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AUSLAND/2435: Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern - Längst nicht alle Ziele erreicht (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2017

Versorgung
Längst nicht alle Ziele erreicht

von Dirk Schnack


Eine Veranstaltung in Neumünster beschäftigte sich mit der Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern.


Eines von 17 Zielen der Vereinten Nationen, die Ende 2015 in den Sustainable Development Goals (SDG) verabschiedet wurden, formuliert eine "gute Gesundheitsversorgung für alle". Bei einer Fachtagung des Vereins Bündnis Eine Welt (BEI) in Neumünster wurde deutlich, wie skeptisch viele Unterstützer sind, dass dieses Ziel in absehbarer Zeit erreicht werden könnte. Insbesondere fehlenden politischen Willen sehen sie als wichtige Hürde zur Erreichung dieses Ziels.

Diesen fehlenden Willen nannte auch Mareike Haase, die nach den Erfahrungen mit den Milleniumszielen zur Gesundheit, also den Vorgängern der SDG, skeptisch ist in Bezug auf Erreichung der SDG. Haase ist Expertin für internationale Gesundheitsthemen bei Brot für die Welt in Berlin. Sie verglich in Neumünster die ehrgeizigen Milleniumsziele mit dem erreichten Stand. So sollte etwa zwischen 1990 und 2015 die Kindersterblichkeitsrate um zwei Drittel gesenkt werden. Tatsächlich erreicht wurden rund 50 Prozent. Die Müttersterblichkeitsrate sollte im gleichen Zeitraum um drei Viertel gesenkt werden, erreicht wurden 45 Prozent. Die Ausbreitung von HIV sollte zum Stillstand gebracht werden - die Zahl der HIV-Neuinfektionen ging von 3,4 auf 2,1 Millionen zurück. Zur allgemeinen Gesundheitssituation in den Ländern des globalen Südens stellte Haase fest: "Schlechte Gesundheitschancen haben Einfluss auf Betroffene und Gesellschaften." Sie erinnerte in diesem Zusammenhang auch an Artikel 12 im Sozialpakt der Vereinten Nationen: Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an; immerhin 164 Staaten haben den Sozialpakt unterschrieben. Haase ließ erkennen, dass nach ihrer Ansicht die Gesundheitssituation in vielen der unterzeichnenden Staaten längst nicht mit dem Anspruch im Sozialpakt übereinstimmt.

Bei der Bewertung des Erreichten gingen die Meinungen der Teilnehmer in Neumünster allerdings auseinander. Viele Teilnehmer, unter ihnen auch Ärzte, sehen das Erreichte keinesfalls als Misserfolg. Auch zur Frage, woher die Unterstützung kommen sollte, gingen die Meinungen auseinander. Haase setzt in erster Linie auf eine langfristige Festigung der Gesundheitssysteme in den betroffenen Ländern vor Ort. Dafür hält sie mehr politischen Willen in den reichen Ländern für erforderlich. Stiftungen dagegen betrachtet Haase kritisch, weil diese häufig von Unternehmen finanziert werden, die damit eigene Interessen verfolgen. Zudem befürchtet Haase, dass sich reiche Länder unter Hinweis auf andere Förderung zunehmend aus der staatlichen Unterstützung verabschieden.

Diese Haltung teilten in Neumünster längst nicht alle Teilnehmer. Sie kritisierten einen "defizitorientierten Blick" und richteten ihren auf die - auch mithilfe privater Stiftungen oder Unternehmen - erreichten Erfolge. Sie sehen die Hilfe solcher Stiftungen für Projekte als unerlässlich an und betrachten sie als wirksam. BEI-Geschäftsführer Martin Weber und Arzt Dr. Gerd Leimenstoll vom Projekt "Kieler Ärzte für Afrika" verwiesen auf die Vorteile und stellten die auch mithilfe von Stiftungen schon erreichten Ziele in den Vordergrund. Leimenstoll hält außerdem insbesondere eine Stärkung der Wirtschaft in den betroffenen Ländern für wichtig. Er verwies auf die Entwicklung in Ländern wie China und Südkorea, wo die Wirtschaft seit einigen Jahrzehnten deutlich aufgeholt hat und parallel dazu die Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch aus Afrika stammende Teilnehmer fanden zu dieser Frage keine einheitliche Linie. Manche sehen insbesondere die Regierungen in den reichen Ländern sogar als Bremsen beim Aufbau eigener Gesundheitssysteme vor Ort. Einigkeit bestand am Ende dennoch in einem wichtigen Punkt: dass über Lösungsansätze für die Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern nicht über deren Köpfe hinweg diskutiert und entschieden werden darf, sondern dass diese - wie in der Veranstaltung - mit Vertretern des globalen Südens und der Industrieländer gemeinsam besprochen werden müssen.

In verschiedenen Workshops diskutierten die rund 25 Teilnehmer über die Situation und Lösungsansätze bei den Themen Aids/HIV, Diabetes, Pflege und sauberes Trinkwasser. Von den 17 SDG beschäftigt sich zwar nur eines ausdrücklich mit der Gesundheitsversorgung, Haase machte aber deutlich, dass viele davon, zum Beispiel die Trinkwasserversorgung oder die Ernährung, direkt mit der Gesundheit zusammenhängen und deshalb nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können.


BEI
Das Bündnis Eine Welt (BEI) Schleswig-Holstein e.V. ist das entwicklungspolitische Landesnetzwerk im nördlichsten Bundesland. Es wurde 1994 von 18 Vereinen und Initiativen als Dachverband gegründet. Heute sind mehr als 80 Gruppen und Vereine Mitglied im BEI. Sie setzen sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten und politischer Ausrichtung für Solidarität und Chancengleichheit ein.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201703/h17034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Mareike Haase, Referentin für internationale Gesundheitsthemen bei Brot für die Welt, berichtete auf einer Veranstaltung in Neumünster über die Versorgungssituation in Entwicklungsländern.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, März 2017, Seite 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2017

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