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POLITIK/1758: Rede von Daniel Bahr zum Haushaltsgesetz 2012 am 22.11.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Gesundheit, Daniel Bahr, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 22. November 2011 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte die Rede beginnen mit einem Dank an die Haushälter und an die federführenden Berichterstatter für die sehr konstruktiven Beratungen, die wir erneut zur Erarbeitung dieses Haushalts des Bundesministeriums für Gesundheit geführt haben.

Der größte Teil des Etats für das Bundesministerium für Gesundheit ist der Zuschuss für versicherungsfremde Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Daneben wirkt der eigentliche Etat des Bundesministeriums für Gesundheit deutlich kleiner.

Ich möchte zwei Themen stellvertretend herausgreifen, die uns im Parlament, so glaube ich, im Moment sehr bewegen.

Das erste Thema ist die Frage: Was können wir tun, um die Bereitschaft der Menschen in Deutschland für mehr Organspenden zu erhöhen? Im Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit stehen 2,5 Millionen Euro zur Verfügung, die wir nutzen wollen, um Aufklärungsarbeit zu leisten und Informationen an die Bevölkerung zu bringen. Denn wir wissen aus Umfragen, dass Menschen sich gerne darauf verlassen möchten, dass ein Organ zur Verfügung steht, wenn sie denn eines brauchen.

Wir wissen leider aber auch, dass trotzdem nicht ausreichend Menschen bereit sind, einen Organspendeausweis auszufüllen und sich als Organspender bereit zu erklären.

Deswegen bin ich sehr froh, dass wir derzeit im Deutschen Bundestag partei- und fraktionsübergreifend beraten, wie wir die Bereitschaft zu mehr Organspenden erhöhen können. Ich glaube, wir sollten über die Fraktionsgrenzen hinweg den Ehrgeiz haben, die Spendenbereitschaft zu erhöhen, und den Menschen im Lande signalisieren: Jeder, der sich bereit erklärt, einen Organspendeausweis auszufüllen, ist ein Lebensretter. Er kann Menschenleben retten. Etwa 12 000 Menschen stehen derzeit auf den Wartelisten. Sie warten dringend auf ein Organ. Wir sollten gemeinsam an dem richtigen Weg arbeiten, um die Menschen zu überzeugen, einen Organspendeausweis auszufüllen.

Zweitens möchte ich das Thema HIV/Aids herausgreifen; das hat bereits meine Vorgänger und Vorvorgänger beschäftigt. Es zeigt uns, dass Präventionsarbeit Erfolg bringt. In dieser Woche sind die neuesten Schätzungen des Robert-Koch-Instituts bekannt geworden, die uns deutlich machen, dass unsere Präventionsarbeit in Deutschland im Bereich HIV/Aids Erfolg hat; sie wird international anerkannt.

Gerade gestern haben Kollege Dirk Niebel vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie ich zu einer internationalen Konferenz eingeladen, auf der von anderen Ländern gelobt wurde, dass es uns gelungen ist, die international niedrigste Neuinfektionsrate bei HIV/Aids zu erreichen, was ein großer Erfolg ist. Ich kann heute vermelden, dass es uns gelungen ist, die niedrige Zahl der Neuinfektionen noch einmal zu senken: Im Jahr 2006 gab es etwa 3 400 Neuinfektionen; es ist uns gelungen, die Zahl der Neuinfektionen im Jahre 2011 auf etwa 2 700 zu senken.

Das ist ein gemeinsamer Erfolg. Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle an alle Gesundheitsministerinnen und -minister vor mir wenden und ihnen für das Engagement danken, das sie für die Aidsprävention in Deutschland geleistet haben, insbesondere Frau Professor Rita Süssmuth, die damit begonnen hat und sich gegen viele Widerstände in Politik und Gesellschaft durchgesetzt und viel dazu beigetragen hat, dass wir heute so große Erfolge in der HIV- und Aidsprävention haben.

Umfragen bestätigen uns, dass die Menschen - bei allem, was im Gesundheitssystem in Deutschland noch besser werden kann - mit dem zufrieden sind, was ihnen das Gesundheitssystem bietet.

Im Ausland schauen viele neidvoll nach Deutschland. Es ist die Herausforderung, das zu erhalten: freie Arztwahl, freie Krankenhauswahl, freie Krankenversicherungswahl, Therapiefreiheit, eine wohnortnahe Versorgung, die sich, gemessen an anderen Ländern, nicht zu verstecken braucht. Angesichts eines medizinischen und eines medizinisch-technischen Fortschritts in Kombination mit einer alternden Bevölkerung besteht die Herausforderung darin, dies auch für kommende Generationen zu gewährleisten. Genau das hat sich die christlich-liberale Koalition vorgenommen. Sie fühlt sich verpflichtet, die wohnortnahe Versorgung für kommende Generationen zu gewährleisten. Daran messen wir all unsere Gesetzgebungsinitiativen.

