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AUSLAND/2414: Nigeria - Ärzte ohne Grenzen verteilt Nahrungsmittel an vertriebene Familien in Maiduguri (ÄoG)


Ärzte ohne Grenzen - 6. Januar 2017

Nigeria: Ärzte ohne Grenzen verteilt mehr als 800 Tonnen Nahrungsmittel an 26.000 vertriebene Familien in Maiduguri


Teams von Ärzte ohne Grenzen haben in den vergangenen drei Monaten in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno, 810 Tonnen Nahrungsmittel verteilt. Das ist ausreichend, um 26.000 Familien zwei Wochen lang zu ernähren. In der Stadt im Nordosten Nigerias leben etwa eine Million Vertriebene, die vor der Gewalt zwischen bewaffneten Gruppen wie Boko Haram und dem nigerianischen Militär geflohen sind. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist in den teilweise informellen Lagern völlig unzureichend. Besonders bei Kindern ist schwere Mangelernährung lebensbedrohlich.

"Als medizinische Organisation ist es normalerweise nicht unsere Aufgabe, die Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Aber die Menschen befinden sich in einer verzweifelten Lage", sagt Landeskoordinator Phillippe Le Vaillant. "Andere Organisationen sind aber bislang nicht eingesprungen, daher mussten wir diese Versorgungslücke schließen."

Zwar wurde in den vergangenen Monaten die humanitäre Hilfe ausgeweitet, doch noch immer brauchen tausende Bewohner der Stadt dringend Nahrungsmittel, Wasser und medizinische Hilfe. Die Menschen, die in informellen Lagern leben, sind am bedürftigsten. Diese Lager werden von den lokalen Behörden nicht offiziell anerkannt und erhalten daher keine oder nur wenig Hilfe.

"Viele Menschen sind in Maiduguri nur mit der Kleidung angekommen, die sie am Körper trugen", sagt Phillippe Le Vaillant. "Es gibt fast keine Möglichkeit für sie, Geld zu verdienen, und die Nahrungsmittelpreise haben sich in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verdoppelt. Die jahrelange Gewalt und Unsicherheit haben sie an die Grenzen ihrer Selbsthilfemöglichkeiten gebracht."

In Maiduguri betreibt Ärzte ohne Grenzen zwei große Gesundheitseinrichtungen, in denen jeweils hunderte Patienten pro Tag behandelt werden, und zwei stationäre Ernährungszentren, in denen schwer mangelernährte Kinder mit kalorienreicher Fertignahrung behandelt werden. Darüber hinaus bringen die Teams jeden Tag 80.000 bis 100.000 Liter Trinkwasser nach Maiduguri. Die Mitarbeiter setzen auch Brunnen in den Lagern um Maiduguri wieder instand und bauen Latrinen.

Der Bedarf an Nahrungsmittelhilfe wird voraussichtlich ab März weiter steigen. Dann gehen die Vorräte aus der letzten ertragsarmen Ernte zur Neige, und es beginnt die jährlich wiederkehrende Zeit der Nahrungsmittelknappheit. Damit werden die Menschen auch anfälliger für Krankheiten. Eine ausreichende Ernährung trägt wesentlich zur Stärkung der Abwehrkräfte gegen Infektionskrankheiten wie Malaria und Durchfall bei, die während der im Juni beginnenden Regenzeit am häufigsten auftreten.

"Es gibt eine tödliche Wechselwirkung zwischen der saisonal wiederkehrenden Nahrungsmittelknappheit und den Regenzeiten", erklärt Dr. Javed Baba Ali. "Werden die Abwehrkräfte der Menschen infolge von Mangelernährung geschwächt, steigt die Zahl der Infektionen. Besonders gefährdet sind Kinder. Wenn sie sich anstecken, sind sie auch anfälliger für eine akute Mangelernährung, die oftmals mit Komplikationen einhergeht."

Zwischen Juni und Oktober des vergangenen Jahres starben infolge dieses Teufelskreises allein in Maiduguri hunderte Patienten in dem von Ärzte ohne Grenzen damals betriebenen Ernährungszentrum, weil sie in sehr schlechtem Zustand eingeliefert wurden. Im August starben 75 von 369 Kindern, die im therapeutischen Ernährungszentrum aufgenommen worden waren. Im November, als die Regenfälle nachließen und sich der Gesundheitszustand der Patienten etwas verbesserte, starben 21 von 250 der im Ernährungszentrum aufgenommenen Kinder.

"Die Anzahl mangelernährter Kinder mit schweren Komplikationen, die wir im Sommer behandeln mussten, hat uns überwältigt", sagt Javed Baba Ali. "Obwohl sich die Situation dank saisonaler Faktoren jetzt leicht entspannt hat, bedeutet das nicht, dass die Notsituation vorüber ist. Ohne eine deutliche Verstärkung der Aktivitäten nationaler und internationaler Hilfsorganisationen könnte sich die Lage im nächsten Jahr sogar noch weiter verschlimmern, weil durch den Konflikt noch immer Millionen Menschen als Vertriebene leben."

Ärzte ohne Grenzen betreibt im Bundesstaat Borno elf Gesundheitseinrichtungen. Zusätzlich fahren medizinische Teams regelmäßig in fünf abgeschnittene Städte, um dort Patienten zu behandeln und Hilfe zu leisten. Ärzte ohne Grenzen befürchtet, dass weiterhin mehrere hunderttausend Menschen in den Regionen leben, zu denen man Hilfsorganisationen bislang keinen Zugang gewährt. Dort gibt es vermutlich nicht genügend Wasser, Nahrung und medizinische Hilfe.

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen e. V. / Medecins Sans Frontieres
Pressemitteilung vom 6. Januar 2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2017

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