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AUSLAND/2565: China - Biophysiker wegen CRISPR-Cas9-Experiment zu Haftstrafe verurteilt (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 133 - 1. Quartal 2020
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Ausgechrispert
He Jiankui muss ins Gefängnis. Ein chinesisches Gericht verurteilte den Biophysiker Ende Dezember zu einer Haftstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe von drei Millionen Yuan.

Von Stefan Rehder


Wer die Geburt von Kindern bekannt gibt, erntet üblicherweise Freude. Im November 2018 war das jedoch ganz anders. Als der Chinese He Jiankui auf dem Videokanal "YouTube" die Geburt zweier Zwillingsmädchen bekannt gab und die eines weiteren Kindes ankündigte, hielt die Welt den Atem an. Verständlich. Denn in dem Video erklärte "Chinas Frankenstein", wie He seitdem von den Medien auch genannt wird, er habe das Erbgut der Kinder mit Hilfe der CRISPR/Cas genannten Genscheren modifiziert, um sie gegen HI-Viren resistent zu machen.

Ein gutes Jahr später verurteilte ihn nun ein Volksgericht in der südchinesischen Metropole Shenzhen zu drei Jahren Gefängnis sowie zur Zahlung einer Geldstrafe von drei Millionen Yuan (rund 384.000 Euro). Das meldete am 30. Dezember 2019 die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Gegen die beiden zu Hes Team gehörenden Reproduktionsmediziner Zhang Renli und Qin Jinzhou verhängte das Volksgericht Haftstrafen von zwei Jahren bzw. 18 Monaten und verurteilte sie zur Zahlung von rund 184.000 bzw. rund 92.000 Euro.

Außerdem verhängte das Gericht gegen alle drei Wissenschaftler ein lebenslanges Berufsverbot. Keiner von ihnen darf nach Verbüßung der Strafen an seinen ursprünglichen Arbeitsplatz zurückkehren. He und Qin waren zur Zeit der Experimente an der Südlichen Universität für Wissenschaft und Technologie in Shenzhen beschäftigt, Zhang am Guangdong Hauptkrankenhaus der Hafenstadt Guangzhou. Ferner wurden alle drei Wissenschaftler von der Forschungsförderung ausgeschlossen.

Ruhm und Reichtum

Offen bleibt, ob der Fall damit juristisch bereits ausgestanden ist. Nachdem der Wissenschaftsjournalist Jon Cohen in der Fachzeitschrift "Science" im Sommer 2019 enthüllte, dass rund 60 Personen frühzeitig von Hes Plänen gewusst hätten, darunter auch führende Wissenschaftler aus China und den USA sowie mindestens ein chinesischer Politiker, publizierte das Wissenschaftsmagazin "MIT Technology Review" im Herbst Auszüge eines Manuskriptes der unveröffentlichten Arbeit Hes. Wie das Magazin schreibt, trage das ihm zugespielte Manuskript - wie bei wissenschaftlichen Publikationen nicht unüblich - die Namen von insgesamt zehn Autoren, darunter auch die von "Laboranten und Bioinformatiker(n)". Ob die übrigen Autoren ebenso wie andere Personen noch mit einer Anklage und ggf. einer Verurteilung rechnen müssen, muss abgewartet werden.

Wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua schreibt, sei das Gericht in Shenzhen zu der Ansicht gelangt, He, Zhang und Qin hätten "absichtlich gegen die einschlägigen nationalen Vorschriften für wissenschaftliche Forschung verstoßen" und die CRISPR/Cas-Technologie "Vorschnell" im Rahmen "ärztlich assistierter Reproduktionsmedizin beim Menschen" angewandt. Alle drei hätten sich nach "persönlichem Ruhm und Reichtum" gesehnt.

Heilung und neue Probleme

Um die drei Kinder gegen HI-Viren immun zu machen, hatten He und sein Team ein Gen mit der Bezeichnung CCR5 in den künstlich erzeugten Embryonen funktionsunfähig gemacht und diese anschließend in die Uteri ihrer Mütter übertragen. Der Grund: HI-Viren benötigen einen "Rezeptor", um in die Zellen eines Wirts eindringen und diesen infizieren zu können. Als Rezeptor werden Proteine bezeichnet, an denen Signalmoleküle binden, die im Inneren der Zellen Prozesse auslösen. Die Bauanleitung für die Herstellung des von HI-Viren benötigten Rezeptors liefert das Gen CCR5. Ist es defekt, kann der Organismus den Rezeptor nicht herstellen und infolgedessen auch von HI-Viren nicht infiziert werden.