Ich darf die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen bei all den Ratschlägen auch in dieser Debatte, was wir noch besser machen könnten - wir nehmen sie gerne auf -, nur daran erinnern, dass diese Koalition in dieser Legislaturperiode ein Arbeitspensum bewältigt, das andere Regierungskonstellationen, insbesondere Rot-Grün - die Linken haben erfreulicherweise in der Bundesrepublik noch nie regiert -, in zwei Legislaturperioden nicht geschafft haben. Es lässt sich sehen, was wir bis heute schon auf den Weg gebracht haben und was wir noch auf den Weg bringen werden.

Wir haben ein Gesundheitssystem übernommen, in dem wir das größte Milliardendefizit der gesetzlichen Krankenversicherung erlebt haben. Dieses Milliardendefizit haben wir bewältigt, nicht etwa mit einer Gesundheitsreform, bei der die Leistungen für die Menschen gekürzt oder gestrichen wurden - ich schaue in die Reihen und sehe einige Brillenträger -, nicht etwa, indem wir denjenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, den Beschäftigten, signalisiert haben: Wir kürzen euer Honorar oder machen Nullrunden. - Nein, wir haben dieses große Defizit mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung bewältigt, indem wir den Beitragssatz auf das alte Niveau zurückgeführt haben. Ja, das war eine unangenehme Entscheidung; aber wir haben sie gemeinsam getroffen, um Stabilität und Verlässlichkeit ins Gesundheitswesen zu bringen.

Wir können heute mit Fug und Recht stolz darauf sein, dass das deutsche Gesundheitssystem finanziell stabil ist. Selbst wenn sich die Konjunktur verschlechtert und sich die Risiken bei der wirtschaftlichen Entwicklung bestätigen sollten, können wir weiterhin festhalten, dass das deutsche Gesundheitssystem solide finanziert ist. Das ist ein Stück Verlässlichkeit für die Patientinnen und Patienten, für die Versicherten, die sich tagtäglich auf das Gesundheitssystem verlassen, und auch für die Beschäftigten, die tagtäglich im Gesundheitswesen ihre Leistungen erbringen.

Herr Kollege Lauterbach, ich erinnere mich gut, weil ich im Gegensatz zu anderen offensichtlich nicht an politischer Vergesslichkeit leide. Wir wussten im Herbst 2009 die Zahlen für die Jahre 2010 und 2011. Das war die Schätzung, die noch unter SPD-Führung des Ministeriums vorbereitet wurde. Wir haben erlebt, dass viele Krankenkassen verschuldet waren und hohe Schulden hatten. Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass die Krankenkassen solide finanziert sind, dass dieses Milliardendefizit bewältigt wurde. Hätten wir nichts getan, lieber Kollege Lauterbach - Sie suggerieren, dass alles solide war -, und hätten wir alles einfach so belassen, wie es uns von Ihnen hinterlassen wurde, hätten wir einen Kaskadeneffekt von Kasseninsolvenzen erlebt.

Wir haben bei der City BKK in Berlin und Hamburg gerade gesehen, dass Krankenkassen geschlossen wurden und die Versicherten sich nicht mehr darauf verlassen konnten, von einer anderen Krankenkasse aufgenommen zu werden. Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn das großen Krankenkassen wie beispielsweise Allgemeinen Ortskrankenkassen passiert wäre. Das hätte das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihr Gesundheitssystem erschüttert.

Ihr Finanzierungssystem wäre nicht in der Lage gewesen, dieses Milliardendefizit zu schultern. Wir hätten massenweise Kasseninsolvenzen gehabt. Es brauchte diese Koalition, um dieses Problem zu lösen. Wir haben mit unseren Entscheidungen Verlässlichkeit für die Menschen in Deutschland geschaffen.

Sie haben das angesprochen, was wir gemacht haben. - Mit dem Versorgungsstrukturgesetz greifen wir die Bedürfnisse der Menschen vor Ort auf. Sie wollen sich darauf verlassen, dass es vor Ort noch eine Ärztin oder einen Arzt beziehungsweise eine medizinische Versorgung gibt. Sie wollen, dass der Landarzt nicht nur in einer idyllischen Vorabendserie kommt, sondern dass man den Haus- und Facharzt des Vertrauens vor Ort wählen kann. Dazu leisten wir mit unserem Versorgungsstrukturgesetz einen wesentlichen Beitrag.

