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ARTIKEL/1530: Wie sich im März 2020 Segeberger Kliniken auf Intensivpatienten mit Covid-19 vorbereiteten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2020

Reportage
Die Ruhe vor dem Sturm

von Robert Quentin


Im März bereiteten sich die Kliniken auf Intensivpatienten mit Covid-19 vor. Der Pressesprecher der Segeberger Kliniken, Robert Quentin, berichtet aus dem streng abgeschirmten Klinikgebäude.


Die Segeberger Kliniken haben ihren Betrieb vollständig in den Krisenmodus versetzt - alles ist für die Bewältigung der COVID-19-Pandemie vorbereitet. Ein Blick in ein Krankenhaus, das sich binnen weniger Tage für ein Szenario aufstellen muss, das beispiellos ist.

Vor der Rezeption der Allgemeinen Klinik hat sich eine Menschenschlange gebildet. Nachdem die Landesregierung vor zwei Tagen verfügt hat, dass Patientenbesuche in Kliniken ab sofort verboten sind, endet der Aufenthalt von Angehörigen hier vor dem Empfangstresen. Plötzlich wird es laut. Ein Mann, etwa Ende 50, tritt stöhnend aus der Schlange heraus und will an Simone Weiland vorbei durch die Tür.

Die hat ihn bereits fest im Blick. Seit Jahren ist sie als freundliche und stets hilfsbereite Mitarbeiterin am Empfang erste Anlaufstelle für Besucher und Patienten der Allgemeinen Klinik. Bisher kannte sie Antworten auf sämtliche Fragen rund um das Krankenhaus. In Zeiten von Corona steht sie nun vor der gewaltigen Herausforderung, konsequent sicherzustellen, dass kein Klinikbesucher an ihr vorbeikommt. "Mein Herr, Augenblick bitte, was ist mit Ihnen?", ruft sie dem Mann zu, der sich jetzt an den Bauch fasst, taumelt und offensichtlich starke Schmerzen hat. Mitarbeiter aus der Ambulanz kommen zur Hilfe und führen ihn zur Diagnostik ins Behandlungszimmer. Die Nerven der Umstehenden liegen blank, rasch beruhigt Simone Weiland die Wartenden und stellt den geordneten Ablauf am Empfang wieder her.

COVID-19 stellt die Welt auf den Kopf - auch in den Segeberger Kliniken. Jetzt sind Ärzte wie Stephanie Liedtke gefordert. Die Krankenhaushygienikerin ist Leiterin des täglichen Krisenstabs der Klinik. Seitdem es gilt, sozialen Kontakt zu meiden, leitet sie jeden Morgen das interdisziplinäre Team aus Krankenhausleitung, Pflegepersonal, Ärzten und weiteren Leitungskräften per Telefonkonferenz. Am Abend zuvor hat sie an einer Krisensitzung im Gesundheitsministerium teilgenommen. Als Leitende Notärztin und Anästhesistin ist Stephanie Liedtke krisenerprobt, aber die aktuelle Situation verlangt auch ihr alles ab. "Da ich schon seit Anfang Januar die Entwicklung in China akribisch verfolge, habe ich mit der Dynamik in Deutschland gerechnet. Ich hoffe nur, dass die vor einer Woche verhängten Maßnahmen zur Einschränkung des sozialen Lebens schnell greifen und zur Abnahme der Neuinfektionen führen. Klar ist aber, das wird ein Marathon - und wir brauchen einen langen Atem", sagt sie.

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In Schulungen mit den Klinikmitarbeitern geht es u. a. um den Umgang mit kontaminierter Kleidung und um die Betreuung beatmeter Patienten.
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Diese Gewissheit hat sich unterdessen bei allen Verantwortlichen eingestellt. Jeder rüstet sich entsprechend in seinem Bereich, auch Dr. Anja Schulz. In der Allgemeinen Klinik mit 200 Betten ist sie verantwortlich für die Patienten auf der Intensivstation. Nach Absprache mit der Geschäftsführung hat der Krisenstab ein Eskalationsszenario in drei Stufen festgelegt. Die Allgemeine Klinik soll in Stufe eins zunächst für die erwarteten Corona-Fälle vorbereitet werden. Dafür haben alle Fachbereiche sämtliche planbaren Eingriffe abgesagt, um so Kapazitäten und Personal freizuhalten. Intensivmedizinerin Anja Schulz kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Seit Tagen ist sie dabei, die Beatmungskapazitäten aufzustocken. Mit ihrem Team soll sie die erste COVID-19-Welle abfedern. "Wir werden das auf Dauer mit unseren Leuten allein nicht bewältigen können. Daher schulen wir nun unter Hochdruck alle frei werdenden Kolleginnen und Kollegen entsprechend", sagt Anja Schulz. Es geht dabei um den Umgang mit kontaminierter Kleidung, die Betreuung der beatmeten Patienten und die Orientierung, wo sich auf der Intensivstation alle relevanten Utensilien befinden, um jeden Corona-Patienten in den Isolationszimmern professionell zu betreuen.

