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ARTIKEL/1507: Ambulante Versorgung in ländlichen Regionen - verschiedene Sichtweisen beim Norddeutschen Dialog (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2019

Ambulante Versorgung
Landleben durch verschiedene Brillen

von Dirk Schnack


Der norddeutsche Dialog der Barmer in Lübeck zeigte unterschiedliche Sichtweisen auf die Versorgung ländlicher Regionen. Deutlich wurde: Regionen brauchen spezifische Lösungen.


Gibt es schon bald keine Ärzte mehr auf dem Land? Wie lässt sich gegensteuern und wer ist in der Verantwortung? Macht dies vor dem Hintergrund der Urbanisierung überhaupt Sinn? Über solche Fragen diskutierten Akteure aus der Gesundheitsversorgung beim Norddeutschen Dialog der Barmer. Weil die Krankenkasse dazu Teilnehmer aus den drei Bundesländern Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg nach Lübeck eingeladen hatte, fielen die Sichtweisen auf dieses Thema je nach Herkunft unterschiedlich aus.

- Zum Beispiel die Sicht des in Hamburg niedergelassenen HNO-Arztes Dr. Dirk Heinrich, der u. a. Vorsitzender der Vertreterversammlung und Bundeschef des NAV Virchowbundes ist. Heinrich riet, den "weltweiten Trend zur Urbanisierung" als gegeben zu akzeptieren und sich nicht mit Fragen und Lösungsansätzen aufzuhalten, die dieser Entwicklung entgegenlaufen. Heinrich kann sich vorstellen, dass Ärzte künftig von Städten aus als "flying doctors" das Land mit versorgen. Solche Angebote an junge Kollegen hält er für vielversprechender, als diese mit immer neuen Varianten auf das Land zu locken, wo eine Mehrzahl von ihnen nach seiner Wahrnehmung nicht arbeiten möchte. "Das werden wir auch nicht mit ein paar Kindergärten auf dem Land ändern", ist er überzeugt. Heinrich empfahl der Politik Niederlassungsfreiheit und Aufhebung der Budgets. In der Zahnmedizin habe sich dies vor zehn Jahren bewährt - dort reguliert der Markt die Niederlassungen nach seiner Beobachtung erfolgreich, Lücken seien kaum festzustellen.

- Anders die Perspektive in Mecklenburg-Vorpommern. Stefan Sternberg, Landrat des zweitgrößten deutschen Landkreises Ludwigslust-Parchim, wehrte sich gegen eine Wortwahl, die ländliche Regionen als weniger attraktiv abstempelt als Städte. "Wir reden über ländliche Räume, als wäre das etwas schlechtes", sagte Sternberg. Für ihn ist das Gegenteil der Fall. Er beschrieb seinen Kreis in warmen Farben und entgegen der landläufigen Meinung als wachsende Region mit steigenden Bevölkerungszahlen. Nur: An Ärzten mangelt es trotzdem. "Jede Bürgersprechstunde dreht sich um das Thema", sagte Sternberg. Ständige Verweise auf die Verantwortung der Kommunalpolitik, mit Infrastruktur und finanziellen Vorteilen Ärzten eine höhere Attraktivität als andere Regionen zu bieten, hält er für ungerechtfertigt. "Welcher ehrenamtliche Bürgermeister soll das lösen?", fragte der Landrat. Er spielte den Ball in Richtung Politik und Selbstverwaltung. Die KV Mecklenburg-Vorpommern beschrieb er als wenig entgegenkommend, wenn man flexible Lösungen sucht: "Wir rennen dort gegen Wände." Das selbstverwaltete Gesundheitswesen nimmt er als verkrustet wahr.

- In Schleswig-Holstein gibt es Modelle, mit denen die ambulante Versorgung auf dem Land neu erprobt wird. Ein Beispiel ist die kommunale Eigeneinrichtung der Gemeinde Büsum, wo Christopher Schultz derzeit seine Weiterbildung absolviert. Schultz ist einer von sechs Ärzten, die derzeit im Ärztezentrum der Gemeinde angestellt sind. Das Arbeiten im Team mit jungen und erfahrenen Kollegen empfindet er als Gewinn: "Man lernt jeden Tag dazu", sagte Schultz in der Podiumsdiskussion. Gefragt nach dem Grund, aus dem er sich nicht für Hamburg oder Berlin, sondern für Büsum entschieden hat, verwies er auf seine Herkunft: "Ich stamme aus der Region." Das Angestelltendasein empfindet er keineswegs als Bevormundung, sondern als Möglichkeit, sich auf seinen Beruf konzentrieren zu können: "Es ist ein Vorteil, nur Arzt sein zu können. Alles andere machen andere Leute für mich." Mitverantwortlich für Modelle wie Büsum ist die Ärztegenossenschaft Nord. Deren erster Sprecher Dr. Svante Gehring, der auch Vorstand der Ärztekammer Schleswig-Holstein ist, brach eine Lanze für regionsspezifische Modellprojekte, die die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen. "Regionale Lösungsansätze sind wichtig, man kann Modelle nicht eins zu eins übertragen", sagte Gehring. Er machte auch deutlich, wen er für Lücken in der ambulanten Versorgung für verantwortlich hält: "Es war eine politische Entscheidung, den ambulanten Sektor abzurüsten." Die jetzt bestehenden Probleme in der Gesundheitsversorgung hält er für hausgemacht und vorhersehbar: "Es hätte nicht so weit kommen müssen."

Und wie sehen es die künftigen Ärzte? Die vom Veranstalter eingespielten Statements von Medizinstudierenden aus Lübeck, Hamburg und Greifswald zeigten, wie unterschiedlich auch bei ihnen die Sichtweisen sind. Zur Frage, ob Klinik oder Praxis, Stadt oder Land, Allgemeinmedizin oder ein anderes Fach gab es zahlreiche Meinungen unter den angehenden Ärzten, die mit einer einheitlichen Lösungsstrategie nicht einzufangen wären.

Wenig Neues brachte die anschließende Diskussion über die sektorenübergreifende Versorgung in Deutschland - ein Thema, bei dem das Gesundheitswesen schon seit Jahrzehnten auf der Stelle tritt. Die wichtigsten Botschaften kamen in dieser Diskussion von den Ärzten: Der Hamburger Chirurg Dr. Gerd Fass beschrieb, wie die Bedingungen ausgerechnet für belegärztlich tätige Ärzte - also für die Gruppe, die sektorenübergreifend arbeitet - vom Gesetzgeber verschlechtert wurden. Heinrich forderte den Gesetzgeber auf, mehr Modellprojekte zuzulassen, damit niedergelassene Ärzte und Kliniken kooperieren könnten. Gehrings Forderung ging in die gleiche Richtung: "Das gesetzliche Korsett ist zu eng, um neue Wege gehen zu können. Der Gesetzgeber muss den übergreifenden Sektor für uns öffnen", lautete sein Appell.


Info

Der Norddeutsche Dialog fand zum siebten Mal statt. Er ist eine gemeinsame Veranstaltung der drei Barmer Landesvertretungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201905/h19054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Mai 2019, Seite 14
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2019

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