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INTERNATIONAL/014: Mehr Geld im Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten - Doch Krise bleibt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Dezember 2012

Gesundheit
Mehr Geld im Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten - Doch Krise bleibt

von Carey L. Biron



Washington, 4. Dezember (IPS) - Die gute Nachricht: Die internationale Finanzhilfe zur Bekämpfung der sogenannten vernachlässigten Krankheiten ist in den letzten fünf Jahren um eine halbe Milliarde US-Dollar gestiegen. Die schlechte: Die veränderte Finanzierungsdynamik wirkt sich negativ auf die Entwicklung von Medikamenten, Diagnostika, Impfstoffen und Präventionsmaßnahmen aus.

Was einem neuen Bericht zufolge noch besorgniserregender ist: Die Forschung für Armutskrankheiten wie Lepra, Guineawurm und andere parasitäre, virale und bakterielle Infektionen wird nur von einigen wenigen Akteuren geschultert. So leisten allein die USA 70 Prozent der Untersuchungs- und Entwicklungsarbeit - sowohl über öffentliche Einrichtungen wie den Nationalen Gesundheitsinstituten als auch über philanthropische Organisationen wie der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung.

Bewohner der 3.000 Menschen zählenden sudanesischen Luri-Rokwe-Lepra-Station - Bild: © UN/Tim McKulka

Bewohner der 3.000 Menschen zählenden sudanesischen Luri-Rokwe-Lepra-Station
Bild: © UN/Tim McKulka

Aus dem Bericht der 'Globalen Finanzierung von Innovationen für vernachlässigte Krankheiten' (G-FINDER) geht ferner hervor, dass die restlichen 30 Prozent von einigen wenigen europäischen Ländern und dem 'Wellcome Trust' in London finanziert werden.

Da die vernachlässigten Krankheiten vor allem die Armen in Entwicklungsländern betreffen, erfahren sie nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigen. Da die Erforschung wirksamer Produkte extrem teuer ist, und die Armen sie sich nicht leisten können, gibt es für sie keinen kommerziell interessanten Markt.


Rückschlag durch Weltfinanzkrise

Allerdings hatte sich die Situation in den letzten Jahren gebessert. 2008 kam dann jedoch die internationale Finanzkrise, die die zur Verfügung stehenden Mittel wieder gedrückt hat, wie aus der von der Gates-Stiftung finanzierten G-FINDER-Umfrage hervorgeht.

Das einzige nicht-westliche Land, das der Riege der zehn wichtigsten Finanziers für vernachlässigte Krankheiten angehört, ist Indien, das pro Jahr etwa 5,6 Millionen Dollar für die Forschung und Entwicklung neuer Produkte für Armutskrankheiten ausgibt.

"Der Report zeigt die große Abhängigkeit von einigen wenigen Institutionen", warnt Peter J. Hotez, Vorsitzender des 'Sabine Vaccine Institute', einer Non-profit-Organisation mit Sitz in Washington. "Das ist ein Weckruf, den wir brauchen, um neue Akteure zu gewinnen und einige Schwellenländer und Nahoststaaten stärker einzubinden."

Obwohl die Gesamtfinanzierung vernachlässigter Krankheiten seit 2007 um 443,7 Millionen auf 2,9 Milliarden Dollar angestiegen ist, hat der Anteil der öffentlichen und philanthropischen Organisationen abgenommen. Das ist besorgniserregend, da der öffentliche Sektor auch weiterhin zwei Drittel der internationalen Finanzierung der Forschung und Entwicklung finanziert. Fast alles kommt aus den einkommensstarken Nationen. Dort hat allein 2011 mehr als die Hälfte der 20 wichtigsten Geberstaaten ihre Finanzmittel für die Pro-Armen-Medikamentenforschung gekürzt.

Während die US-Regierung auch weiterhin der größte öffentliche Finanzier der Erforschung neuer Produkte gegen vernachlässigte Krankheiten ist, dicht gefolgt von der Gates-Stiftung, hat sich Washington im letzten Jahr ebenfalls einen Sparkurs verordnet und die Mittel um 2,2 Prozent auf 30,6 Millionen Dollar heruntergefahren.