Wissenschaftler, denen He Einblick in die Daten seines Humanexperiments gewährt hatten dieses als Fehlschlag bezeichnet. Es habe klare Hinweise auf eine Mosaikbildung gegeben, sagte etwa der Stammzellforscher Kiran Musunuru von Universität Harvard. Von Mosaiken spricht man, wenn sich eine Mutation nicht auf sämtliche Zellen eines Organismus erstreckt, sondern nur einen Teil erfasst. Außerdem gab es laut Musunuru an mindestens einer Stelle eine sogenannte Off-Targeting-Mutation. Dabei schneiden die Genscheren das Erbgut an Stellen, an denen die Forscher dies gar nicht beabsichtigt hatten. Nicht zuletzt aufgrund solcher Off-Targeting-Mutationen hatten Wissenschaftler in der Vergangenheit immer wieder Forderungen nach einem Moratorium erhoben. Zumindest bei Menschen solle die CRISPR/Cas-Technologie so lange nicht zum Einsatz kommen, bis das Off-Targeting-Problem gelöst sei und die Sicherheit der Technologie garantiert werden könne, so der Tenor. Doch dazu dürfte es nun nicht mehr kommen. Grund dafür sind Berichte über eine bisher unveröffentlichte klinische Studie, in deren Verlauf zwei Patienten, die an der Blutkrankheit Beta-Thalassämie leiden, durch den Einsatz der CRISPR/Cas-Technologie geheilt worden sein sollen.

Bei der auch als Sichelzellkrankheit bezeichneten Beta-Thalassämie verformen sich die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff aus der Lunge in die verschiedenen Organe und Gewebe und das Kohlendioxyd zurück in die Lunge transportieren, zu harten und klebrigen Sicheln, die in Blutgefäßen stecken bleiben. In der Folge erhalten die Organe zu wenig Sauerstoff. Grund für die Verformung ist eine Störung der Bildung des Blutfarbstoffs Hämoglobin. An Beta-Thalassämie Erkrankte werden selten älter als 50 Jahre und sterben häufig an Thrombosen, Schlaganfällen oder Organversagen. Die Heilung der vererbbaren Krankheit mittels der CRISPR/Cas-Technologie wäre also eine echte medizinische Sensation. Allerdings nur dann, wenn die Genscheren nicht an anderer Stelle im Genom Schaden anrichten. Bislang haben Wissenschaftler noch keinen Weg gefunden, dies sicher auszuschließen.

Im Gegenteil: Eine Anfang Dezember in der Fachzeitschrift "Communication Biology" veröffentlichte Studie zeigt, dass es selbst dort, wo die Genscheren das Erbgut wie beabsichtigt verändern (On- Targeting), zu zahlreichen unerwarteten Veränderungen kommt. Wie die Wissenschaftler um Eric B. Kmiec und Brett M. Sansbury vorn Gene Editing Institute in Wilmington im US-Bundesstaat Delaware schreiben, träten diese Veränderungen in unmittelbarer Nähe der Stellen auf, an denen die Scheren ihr Werk wie gewünscht verrichtet hätten. Die Wissenschaftler, die selbst mit den Genscheren arbeiten, um mit ihnen Erbkrankheiten zu heilen, haben ein neues Test-Set entwickelt, das solche Veränderungen nachweisen kann. "Das Screening zeigt, dass es viel mehr unbeabsichtigte Veränderungen der DNA um die Stelle einer CRISPR-Reparatur herum geben kann, als bis- her angenommen wurde", sagt Kmiec auf der Homepage des Instituts. Und Mit-Autorin Brett Sansbury ergänzt, diese Veränderungen müssten besser verstanden werden, "damit wir, wenn wir ein Problem korrigieren, nicht ein neues schaffen".

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 133, 1. Quartal 2020, S. 22 - 23
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2020

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