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ARTIKEL/1504: Zentrum statt Einzelpraxen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2019

Serie
Zentrum statt Einzelpraxen

von Dirk Schnack


Die Gemeinde Silberstedt bei Schleswig hat sich frühzeitig Gedanken um die künftige ambulante Versorgung gemacht. Ergebnis ist ein Gesundheitszentrum, in dem drei Hausärzte und weitere Gesundheitsberufe unter einem Dach arbeiten.


Was haben wir als Kommunalpolitiker mit der Gesundheitsversorgung zu tun? Diese Frage dürften sich manche Gemeindevertreter in Silberstedt gestellt haben, als Wolfgang Schulz vor einigen Jahren mit diesem Thema auf sie zukam. Schulz ist selbst Gemeindevertreter und seit 1988 als Hausarzt in dem kleinen Ort bei Silberstedt niedergelassen. Dass er sich nicht ausschließlich selbst um einen Nachfolger für seine Einzelpraxis kümmerte, ohne die Kommune damit zu beschäftigen, war zunächst unbequem für alle.

Heute dürften die Gemeindevertreter froh sein, dass Schulz so früh auf das Thema aufmerksam machte. Statt seiner Praxis haben die Silberstedter inzwischen ein neues Gesundheitszentrum, in das nicht nur Schulz, sondern noch zwei weitere Ärzte aus benachbarten Dörfern ihre Praxen verlagert haben. Zusammen mit einer Apotheke und weiteren Gesundheitsberufen bilden die Heilberufe das Kernstück des Silberstedter Gesundheitszentrums, um das viele andere Gemeinden vergleichbarer Größe den Ort beneiden dürften.

Das Konzept folgt der Annahme, dass die ambulante Versorgung auf dem Land zunehmend in Zentren statt in Einzelpraxen geleistet wird - zumindest prognostizieren Experten diese Entwicklung seit einigen Jahren In der Realität gestaltet sich dieser Wandel allerdings langsam und scheitert in vielen Fällen an unterschiedlichen Einzelinteressen. Auch die Beteiligten in Silberstedt haben diverse Hürden aus dem Weg räumen müssen, bevor das Zentrum stand. Für ihr neues Gesundheitszentrum gründete die Gemeinde eine gGmbH, die Ärzte in einem MVZ anstellt und die ambulante Versorgung des Umlandes sichert. Wenn alles nach Plan verläuft, ist die Gründung in diesem Frühjahr abgeschlossen und der Betrieb kann beginnen.

Alle Voraussetzungen dafür sind geschaffen: Die Finanzierung steht, das Zentrum ist neu gebaut, die Ärzte sind eingezogen und andere Gesundheitsberufe sind im Boot. Der Managementauftrag für das MVZ ist ausgeschrieben und mit der Ärztegenossenschaft Nord steht ein ernsthafter Bewerber bereit, der entsprechende Expertise mitbringt. Die Genossenschaft hat bereits die Vorarbeiten für das MVZ begleitet und bringt Erfahrungen aus dem Management vergleichbarer Einheiten wie etwa aus der kommunal geführten Eigeneinrichtung in Büsum mit.

Die entscheidende Hürde aber nahm das Projekt erst mit der Überzeugung der Ärzte vor Ort. Hierzu gab es schon vor Jahren Anstrengungen des Amtes Arensharde, um ein gemeinsames Zentrum für die ambulante Versorgung zu errichten. Grund für die ersten Überlegungen war die Erkenntnis, dass die bislang niedergelassenen Ärzte in der Region in einigen Jahren die Altersgrenze erreicht haben werden und nicht sicher sein können, dass sie Nachfolger für ihre Einzelpraxen finden werden. Immerhin vier der insgesamt nur sieben niedergelassenen Ärzte im Amtsgebiet waren schon damals in einem Alter, in dem erste Gedanken an mögliche Nachfolger aufkamen. Trotz dieser Einsicht scheiterte der erste Anlauf für eine gemeinsame Lösung - zu unterschiedlich waren damals die Interessen der sieben Ärzte und der Kommunalpolitik in sechs betroffenen Gemeinden.

