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ARTIKEL/1418: Überlastungsanzeigen ... Vorwürfe gegen das Helius Klinikum Schleswig (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2016

Helius Klinikum Schleswig
Ärztliche Überlastung angezeigt

Von Anne Mey


Mit Überlastungsanzeigen haben Ärzte auf die nach ihrer Auffassung prekäre Personalsituation aufmerksam gemacht. Der Marburger Bund und die Politik sind eingeschaltet. Kommen jetzt Personalmindeststandards?


Die Vorwürfe wiegen schwer in Schleswig: Hohe Arbeitsbelastung, überschrittene gesetzliche Arbeitszeiten, nicht eingehaltene Dienstpläne und gebietsfremde Arbeiten werden der Helios Klinik zur Last gelegt. Dies soll u. a. dazu geführt haben, dass zwölf Ärzte in zwei Monaten dem Haus den Rücken gekehrt haben. Das sind etwa zehn Prozent der ärztlichen Belegschaft. Eine Fluktuationsrate, die sich laut Dr. Henrik Herrmann, Vorsitzender des Marburger Bundes in Schleswig-Holstein, zwar noch im normalen Rahmen befindet, auf die Kürze der Zeit gesehen aber stutzig macht. Zumal es sich bei den scheidenden Ärzten nicht nur um Weiterbildungsassistenten aus den ersten Berufsjahren handelt, die aufgrund ihrer Weiterbildung wechseln, sondern auch um Chef- und Oberärzte, deren Nachbesetzung naturgemäß schwieriger ist.

Schon vor einem halben Jahr hatten sich Ärzte aus Schleswig mit der Bitte um Beratung an den Marburger Bund gewandt, der daraufhin mehrfach vor Ort war. "Da ging es insbesondere um arbeitszeitrechtliche Dinge, um Dienstplangestaltung und um gebietsfremde Arbeiten. Ärzte, die in einem bestimmten Gebiet tätig sind und sich dort weiterbilden, sollten auf einmal in einem anderen Gebiet aushelfen. Das ist sehr kritisch zu sehen", so Herrmann. So sei es dazu gekommen, dass Ärzte, die Schlaganfallpatienten auf der Stroke Unit versorgen, auch auf der Kardiologie in der Chest Pain Unit den Bereitschaftsdienst machen sollten. Chirurgen am Anfang ihrer Weiterbildung habe man im Bereitschaftsdienst auf der Intensivstation einsetzen wollen und Anästhesisten mit der Zusatzqualifikation Schmerztherapie, die mehrere Jahre nur entsprechend ihrer Zusatzqualifikation tätig waren, sollten wieder im Bereich der "klassischen" Anästhesie arbeiten. "Wenn ich jahrelang etwas nicht gemacht habe, ist es schwierig, dort einfach eingesetzt zu werden. Das geht nur nach einer längeren Vorbereitungszeit, damit ich das wieder lerne und reinkomme. Diese Kollegen waren aber auch vertraglich auf die Schmerztherapie festgelegt", schildert Herrmann.

Der Geschäftsführer der Helios Klinik, John Friedrich Näthke, der seit Mitte 2015 im Amt ist, gibt neben der natürlichen Fluktuation gegenüber dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt als Grund an, dass es auch jene Ärzte gebe, "die zu den notwendigen Veränderungen, die wir in unserem Haus angestoßen haben, eine andere Auffassung vertreten". Bereits bei Amtsantritt hatte Näthke angekündigt, dass man sich in den neuen Räumlichkeiten so aufstellen müsse, dass man auch mit weniger Personal zurechtkomme. Auch wenn der Umzug in den Neubau, der eigentlich für April geplant war und wegen baulicher Mängel in den Juli verschoben wurde, noch bevorsteht, gibt es offenbar schon jetzt erheblichen Personalmangel. Allein im Februar und März mussten laut Herrmann bis zu 900 Mal Mitarbeiter aus dem ärztlichen und pflegerischen Bereich aus ihrer Freizeit geholt werden. Herrmann: "Vom Instrument des Zurückholens aus dem Frei sollte man möglichst wenig Gebrauch machen, denn das sind Zeiten, wo sich die Kolleginnen und Kollegen erholen sollen, damit sie mit voller Arbeitskraft ihre schwierigen Aufgaben schaffen können. Wenn man das zu häufig strapaziert, führt es dazu, dass die Belastung steigt und das im Endeffekt irgendwann die Patientensicherheit gefährdet."

