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ARTIKEL/1295: "Versorgungsmanagement an der Schnittstelle ambulant-stationär verbessern" (BVMed)


BVMed - Bundesverband Medizintechnologie e.V. - 30. November 2012

Homecare-Konferenz des BVMed:
"Versorgungsmanagement an der Schnittstelle ambulant-stationär verbessern"


Berlin. Der Übergang der Patienten vom stationären in den ambulanten Bereich muss in Zukunft durch ein professionelleres Überleitmanagement verbessert werden. Das verdeutlichten die Experten der diesjährigen MedInform-Homecare-Konferenz "Versorgungsmanagement 2013 - Wer übernimmt zukünftig welche Aufgaben?" am 29. November 2012 in Berlin. MedInform ist der Informations- und Seminarservice des BVMed. Ein solcher "Kümmerer" für das ganzheitliche Versorgungsmanagement der Patienten können nach Ansicht von Rita Becher vom Sanitätshaus Müller Betten und Dennis Giesfeldt von Coloplast SIEWA Homecare die Homecare-Unternehmen sein, die Leistungen rund um eine komplexe Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln und/oder Verbandmitteln zu Hause und in Pflegeheimen anbieten.

Hintergrund der Konferenz waren die Vorgaben des Versorgungsstrukturgesetzes, nach denen der Patient einen Anspruch auf ein Entlassmanagement als Teil seiner Krankenhausbehandlung hat. Pflegeexpertin Irene Hößl stellte fest, dass Krankenhäuser verstärkt seit dem Jahr 2002 Vorkehrungen für ein Entlassmanagement treffen. In der Praxis gebe es aber erheblichen Verbesserungsbedarf. So sei es wichtig, bereits bei der Aufnahme die Patienten zu identifizieren, die nach der Entlassung einen Versorgungsbedarf haben. Der Pflegebereich sei dabei gut aufgestellt. Es gebe bereits heute hoch qualifizierte und spezialisierte Pflegekräfte wie Wundmanager und Stomatherapeuten, die sowohl im stationären wie ambulanten Bereich beispielsweise für Homecare-Unternehmen Versorgungsmanagement betreiben. Der Allgemeinarzt Dr. Thomas Lipp bezeichnete ein strukturiertes Entlassmanagement als "zwingend erforderlich". Das beginne aber bereits bei der Einweisung und beinhalte die Festlegung eines Behandlungsziels.

Medizinrechtler Dr. Michael A. Ossege von Rechtsanwälte Wigge beleuchtete die Vorgaben des Gesetzgebers im Versorgungs- und Entlassmanagement. Seit Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes Anfang 2012 hat der Patient einen unmittelbaren Anspruch aus dem Sozialgesetzbuch auf ein Entlassmanagement als Teil seiner Krankenhausbehandlung. Damit liegt die Verantwortung für die Organisation eines strukturierten Übergangs vom stationären in den ambulanten Bereich beim Krankenhaus. Ziel des Entlassmanagements ist es, die Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten, die Kommunikation zwischen den beteiligten ambulanten oder stationären Versorgungsbereichen zu verbessern, die Entlastung von Patienten und ihren Angehörigen zu ermöglichen sowie zu einer möglichen Vermeidung des "Drehtüreffektes" beizutragen, so heißt es laut Ossege in der Gesetzesbegründung. Das Entlassmanagement umfasst auch die vor- und nachstationäre Behandlung. Ossege hält die Regelungen zum Versorgungs- und Entlassmanagement für "zwar gut gemeint, aber rechtlich missglückt", da es sich um einen rechtlichen Graubereich handele. Der Anspruch auf Versorgungsmanagement richte sich gegen das Krankenhaus, der Anspruch auf Entlassmanagement gegen die Krankenkasse. Durch diese Systematik blieben zu viele Fragen offen: Was umfasst das Entlassmanagement genau? Wer trägt die Kosten, die aus dem Entlassmanagement entstehen? Wie muss der Versicherte den Antrag auf Entlassmanagement stellen? Gegen wen richten sicht mögliche Schadensersatzansprüche? Diese Fragen seien ungeklärt. Daher werde sich in der Praxis zunächst vermutlich wenig ändern, obwohl ein "Kümmerer" für ein ganzheitliches Versorgungsmanagement benötigt werde.

