPS. Mehr als 20 Basisgesundheitszentren seien personell verstärkt worden, um die Menschen zu versorgen.

Doch noch immer ist das Ausmaß der Krise so groß, dass die Behörden in Bannu größte Schwierigkeiten haben, die Not zu lindern. Vor der jüngsten Menschenflut aus Nord-Waziristan hatte die Provinz schon 1,5 Millionen Flüchtlinge aus den FATA aufgenommen. Der bislang letzte Zustrom bringt die Zahl der seit 2001 in Pakistan Vertriebenen auf 2,5 Millionen Menschen. "Wir schicken Ärzte aus den Lehrkrankenhäusern von Peshawar nach Bannu, damit sie sich dort abwechseln", so Waheed.

Das Weltkinderhilfswerk UNICEF und der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) haben sich der WHO angeschlossen, um bei der Verbesserung der Gesundheitsversorgung zu helfen. Rund 65 Ärzte aus dem Pakistanischen Institut für medizinische Wissenschaften (PIMS) in Islamabad helfen den Nichtregierungsorganisationen vor Ort bei der Bewältigung der Krise.


Unsicherheit für Ärzte abschreckend

Ein Teil des Problems besteht nach Ansicht von Ali Ahmed, dem Ansprechpartner der Vertriebenen, darin, dass nur wenige Ärzte und Krankenpfleger bereit sind, in einer von Milizen durchseuchten Region zu arbeiten. Seit Jahren operieren die Taliban ungehindert in den Stammesgebieten an der 2.400 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan. Solange in der Region keine Normalität hergestellt werde, nützten auch die lukrativsten Angebote nicht, um die Ärzte in die Krisenregion zu locken.

Derzeit ist die Regierung auf der Suche nach fünf Ärzten und fünf Ärztinnen für das gerade renovierte und personell und medizinisch unterversorgte Frauen- und Kinderhospital. Ähnlich desolat ist die Lage im Khalifa-Gul-Nawaz- und im Hauptverwaltungsbezirks-Lehrkrankenhaus. Ahmed zufolge hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die Hilfe brauchen, mehr als verdreifacht.

Drei ländliche Gesundheitszentren und weitere 34 Basisgesundheitseinheiten in unmittelbarer Nähe der Flüchtlingslager wurden finanziell und personell aufgestockt. 20 zusätzliche Ernährungsexperten behandeln derzeit 41 Prozent der von Unterernährung betroffenen Kinder. Doch noch größere Anstrengungen müssen unternommen werden, um die Krise in einem Land zu bewältigen, in der die Müttersterblichkeit besonders groß ist.

"In Pakistan ist schon die durchschnittliche Müttersterblichkeitsrate mit 350 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten sehr hoch", meint Fayyaz Ali, ein Gesundheitsbeamter in Khyber Pakhtunkhwa. "Doch in den FATA ist die Rate mit 500 zu 100.000 noch gravierender. Hier ist Handeln gefragt." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/displacement-spells-danger-for-pregnant-women-in-pakistan/

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IPS-Tagesdienst vom 10. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2014