Wir wollen, dass die Ärzte von Tätigkeiten entlastet werden, dass sie ärztliche Tätigkeiten auf andere übertragen können. Frau Kollegin Dörner, lesen Sie das Gesetz. In ihm steht nämlich, dass eine Liste delegationsfähiger Leistungen erstellt werden kann, damit sich der Arzt auf den Patientenkontakt konzentrieren kann und er von anderen Tätigkeiten entsprechend entlastet wird.

Wir setzen Anreize für neue Versorgungsformen, damit auch etwas ausprobiert und geschaut wird, wie die Versorgung in Deutschland besser gemacht werden kann. Wir tragen dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch im Gesundheitswesen gelebte Realität werden kann. Die Strukturen im Krankenhaus wie in der niedergelassenen Ärzteschaft gehen noch von einem alten Familienbild aus, nach dem der Mann in der Regel 60 bis 70 Stunden arbeitet und die Frau sich um die Kinder kümmert. Das ist nicht mehr das Gesellschaftsbild der kommenden Medizinerinnen und Mediziner. Auch hier schaffen wir im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes wesentliche Veränderungen, um diesem neuen Bild Rechnung tragen zu können.

Weiter leisten wir mit dem Versorgungsstrukturgesetz einen Beitrag zu einer Kultur des Vertrauens im Gesundheitswesen. Nein, wir wollen nicht immer mehr Bürokratie. Wir wollen nicht immer mehr Kontrollen und immer mehr Regelung, sondern wir wollen vernünftige, mit Augenmaß gewählte Verwaltungsvorschriften, damit die Ärztinnen und Ärzte, die Arzthelferinnen und Arzthelfer, die Pflegerinnen und Pfleger sich darauf verlassen können, dass Dokumentation Teil der täglichen Arbeit ist, aber nicht zu einem Selbstzweck verkommt, und damit sie nicht das Gefühl haben, dass damit qualitativ hineinregiert wird.

Deswegen will ich ganz konkret sagen, lieber Herr Lauterbach: Der Tod der Frühchen in Bremen erschreckt uns alle. Das habe ich auch öffentlich kritisiert. Ich gehöre nicht zu den Politikern, die, wie manch andere, sofort vor die Kameras treten und gleich wissen, woran es liegt. Es gibt keinen Mangel an gesetzlichen Regelungen. Vielmehr erwarten wir, dass man sich, wenn durch diese Koalition beim Infektionsschutzgesetz Regelungen getroffen werden, an diese Regelungen hält. Das wird jetzt entsprechend geschehen.

Was den Bereich der Pflege angeht: Rot-Grün hat in zwei Legislaturperioden bei der Pflege überhaupt nichts vorangebracht. Wir leisten jetzt mit unserer Pflegereform einen wesentlichen Beitrag, machen Schritte in die richtige Richtung. Erstmals wird Demenz bei der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt. Bisher orientiert sich der Pflegebedürftigkeitsbegriff allein an den Verrichtungen. Wir tragen jetzt dem besonderen Betreuungsaufwand bei dementen Menschen Rechnung, indem wir möglichst schnell den Menschen zusätzliche Leistungen zur Verfügung stellen.

Wir wollen aber nicht nur etwas im Bereich der Demenz tun, sondern wir wollen auch etwas für die Angehörigen machen. Dabei geht es um Reha und Pflege, um die Förderung neuer Wohnformen und um den Grundsatz "ambulant vor stationär". All diese Leistungen sollten so schnell wie möglich - am besten schon im nächsten Jahr - in Kraft treten. Das wird aber zu beraten sein. Ich erinnere Sie, was den Pflegebedürftigkeitsbegriff angeht, daran; denn Sie sagen, dass das alles viel schneller gehen könne. Lesen Sie das aktuelle Interview einer ehemaligen Gesundheitsministerin, die nicht im Verdacht steht, eine Freundin dieser christlich-liberalen Koalition zu sein. Ulla Schmidt hat gesagt: Wer den Pflegebedürftigkeitsbegriff ändern will, braucht dafür einen Zeitraum von drei bis vier Jahren. - Wir verzögern nicht, sondern wir gehen das jetzt an, damit diese Verbesserungen möglichst schnell für die Menschen wirksam werden.


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Quelle:
Bulletin Nr. 123-3 vom 22.11.2011
Rede des Bundesministers für Gesundheit, Daniel Bahr,
zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag
am 22. November 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2011