Wie soll das Entlassmanagement nach dem Versorgungsstrukturgesetz in der Praxis umgesetzt werden? Berater Thomas Bade sieht hier große Herausforderungen: "Eine grundlegende Herausforderung für das Entlassmanagement ist, dass verschiedene Formen der ambulanten Versorgung und des klinischen Handelns aufeinander stoßen." Wichtig sei, dass der Patient einwilligen muss. Unklar sei, wie der Vertrag aussehen soll, in den eingewilligt werden muss. Denn es gebe auf der einen Seite unterschiedlichste Expertenstandards für Pflegeerfordernisse, für die Beratung der Patienten und Angehörigen sowie für den individuellen Bedarf an Untersützung. Auf der anderen Seite stehen eine Vielfalt an sozialrechtlichen Ansprüchen wie Hilfsmittelversorgung, Pflegeberatung, Rehabilitation oder häusliche Betreuung. Bade: "Wer soll das Entlassmanagement umsetzen und erfüllen? Diese Frage bleibt vorerst unbeantwortet." Die Herausforderung beim Versorgungsmanagement sei, dass unterschiedliche Krankheitsepisoden - akut, chronisch oder Behindertenausgleich - auch differenzierte Angebote verlangen. Homecare-Unternehmen, die auf Versorgungen spezialisiert sind, können hier eine Chance nutzen, mit Krankenhäusern zu kooperieren und ein erfolgreiches Netzwerkmanagement aufzubauen. Das sei auch für die Krankenhäuser von Vorteil, um unzulässsige Kooperationen mit sonstigen Leistungserbringern wie Sanitätshäusern zu vermeiden. Für die Vereinbarung eines Entlassmanagements stellte Bade einen Mustervertrag vor. Dies sei kein Entgeltvertrag, sondern reine Qualitätsmanagementverträge, die nicht ausgeschrieben werden müssen. Damit Homecare-Unternehmen pro-aktiv auf Krankenkassen zugehen können, müssen sie ein umfassendes Netzwerkmanagement vorlegen. Dazu gehört eine Daten- und Versorgungsverträge-Analyse, die Kommunikation mit dem Krankenhausträger, ein Vertragsmanagement, die juristische Prüfung der Kooperationen, ein Konzept für ein Entlassungs- und Zuweisungsmanagement, die wettbewerbsrechtliche Absicherung, Dokumentationsbögen sowie die Evaluation und Patientenzufriedenheitsmessung.

Einen verstärkten Blick auf eine sektorenübergreifende Versorgung forderte Irene Hößl ein. Sie ist Beraterin und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Pflegemanagement und verfügt über langjährige Krankenhauserfahrung. Aus ihrer Erfahrung werden in den Krankenhäusern verstärkt seit 2002 Vorkehrungen für ein Entlassmanagement getroffen. "Aber wir sind da in der Praxis noch nicht immer gut", so Hößl. Es sei wichtig, bereits bei der Aufnahme die Patienten zu identifizieren, die nach der Entlassung einen Versorgungsbedarf haben. "Die Überleitung nach Haus oder zurück ins Pflegeheim muss frühzeitig organisiert werden." Das sei im ureigenen Interesse der Krankenhäuser, die dadurch eine verlängerte Verweildauer vermeiden können. Mit der Möglichkeit der Integrierten Versorgungsverträge (IV) ab 2007 habe man viel über Vertragsverhandlungen und echte Kooperationen mit Nachversorgern gelernt. "Wir haben durch den IV-Vertrag Plattformen geschaffen für gemeinsame Kommunikations- und Dokumentationsstrukturen - auch mit Hilfe von IT. Der IV-Vertrag wird heute nicht mehr von den Kassen finanziert, aber alle Beteiligten profitieren noch immer von den geschaffenen Strukturen", so Hößl. Es gibt durch die IV-Verträge Leuchttürme bei den vernetzten Strukturen, "aber insgesamt sind wir in Deutschland noch zu wenig vernetzt". Die 2012 nachgeschobene Festschreibung des Entlassmanagements als Teil der Krankenhausbehandlung sei für das Krankenhausmanagement derzeit nicht das vorrangige Thema. Verbesserungspotenzial im Entlassmanagement sieht Hößl durch die Etablierung von Versorgungsnetzwerken, durch eine bessere Vernetzung der sektor-übergreifenden Kommunikation und durch sektor-übergreifende Behandlungspfade. Außerdem müsse die Selbstmanagement-Kompetenz bei Patienten und Angehörigen durch Information und Beratung verbessert werden. Ein wichtiger Zukungftsaspekt seien neue Berufsbilder in der Pflege. "Deutschland braucht zukünftig hoch spezialisierte und besonders qualifizierte Pflegefachkräfte, die vermehrt Behandlungsprozesse auch über Sektorengrenzen hinweg managen", ist Hößl überzeugt.