Die dreifache Mutter hat nicht nur die Organisation der Intensivstation im Blick. Fürsorge für ihre Mitarbeiter ist jetzt ganz wichtig. "Ich sehe zweifellos die Verunsicherung meines Teams. Das erfordert ein hohes Maß an Sensibilität und Verständnis. Ich führe in diesen Tagen häufig Mitarbeitergespräche. Da geht es um viele Fragen zur Situation, wenn wir hier anfangen müssen, COVID-19-Patienten zu versorgen", erzählt sie.

Während sie das sagt, bringen Rettungsassistenten einen beatmeten Patienten, der aus einem Altenheim verlegt wird. Der Mann ist negativ auf Corona getestet, betont ein Mitarbeiter und man merkt ihm an, dass ihm diese Bestätigung wichtig ist.

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Vor jeder Zimmertür liegt Isolationskleidung parat, die Betten sind noch mit Plastikfolie eingewickelt.
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Zwei Stockwerke höher steht Dr. Alexander Bauer auf Station 3a auf dem Flur. Es ist still. Der 47-jährige Internist hat hier mit seinem Team alles für den Notfall vorbereitet. Die Maßnahme ist Teil der Eskalationsstufe Eins. 13 bisher noch leere Zimmer warten auf Corona-Patienten, die mit schweren Symptomen stationär aufgenommen werden müssen. Vor jeder Zimmertür liegt Isolationskleidung parat, die Betten sind noch mit Plastikfolie eingewickelt.

Um das Personal bis dahin zu schonen, hat der Leitende Oberarzt mehrere Ärzte vorerst auf Abruf nach Hause geschickt. Wenn es losgeht, sollen sie ausgeruht sein. "Wir modellieren momentan an verschiedenen Dienstplänen herum. Ziel ist es, genügend ausgeruhtes Personal zu haben, wenn wir als Klinik in den Fokus der Corona-Krise kommen", sagt der Mediziner. Vorbildlich findet er das abgestimmte Vorgehen der gesamten Klinik. "Wie hier alle interdisziplinär zusammenarbeiten, ist wirklich beispielhaft. Das geht weit über die ärztliche und pflegerische Zusammenarbeit hinaus. Ob Haustechnik, Reinigung oder Verwaltung, in dieser beispiellosen Krise sind alle Gewerke gefordert und wir arbeiten Hand in Hand. Wie schnell wir hier die Station hergerichtet haben, macht mich sehr zuversichtlich für das, was kommt."

Nicht abwarten kann, wer in diesen Tagen ein Kind erwartet. Laura Kaben sitzt neben ihrem Partner im Kreißsaal, die Geburt steht kurz bevor. Die selbst gewählte Isolation zu Hause hat die 24-Jährige zuvor viele Nerven gekostet. "Ich hatte große Angst, gar nicht mehr versorgt werden zu können. Ob ich noch zu meinem Gynäkologen komme oder mich anstecken könnte. Das macht dich verrückt, wenn du allein zu Hause bist." Ihr Partner hat sich vor zwei Tagen frei genommen. Als er hörte, dass es ein komplettes Besuchsverbot in der Klinik gibt, bekam auch er Angst. "Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn du bei der Geburt deiner Tochter nicht dabei sein kannst. Ich bin froh, dass wir jetzt hier sind", sagt Mathias Eumann aus Wahlstedt. "Wir haben uns auf die Sorgen der werdenden Eltern eingestellt. Kein werdender Vater wird von uns abgewiesen", beruhigt Chefarzt Dr. Christian Rybakowski. Dafür liegen an der Information bereits entsprechende Formulare bereit, "die füllt man aus und kann dann auch in dieser Situation bei der Geburt dabei sein", versichert der Mediziner.