Die Rede ist in Schleswig von 100 Überlastungsanzeigen in einem Quartal. "Das sind viele Anzeigen, die das Ausmaß der Arbeitsverdichtung deutlich machen. Damit bringen die Kollegen im ärztlichen Bereich und in der Pflege zum Ausdruck, dass sie das, was sie von ihrer Profession her machen wollen, nicht mehr schaffen. Deshalb treten wir dafür ein, dass Personalmindeststandards definiert werden, unter die man nicht absinken darf", so Herrmann. Er betont, dass viele Kliniken mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. In Schleswig habe es sich lediglich kumuliert.

Näthke bestreitet die Überlastungsanzeigen nicht, schränkt aber ein: "Im ärztlichen Bereich hat es eine Überlastungsanzeige gegeben, die inzwischen geklärt wurde. Grundsätzlich versuchen wir Fälle von Überlastungsanzeigen unter Beteiligung des Betriebsrates aufzuarbeiten und wirken daraufhin, ihr Vorkommen zu minimieren. Die zusätzlich geleistete Arbeit wird durch Freizeit ausgeglichen." Auch die Verurteilung zu Strafgeldern aufgrund unzumutbarer Dienstpläne bestätigte Näthke: "Es ist richtig, dass dem Haus auf Antrag des Betriebsrates seitens des Arbeitsgerichtes ein Strafgeld auferlegt wurde. Dies geschah, da es uns trotz intensiver Anstrengungen in Einzelfällen nicht gelungen ist, den in einer Einigungsstelle vereinbarten Dienstplan umzusetzen. Ein Grund hierfür war unter anderem ein erhöhter Krankenstand in der betroffenen Abteilung. Ich suche den Dialog mit den Ärztinnen und Ärzten. Dann sprechen wir darüber, an welcher Stelle wir nachsteuern können und wo es ggf. auch nicht möglich ist."

Den Vorwurf, die Rendite über die Mitarbeiter und Patienten zu stellen, kann Näthke nicht nachvollziehen: "Meine Aufgabe als Geschäftsführer des Helios Klinikums Schleswig ist es, den Bestand des Krankenhauses zu sichern. Das wird nur gelingen, wenn ökonomischer Erfolg und hohe medizinische Qualität in gleicher Weise erreicht werden. Einen Widerspruch zwischen ärztlichen und ökonomischen Erwägungen kann ich im Kern nicht erkennen."

Inzwischen hat sich auch die Politik eingeschaltet. Birte Pauls, Schleswiger SPD-Landtagsabgeordnete und pflegepolitische Sprecherin ihrer Fraktion, fordert einen gesetzlichen Personalbemessungsschlüssel. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Karsten Jasper, forderte das Sozialministerium auf, tätig zu werden: "Nach den Massenkündigungen durch das ärztliche Personal muss die Sozialministerin zeigen, dass sie die Vorwürfe ernst nimmt, und sie muss notfalls die notwendigen Konsequenzen ziehen. Es darf nicht sein, dass das Wohl von Patienten und Personal durch ökonomischen Druck in Mitleidenschaft gezogen wird."

Das Sozialministerium führte inzwischen Gespräche mit der Klinikleitung. "Nach dem Gespräch mit Geschäftsführung und Personalvertretung ist mein Eindruck, dass es Verbesserungsmöglichkeiten im Personalbereich gibt. Darüber werde ich in einem erneuten Gespräch mit der Geschäftsführung sprechen. Verantwortlich für die angemessene Personalbemessung ist der Träger, das Land unterstützt in diesem Fall moderierend", sagte Gesundheits-Staatssekretärin Anette Langner.


INFO

900 Mal mussten Ärzte und Pflegekräfte aus dem Helios Klinikum Schleswig laut Marburger Bund innerhalb von zwei Monaten aus ihrer Freizeit in den Dienst zurückgeholt werden, weil sie im Krankenhaus dringend gebraucht wurden. Die Ärztegewerkschaft befürchtet, dass die damit steigende Belastung für das Personal irgendwann die Patientensicherheit gefährdet.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201605/h16054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Mai 2016, Seite 18 - 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2016

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