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AUSLAND/2712: Gaza - "Ein Massengrab für Palästinenser*innen und jene, die ihnen helfen" (ÄoG)


Ärzte ohne Grenzen - Pressemitteilung vom 16. April 2025

Gaza: "Ein Massengrab für Palästinenser*innen und jene, die ihnen helfen"


Je­ru­sa­lem/Ber­lin, 16. April 2025. Mit der Wie­der­auf­nah­me und Aus­wei­tung der Mi­li­tär­of­fen­si­ve der is­rae­li­schen Streit­kräf­te im Ga­za­strei­fen, der ge­walt­sa­men Ver­trei­bung von Men­schen und der Blo­cka­de le­bens­wich­ti­ger Hilfs­gü­ter wird er­neut und sys­te­ma­tisch das Leben von Pa­läs­ti­nen­ser*innen aufs Spiel ge­setzt. Eine Reihe töd­li­cher An­grif­fe der is­rae­li­schen Armee de­mons­triert au­ßer­dem die Miss­ach­tung hu­ma­ni­tär Hel­fen­der in Gaza. Ärzte ohne Gren­zen ruft die is­rae­li­schen Be­hör­den auf, die Blo­cka­de auf­zu­he­ben, die pa­läs­ti­nen­si­sche Be­völ­ke­rung zu schüt­zen und ap­pel­liert an alle Par­tei­en, den Waf­fen­still­stand

wie­der­her­zu­stel­len.

"Der Ga­za­strei­fen hat sich in ein Mas­sen­grab für Pa­läs­ti­nen­ser*innen und jene, die ihnen hel­fen, ver­wan­delt. Wir er­le­ben in Echt­zeit die Zer­stö­rung und Ver­trei­bung der ge­sam­ten Be­völ­ke­rung in Gaza", sagt Aman­de Ba­ze­rol­le, Not­hil­fe­ko­or­di­na­to­rin von Ärzte ohne Gren­zen in Gaza. "Nir­gend­wo sind Pa­läs­ti­nen­ser*innen und Hel­fen­de si­cher. Auch die hu­ma­ni­tä­re Hilfe lei­det unter die­ser Un­si­cher­heit."

Nach An­ga­ben des Ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums wur­den

seit Ok­to­ber 2023 mehr als 50.000 Men­schen im Ga­za­strei­fen ge­tö­tet, fast ein Drit­tel davon waren Kin­der. Seit der Wie­der­auf­nah­me der Kampf­hand­lun­gen am 18. März 2025 wur­den den ört­li­chen Be­hör­den zu­fol­ge mehr als 1.500 Men­schen ge­tö­tet. Seit Ok­to­ber 2023 haben laut den Ver­ein­ten Na­tio­nen au­ßer­dem min­des­tens 409 hu­ma­ni­tär Hel­fen­de ihr Leben ver­lo­ren, die meis­ten von ihnen Mit­ar­bei­ten­de des Hilfs­werks der Ver­ein­ten Na­tio­nen für Pa­läs­ti­na-Flücht­lin­ge im Nahen Osten (UNRWA). Elf Mit­ar­bei­ten­de von Ärzte ohne Gren­zen sind ge­tö­tet wor­den - al­lein zwei in den ver­gan­ge­nen zwei Wo­chen.

Nach dem jüngs­ten An­griff der is­rae­li­schen Si­cher­heits­kräf­te auf Mit­ar­bei­ten­de von Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen wur­den am 30. März in Rafah im Süden des Ga­za­strei­fens die Lei­chen von 15 Not­fall­hel­fen­den in einem Mas­sen­grab ge­fun­den. Sie wur­den von der is­rae­li­schen Armee ge­tö­tet, als sie ver­such­ten Zi­vi­list*innen zu hel­fen, die am 23. März unter Be­schuss kamen. Öf­fent­lich ge­wor­de­ne Be­le­ge zei­gen, dass die Hel­fen­den ein­deu­tig ge­kenn­zeich­net und als sol­che iden­ti­fi­zier­bar waren, was die ur­sprüng­li­che Dar­stel­lung der is­rae­li­schen Be­hör­den in­fra­ge stellt.  

"Diese schreck­li­che Tö­tung von Hel­fen­den ist ein wei­te­res Bei­spiel für die ekla­tan­te Miss­ach­tung des Schut­zes von hu­ma­ni­tär und me­di­zi­nisch Hel­fen­den durch die is­rae­li­schen Streit­kräf­te. Das Schwei­gen und die be­din­gungs­lo­se Un­ter­stüt­zung von Is­ra­els engs­ten Ver­bün­de­ten be­stär­ken diese Hand­lun­gen",

sagt Clai­re Mago­ne, Ge­ne­ral­di­rek­to­rin von Ärzte ohne Gren­zen Frank­reich. Der Or­ga­ni­sa­ti­on zu­fol­ge kann nur eine in­ter­na­tio­na­le und un­ab­hän­gi­ge Un­ter­su­chung die Um­stän­de und die Ver­ant­wor­tung auf­klä­ren.