Silberstedt gab trotz des gescheiterten Anlaufs nicht auf. Wolfgang Schulz praktiziert seit 1988 in Silberstedt, und als Mitglied der Gemeindevertretung und Stellvertreter des Bürgermeisters fühlt er sich auch kommunalpolitisch verpflichtet, über die eigenen Praxisräume hinaus zu denken. Schulz informierte sich nach dem Scheitern auf Amtsebene über alternative Möglichkeiten, überzeugte Bürgermeister Peter Johannsen und die anderen Kommunalpolitiker in Silberstedt, suchte nach Kollegen, die Interesse an einem gemeinsamen Modell hatten - und fand sie schließlich doch noch in der direkten Nachbarschaft des Ortes.

Dr. Christiane Schmitz-Boje war im Nachbarort Hollingstedt niedergelassen, entdeckte eine von Schulz in der Fachpresse geschaltete Anzeige und nahm Kontakt mit ihrem benachbarten Kollegen auf. Hinzu kam Hans Christian Brall, der eine Einzelpraxis in Treia führte. Die drei Ärzte kannten sich zwar schon, hatten nach eigenen Worten in den vergangenen Jahrzehnten aber als Einzelkämpfer "nebeneinander her gearbeitet" - eine Arbeitsweise, die sie mit zahlreichen in Einzelpraxis niedergelassenen Kollegen auf dem Land teilen.

Sie alle wussten um die Perspektive der Praxen im Amt und konnten sich eine Zusammenarbeit unter einem Dach vorstellen. Mit dieser positiven Grundeinstellung der Ärzte konnte Silberstedt Nägel mit Köpfen machen: Für ein Investitionsvolumen von 4,4 Millionen Euro wurde ein Gesundheitszentrum errichtet, für das die Ärzte den Grundriss ihrer Praxisräume bestimmen konnten. Neben den Ärzten fanden die Silberstedter eine Apotheke und eine Physiotherapie, die das Konzept überzeugte und die ebenfalls schon eingezogen sind. Die Ärzte arbeiten im Gesundheitszentrum bis zur offiziellen Gründung des gemeindeeigenen MVZ noch selbstständig in Praxisgemeinschaft. Mit Gründung des MVZ werden sie dann angestellte Ärzte des MVZ - genauso wie ihre Mitarbeiter. Die dann insgesamt zwölf Beschäftigten haben sich schon jetzt zum Team zusammengefunden: "Wir sind alle erstaunt, wie gut es menschlich passt", sagt Schulz.

Die Teamarbeit unter einem Dach gefällt den erfahrenen Ärzten und gibt ihnen auch Hoffnung auf junge Ärzte, die sich für das Modell interessieren. Schulz ist sicher, dass sich in den kommenden Jahren, in denen die drei noch praktizieren, Interessenten für eine Anstellung finden. Aufmerksamkeit bei ersten Ärzten in Weiterbildung haben sie bereits geweckt, genügend Behandlungsräume für weitere Ärzte sind im Zentrum vorhanden.

Sie selbst ziehen derzeit das Fazit, dass die Entscheidung zum Arbeiten unter einem Dach gerne auch früher hätten fallen können. "Ich hätte meine Einzelpraxis bequem weitermachen können. Aber so macht es mehr Spaß - das hätten wir auch schon zehn Jahre früher machen können", sagt Dr. Schmitz-Boje.

Ganz ohne Reibungen gelang die Zentrumsbildung allerdings nicht. Treia und Hollingstedt stehen nun ohne eigenen Arzt auf Gemeindegebiet dar. Zwar akzeptieren die meisten Patienten in diesen Gemeinden, dass sie einige Kilometer fahren müssen und dort auch ein tragfähiges Zukunftsmodell vorfinden - begeistert waren sie über die zusätzliche Distanz aber nicht. Auf den Patientenandrang im Silberstedter Zentrum hat sich dies allerdings nicht negativ ausgewirkt. Brall schätzt die Zahl der Patienten aus Treia, die ihn seit dem Umzug nach Silberstedt nicht mehr konsultieren, nur auf rund zehn.