Dr. Thomas Lipp, Allgemein- und Ernährungsmediziner aus Leipzig, ging auf die ethischen Probleme im Umgang mit künstlich ernährten Patienten ein. Künstliche Ernährung sei dort wichtig, wo man Patienten helfen und Prognosen verbessern könne. Heute sei der Tod bei 80 Prozent der Patienten im Krankenhaus kein natürliches Sterben, sondern eine technische Entscheidung. "In der Intensivmedizin gibt es keinen natürlichen Tod, es sei denn, er wird beschlossen." Entscheidend sei der Patientenwille. Deshalb sei eine frühzeitige Patientenverfügung so wichtig. Die Eigenverantwortung der Patienten und die Verantwortung der Familie dürfe nicht zu kurz kommen. Zu einem Überleitungsmanagement gehöre damit zwingend eine Bemerkung darüber, wie der Patientenwille und der Wille der Angehörigen ist. Wichtig sei auch eine Prognoseaussage und die Festlegung eines Behandlungsziels. "Die zentrale Frage ist: Profitiert der Patient? Gibt es ein vernünftiges realistisches Therapieziel?" Den Arztberuf sieht Lipp aufgrund der technischen Entwicklung am Scheideweg. "Wir werden auf der einen Seite Ärzte, und auf der anderen Seite spezialisierte 'Krankheitstechnologen' haben." Die mediznisch-technischen Möglichkeiten - und damit die ethischen Fragen - hätten erst begonnen.

Rita Becher vom Sanitätshaus Müller Betten und Dennis Giesfeldt von Coloplast SIEWA Homecare, beide BVMed-Mitgliedsunternehmen, beleuchteten den Beitrag von Homecare-Leitungen in einer prozessoptimierten Versorgungskette vom stationären in den ambulanten Sektor. Homecare-Unternehmen seien dabei wertvolle Dienstleister insbesondere bei komplexen Hilfsmittelversorgungen aus einer Hand. Patienten, die Hilfsmittelversorgungen benötigen, würden von den Unternehmen im Rahmen des Entlassmanagements übernommen. Homecare-Unternemen liefern die notwendigen Produkte, beraten, schulen und leiten Patienten, Angehörige und Pflegepersonal im Umgang mit diesen fortschrittlichen Medizintechnologien an - und leisten so einen wichtigen Beitrag zum Therapieerfolg. Als "Management-Komponenten" im Entlassmanagement bezeichnete Becher die "Puzzlesteine" Überleitmanagement, Organisation, Lieferung, Rezeptmanagement, Patientenmanagement, Begleitung und Schulung. "Unsere Versorgung beginnt rechtlich erst nach dem Verlassen des Krankenhauses, unsere Leistungen beginnen aber bereits in der Klinik, um die Überleitung des Patienten ins häusliche Umfeld sicherzustellen", so Becher. "Wir leisten in der Praxis bereits einen konkreten Beitrag im Versorgungsmanagent, der nicht unterschätzt werden darf", ergänzte Giesfeldt.

Einen konkreten interdisziplinären Ansatz für ein professionelles Überleitmanagement stellte Regine Harms vom Versorgungsnetz Gesundheit in Oldenburg vor. Ziel der Vereinsgründung im Jahr 2002 war die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Region Oldenburg. Zu den Mitgliedern gehören Krankenhäuser, Ärzte, Krankenkassen, Heime und Pflegedienste, Wissenschaftseinrichtungen, Apotheken oder Unternehmen. Von 2002 bis 2004 wurde in Trägerschaft der drei regionalen Akutkrankenhäuser ein Überleitungsprojekt durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in den Krankenhäusern als "Standard Entlassungsmanagement" verabschiedet. Pflegedienste, Heime und Hausarztpraxen erhielten entsprechende Leitsätze. Dazu gehört, dass Einrichtungen, die vor der Krankenhausaufnahme den Patienten versorgt haben, im Rahmen der Anamnese erfragt und dokumentiert werden. Mit weiterversorgenden Einrichtungen wird bei Besonderheiten Kontakt aufgenommen und bei Bedarf ein Erstbesuch im Krankenhaus vereinbart. Das Entlassungsdatum wird rechtzeitig mitgeteilt und pflegerischen Einrichtungen ein Überleitungsbogen mitgegeben, der vereinheitlicht ist. "Wichtig ist, dass die Ergebnisse des Projekts in der Praxis verbindlich umgesetzt werden", so Harms. Dies wurde beispielsweise durch Checklisten für die Entlassungsplanung der Krankenhäuser sowie Rückmeldebögen zur Überleitungspraxis realisiert. Einen hohen Stellenwert habe auch der Informationsaustausch - beispielsweise durch gemeinsame kommunikative Fortbildungsveranstaltungen und interdisziplinäre Weiterbildungsveranstaltungen. Weitere wertvolle Instrumente seien Strategieworkshops, ein regelmäßiger Newsletter sowie eine Notfallmappe zur Informationsvermittlung in häuslichen Notfallsituationen für Rettungsdienste und Notärzte. "Ein solches Netzwerk kann nur funktionieren, wenn die Beteiligten bereit sind, auf Konkurrenzgedanken zu verzichten, um gemeinsame Ziele zu verfolgen", so Harms' Fazit.

Moderiert wurde die Konferenz von Daniela Piossek, Leiterin des BVMed-Referats Krankenversicherung.


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Quelle:
BVMed-Pressemeldung Nr. 99/12 vom 30. November 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2012

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