Ellen Zander-Dardaillon trägt wieder Weiß. Die 54-jährige Pflegedienstleitung kümmert sich in der Krise um die angemessene Einsatzfähigkeit von 245 Mitarbeitern auf den Stationen im Herz- und Gefäßzentrum und in der Psychosomatischen Klinik. Als Pflegemanagerin kennt man sie eigentlich in lässiger Zivilkleidung. Aber seit das Coronavirus bedrohlich näherkommt, zeigt sie mit dieser Kleidung Flagge. "Natürlich organisiere ich jetzt noch mehr als sonst. Da wir alle unsere Aufgaben über das normale Maß zu erfüllen haben werden, finde ich es angemessen, wenn ich wieder als Fachpflegerin zu erkennen bin. Denn das ist es, was ich im Zweifel auch tun werde", sagt sie.

Ellen Zander-Dardaillon arbeitet an der Schnittstelle zwischen Geschäftsführung und Pflegepersonal. Sie kommuniziert die getroffenen Entscheidungen an die Mitarbeiter. Dazu erklärt sie viel, schafft Verständnis und sorgt dafür, dass der Teamgeist in dieser herausfordernden Situation gewahrt bleibt. Die Anspannung ist hoch. "Wir müssen sehr aufmerksam sein, die sich fast täglich ändernden Vorgaben des Landes stets richtig umzusetzen", sagt sie. Als beispielsweise mehrere Reha-Patienten samt Gepäck in der Aufnahme warten und es nicht weitergeht, weil Mitarbeiter kurz zweifeln, ob sie überhaupt noch stationär aufnehmen dürfen, klärt die Pflegechefin rasch die Situation. Alle Patienten werden auf die Zimmer gebracht. Weiter eilt sie zur nächsten Station.

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54 Cent zahlen die Segeberger Kliniken sonst für einfache Atemschutzmasken - inzwischen verlangen einzelne Anbieter 7 Euro.
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Lars Thomsen legt empört das Telefon auf. Der sonst eher besonnene Einkäufer für medizinische Produkte ärgert sich über einen Lieferanten für Atemschutzmasken. "Wie kann man nur so daherreden und sich auf die freie Marktwirtschaft berufen, wenn Restaurants schließen, Ferieninseln abgeriegelt werden und die Wirtschaft den Bach runtergeht. Unglaublich!" Sieben Euro verlangt die Firma für einfache Atemschutzmasken, die vor der Corona-Krise noch für 54 Cent zu bekommen waren. Dabei ist nicht mal klar, ob die Ware CE zertifiziert ist. Solche Angebote kommen Thomsen jetzt häufiger auf den Tisch. Aktuell ist sein Bestand noch ausreichend, aber natürlich muss er vorsorgen. "Wir können wohl nochmal 200.000 Stück bekommen, haben unsere Lagerkapazitäten entsprechend erhöht und schaffen so eine eiserne Reserve. Aber die Masken bleiben eine logistische Herausforderung", sagt er. Kernproblem seien die vom Typ FFP 2, Schutzmasken mit zwei Ventilen links und rechts. "Ausverkauft", meint Thomsen. Ergattert hat er vorher noch wenige Paare.

Für Dr. Jan Brocke hat die Eskalationsstufe drei praktisch schon begonnen. Der Neurologe soll mit seinem Team beatmungspflichtige Patienten ohne Coronaerkrankung aus umliegenden Kliniken in Lübeck, Heide und Kiel übernehmen, um dort Kapazitäten für COVID-19-Fälle freizumachen. Täglich werden ihm jetzt Patienten überstellt. "Wir haben eine der größten Beatmungskapazitäten im Land und stocken gerade weiter auf. Diese Krise zeigt auch, wie leistungsfähig unser Gesundheitssystem ist. Das ist auch für mich als Mediziner eine erstmal beruhigende Beobachtung", sagt der Chefarzt für Frührehabilitation und Neurointensivmedizin. Sein Team hat einen ersten Coronaschock schon hinter sich: Bei einem bereits negativ abgestrichenen Patienten waren Zweifel aufgekommen, er könnte vielleicht doch positiv sein - zum Glück Fehlalarm. "Die Coronadiagnostik bleibt eine schwierige Kiste, weil die symptomatischen Unterschiede zu anderen Atemwegserkrankungen so unspezifisch sind", sagt der Neurologe.

Das Pflegepersonal, die Ärzte und weitere fast 2.000 Mitarbeiter der Segeberger Kliniken sind in einer Situation wie der Schwimmer auf dem Sprungblock kurz vorm Startschuss. Alles ist vorbereitet. Man wartet - auf den ersten Klinikpatienten mit COVID-19.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202004/h20044a.htm

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, April 2020, Seite 18 - 20
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2020

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