"Erfreulicherweise scheinen einige Regierungen fest entschlossen zu sein, weiter zu machen", meint Mary Moran, Mitautorin des Berichts und Geschäftsführerin von 'Policy Cures', einer Forschungsgruppe mit Sitz in London, die den G-FINDER-Bericht veröffentlicht hat. "Dennoch machen wir uns Sorgen, dass ihr Investitionsmodell in die 'schlechten alten Zeiten' zurückfallen könnte, als sich der öffentliche Sektor auf die Finanzierung grundlegender Forschungsprodukte beschränkt und die Produktentwicklung der Industrie oder philanthropischen Organisationen überlassen hatte - mit der Folge, dass fast keine Medikamente oder Diagnoseverfahren für vernachlässigte Krankheiten entwickelt wurden."

Nach Erkenntnissen von Policy Cures sind die öffentlichen Gelder in den letzten fünf Jahren für die Grundlagenforschung um mehr als ein Viertel auf 124 Millionen Dollar angestiegen. Sie machen derzeit rund ein Drittel aller öffentlichen Investitionen in vernachlässigte Krankheiten aus. Gleichzeitig sind die Zuwendungen für öffentliche Investitionen in die teure und unsicherere Produktentwicklung leicht rückläufig.


Vorhersehbare und nachhaltige Finanzierung

Der Privatsektor hat in den letzten Jahren seinen Forschungsfokus weg von den drei Killerkrankheiten AIDS, Malaria und Tuberkulose bewegt. Stattdessen konzentriert er sich auf semikommerzielle Krankheiten wie Denguefieber und Meningitis, die derzeit ein Viertel der globalen Zuwendungen anziehen.

Doch dem neuen Bericht zufolge sind die Mittel für vernachlässigte Krankheiten wie Lepra, Trachome und Rheumatisches Fieber äußerst gering. Diese erhalten jeweils knapp 0,5 Prozent der international zugesagten Gelder.

Doch auch die Zuwendungen der großen philanthropischen Organisationen sind seit einigen Jahren im Sinkflug begriffen. Dies lässt sich anhand der Veränderungen in den Finanzierungsströmen der Gates-Stiftung belegen, die bis zu 80 Prozent der Mittel des Sektors bereitstellt. Auch diese Entwicklung verdeutlicht, wie gefährlich es ist, sich nur auf eine Handvoll Geber zu verlassen.

"Dass es an der privatwirtschaftlichen Forschung und Entwicklung von neuen Produkten gegen vernachlässigte Krankheiten fehlt, spiegelt das Hauptproblem wider: dass sich nämlich das Forschungs- und Entwicklungsmodell mit seinen Marktinitiativen und hohen Preisen, die darauf abzielen, die Forschungsausgaben zu kompensieren, nicht rentiert", meint Manica Balasegaram von der Hilfsorganisation 'Ärzte ohne Grenzen', in einer Mitteilung vom 3. Dezember.

"Die G-FINDER-Untersuchung zeigt, wie instabil die Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten ist und wie wichtig es ist, dass wir uns auf Wege zur Förderung (der Forschung und Entwicklung) durch vorhersehbare und nachhaltige Finanzierungslösungen verständigen", so die Aktivistin.

Obwohl es Ende November bei der Weltgesundheitsorganisation zu einer neuen Gesprächsrunde zugunsten eines Abkommens über die Erforschung und Entwicklung neuer Produkte für vernachlässigte Krankheiten gekommen ist, treten die Gespräche weiterhin auf der Stelle.

Balasegaram bezeichnete die Verhandlungen als "riesige Enttäuschung" und wies darauf hin, dass trotz der vielen Versuche in den letzten Jahren die Regierungen das Problem auch weitere vier Jahre vor sich herschieben werden. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
https://g-finder.policycures.org/gfinder_report/
http://www.policycures.org/index.html
http://www.ipsnews.net/2012/12/funding-for-neglected-diseases-heavily-reliant-on-u-s/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2012