Auch die Finanzierung ist kein Selbstgänger, wie Laura Löffler von der Ärztegenossenschaft Nord zu bedenken gibt. Zuschüsse für das Modell gab es keine und eine schwarze Null für den künftigen Betrieb der Praxen ist auch nicht zu erwarten. Bürgermeister Peter Johannsen verweist in diesem Zusammenhang aber auf die wichtige Funktion des Gesundheitszentrums für seine wachsende Gemeinde.

Ein kleines Defizit darf durch den ärztlichen Betrieb entstehen, die Mieten der übrigen Nutzer im Gesundheitszentrum werden dieses Minus aber ausgleichen. Wie optimistisch man in Silberstedt bei diesem Thema ist, zeigt sich neben dem Gesundheitszentrum: Dort wird derzeit in einem zweiten Bauabschnitt Platz für eine Tagespflegeeinrichtung, ein Sanitätshaus und weitere Gesundheitsberufe wie Logopäden, Ergotherapeuten und Podologen geschaffen. Schulz und Johannsen sind heute sicher, dass die Realisierung in Silberstedt nur möglich war, weil sie von Beginn an auf Transparenz gesetzt und die Gemeindevertreter früh über jeden Schritt informiert haben. Schulz: "Es braucht viel Vertrauen, um so ein Projekt mitzutragen. Wenn sich jemand nicht mitgenommen fühlt, stirbt das Projekt."

§ 95
des Sozialgesetzbuches V ist Grundlage für die Gründung von kommunalen MVZ, die es in Schleswig-Holstein bislang außer in Silberstadt nur auf Pellworm gibt. Eine andere gesetzliche Grundlage, den § 105, haben kommunale Eigeneinrichtungen wie in Büsum. Gemeinsam ist diesen Modellen, dass die Kommunen für den Betrieb der MVZ eine gGmbH gegründet haben.

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AMBULANTE VERSORGUNG AUF DEM LAND

Wie lässt sich die ambulante Versorgung auf dem Land organisieren? Vor dieser Herausforderung stehen derzeit viele Bundesländer, aber wenige haben darauf so vielfältige Antworten wie Schleswig-Holstein. Neben den klassischen Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften gibt es zum Beispiel Zweigpraxen oder Medizinische Versorgungszentren in unterschiedlichen Ausprägungen. Fast alle bieten den Ärzten die Möglichkeit, sich zwischen selbstständiger und angestellter Tätigkeit zu entscheiden. In dieser Serie stellen wir Ihnen ausgewählte Beispiele für Organisationsformen in der ambulanten Versorgung vor, die in Schleswig-Holstein praktiziert werden. Weitere bislang geplante Serienbestandteile:

- April: Nachwuchs für die Landarztpraxis
- Mai: Die kommunale Eigeneinrichtung als Blaupause
- Juni: Mit der Zweigpraxis zum Patienten
- Juli: Die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft


KOMPETENZZENTRUM WEITERBILDUNG IN DER ALLGEMEINMEDIZIN

Damit sich junge Mediziner für die Landarzttätigkeit entscheiden können, ist Nachwuchs in der Allgemeinmedizin erforderlich. Das Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin Schleswig-Holstein - gegründet durch die Landesärztekammer, die KV Schleswig-Holstein und die Lehrstühle für Allgemeinmedizin der Universitäten Kiel und Lübeck - begleitet die Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin mit dem Ziel, Qualität und Effizienz in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin zu steigern und um dem Hausärztemangel entgegenzuwirken. Das Zentrum bietet außer Train-the-Trainer-Kursen für die Weiterbildungsbefugten Unterstützung durch Mentoren und Schulungstage für Ärzte in Weiterbildung an.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201903/h19034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, März 2019, Seite 20 - 21
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2019

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