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AUSLAND/2372: Jordanien - Hunderte Kriegsverletzte warten auf Behandlung in Spezialklinik in Amman (Ärzte ohne Grenzen)


Ärzte ohne Grenzen - 18. Juli 2016

Jordanien:
Hunderte Kriegsverletzte warten auf Behandlung in Spezialklinik in Amman


Die Warteliste mit Kriegsverletzten für eine Behandlung an der chirurgischen Spezialklinik von Ärzte ohne Grenzen in der jordanischen Hauptstadt Amman wird immer länger. Das Krankenhaus bietet seit 2006 rekonstruktive Chirurgie für Patienten aus dem gesamten Nahen Osten an, die komplizierte Eingriffe benötigen. Zuletzt wurde die Kapazität der Klinik mehrmals ausgeweitet. Allein in der ersten Hälfte 2016 wurden 300 Verwundete aus dem Irak, Jemen, Syrien und den Palästinensischen Autonomiegebieten operiert. Hunderte stehen auf der Warteliste.

"Die Warteliste wird länger und länger, und die Patienten kommen mit immer komplizierteren Verletzungen", sagt Dr. Hani Sleem, der medizinische Leiter des Programms. "Die Patienten kommen zu uns mit Verletzungen durch Bomben, Explosionen und Raketen. Oftmals sind ihre Knochen nicht nur gebrochen, sondern zertrümmert. Brandverletzungen erstrecken sich über den Großteil des Körpers. Bei vielen Patienten wurde das halbe Gesicht zerstört, sie haben schwere Schäden an Ober- und Unterkiefer. Viele können Körperteile nicht mehr bewegen, andere haben Arme oder Beine verloren. Sie brauchen oft eine spezialisierte rekonstruktive Chirurgie, manchmal über viele Monate oder gar Jahre hinweg."

Die medizinischen Teams in der Klinik können komplizierte Operationen auf den Gebieten der orthopädischen, plastischen und der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie vornehmen. Weitere chirurgische Spezialfelder sollen in Zukunft ergänzt werden. Seit 2006 haben die Mitarbeiter 4.224 Patienten mit komplexen Verletzungen behandelt und mehr als 9.000 Mal operiert. Doch diese Zahlen sind angesichts der großen Zahl an Kriegsverletzten durch die zahlreichen Kriege und Konflikte in der Region nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

"Die Patienten werden durch ein Netzwerk von acht Medizinern im Irak, in Syrien, im Jemen und im Gazastreifen identifiziert. Das Netzwerk arbeitet mit dem Team in Amman eng zusammen und überweist Patienten an die Klinik", erklärt Sleem. "Ein solches Netzwerk in instabilen Gebieten aufzubauen, war eine große Herausforderung für Ärzte ohne Grenzen. Doch es ist notwendig. Unser Projekt ist das einzige seiner Art in der Region, das kostenlos rekonstruktive Chirurgie und orthopädische Rehabilitation anbietet."

Die meisten Patienten haben auch tiefe psychologische Wunden. Sie haben unvorstellbares Grauen erlebt. Ihr Leben hat sich durch die Entstellungen und den Verlust von Angehörigen für immer verändert. Psychosoziale Hilfe durch ein spezielles Team von Ärzte ohne Grenzen ist deshalb auch eine entscheidende Voraussetzung für die Gesundung.

"An einen Patienten erinnere ich mich immer noch sehr deutlich", erzählt Dr. Naser Al-Omari, der als psychosozialer Betreuer im Krankenhaus in Amman arbeitet. "Es war ein Patient, der im Gefängnis nur wenige Stunden nach seiner Verletzung gefoltert wurde. Ihm wurde eine grundlegende medizinische Versorgung verwehrt, stattdessen wurde er schwer gefoltert, noch während er blutete. Ein paar Tage später entzündete sich seine Wunde schwer und begann sich zu zersetzen, so dass eine Amputation vorgenommen werden musste. Ich kann nicht vergessen, wie er mir das mit Tränen in den Augen erzählte. Er ist so unmenschlich behandelt worden."

Den Patienten wird in Amman ein umfassendes Bündel medizinischer Behandlungen angeboten, neben den Spezial-OPs gehören dazu auch Physiotherapie und psychosoziale Hilfe. Sie bekommen zudem eine Unterkunft gestellt, die sich nun direkt auf demselben Gelände befindet und erhalten eine finanzielle Reisekostenhilfe für die An- und Abreise.

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen e. V. / Medecins Sans Frontieres
Pressemitteilung vom 18. Juli 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2016

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