Ob­wohl die Si­tua­ti­on schon seit mehr als 18 Mo­na­ten ka­ta­stro­phal ist, hat Ärzte ohne Gren­zen in den ver­gan­ge­nen drei Wo­chen gleich meh­re­re Vor­fäl­le be­ob­ach­tet, bei denen hu­ma­ni­tär Hel­fen­de ge­tö­tet wur­den. Das so­ge­nann­te "Hu­ma­ni­tä­re No­ti­fi­zie­rungs­sys­tem" (HNS) zur Ko­or­di­nie­rung der Be­we­gun­gen hu­ma­ni­tär Hel­fen­der mit den is­rae­li­schen Be­hör­den - ein zuvor be­reits un­zu­rei­chen­der Me­cha­nis­mus - ist noch un­zu­ver­läs­si­ger ge­wor­den und bie­tet kaum noch Schutz­ga­ran­ti­en. Orte, für die hu­ma­ni­tär Hel­fen­de, dar­un­ter auch Teams von Ärzte ohne Gren­zen, ihre An­we­sen­heit an­ge­mel­det haben, wur­den von Gra­na­ten oder Ku­geln ge­trof­fen - dar­un­ter Ge­sund­heits­ein­rich­tun­gen, Büros und Un­ter­künf­te. Auch Ge­bie­te in un­mit­tel­ba­rer Nähe von me­di­zi­ni­schen Ein­rich­tun­gen und me­di­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen selbst waren Ziele von An­grif­fen, Kämp­fen und Eva­ku­ie­rungs­an­ord­nun­gen.  

Teams von Ärzte ohne Gren­zen muss­ten viele Ein­rich­tun­gen ver­las­sen, wäh­rend an­de­re Hel­fen­de teil­wei­se blie­ben und wei­ter ar­bei­te­ten. Per­so­nal wie Pa­tent*innen waren oft­mals in Ge­bäu­den ein­ge­schlos­sen und hat­ten keine Mög­lich­keit, diese si­cher zu ver­las­sen. So auch bei einem Vor­fall am 7. April 2025,

bei dem Teams von Ärzte ohne Gren­zen und Pa­ti­ent*innen in einem pro­vi­so­ri­schen Kran­ken­haus in Deir al-Balah ein­ge­schlos­sen waren, als die Hamas Ra­ke­ten in der un­mit­tel­ba­ren Nähe ab­feu­er­te und damit alle in Ge­fahr brach­te und zu einer Eva­ku­ie­rungs­an­ord­nung des Be­reichs durch die is­rae­li­schen Streit­kräf­te führ­te, die wie­der­um das na­he­ge­le­ge­ne Al-Aksa-Kran­ken­haus und das Nas­ser-Kran­ken­haus an­grif­fen.

Seit dem 18. März war es Ärzte ohne Gren­zen nicht mög­lich, in das In­do­ne­si­sche Kran­ken­haus im Nor­den des Ga­za­strei­fens zu­rück­zu­keh­ren, wo die Teams ei­gent­lich mit der Ver­sor­gung von Kin­dern be­gin­nen soll­ten. Sie muss­ten aus dem pro­vi­so­ri­schen Kran­ken­haus flie­hen, das di­rekt neben der Ein­rich­tung auf­ge­baut wor­den war. Auch den Be­trieb von mo­bi­len Kli­ni­ken im Nor­den muss­te die Or­ga­ni­sa­ti­on ein­stel­len. Eben­so wenig konn­te sie seit dem 18. März in die Al-Shabou­ra-Kli­nik in Rafah im Süden des Ga­za-

strei­fens zu­rück­keh­ren.

Ärzte ohne Gren­zen ver­ur­teilt die Hand­lun­gen aller Kriegs­par­tei­en aufs Schärfs­te, for­dert den Schutz von me­di­zi­ni­schen Ein­rich­tun­gen, Per­so­nal und von Pa­ti­ent*innen sowie ein Ende der Blo­cka­de.  

"Die is­rae­li­schen Be­hör­den blo­ckie­ren seit über einem Monat vor­sätz­lich jeg­li­che Hilfs­gü­ter für den Ga­za­strei­fen. Hu­ma­ni­tär Hel­fen­de müs­sen mit­an­se­hen, wie Men­schen lei­den und ster­ben, wäh­rend sie mit er­schöpf­ten Vor­rä­ten Hilfe leis­ten und dabei den­sel­ben le­bens­be­droh­li­chen Be­din­gun­gen aus­ge­setzt sind", er­klärt Ba­ze­rol­le. "Unter sol­chen Um­stän­den kön­nen sie ihren Ein­satz auf kei­nen Fall er­fül­len. Das ist kein hu­ma­ni­tä­res Ver­sa­gen - das ist eine po­li­ti­sche Ent­schei­dung und ein vor­sätz­li­cher An­griff auf die Über­le­bens­fä­hig­keit eines Vol­kes, der un­ge­straft aus­ge­führt wird."

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen e. V. / Medecins Sans Frontieres
Pressemitteilung vom 16. April 2025
Schwedenstraße 9, 13359 Berlin
Telefon: 030/700 130 - 0, Fax: 030/700 130 - 340
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Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. April 2025

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