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POLITIK/1761: Rede von Minister Bahr zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz, 1.12.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Gesundheit, Daniel Bahr, zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz vor dem Deutschen Bundestag am 1. Dezember 2011 in Berlin:


Guten Morgen, Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist Welt Aids-Tag. Wir tragen aus Solidarität mit Menschen, die an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden, heute diese Aidsschleife. Dabei haben wir in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern seit Jahren durch unsere Arbeit die niedrigste Neuinfektionsrate der Welt. Gegenüber 2006, als wir 3.400 Aids-/HIV-Neuinfizierte hatten, ist es uns gelungen, diese Zahl 2011 nochmals zu senken: auf 2.700. Das ist ein großer Erfolg der gemeinsamen Präventionsarbeit im Kampf gegen HIV und Aids, die wir in Deutschland seit vielen Jahren leisten. Es zeigt uns auch, dass die Versorgung von HIV-Infizierten mittlerweile immer besser geworden ist, dass HIV-Infizierte mit dieser nicht heilbaren Krankheit dennoch so behandelt werden können, dass sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben.

Warum erzähle ich das ganz bewusst am Anfang meiner Rede? Weil auch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz Antworten auf die Sorgen und Nöte dieser Menschen bietet, nämlich eine gute medizinische Versorgung im Alltag zu erleben. Das Versorgungsstrukturgesetz schafft für Krankheiten mit besonders schwerem Verlauf wie HIV/Aids, wie Multiple Sklerose und wie andere seltene Erkrankungen extra eine spezialfachärztliche ambulante Versorgung. Damit erreichen wir, dass endlich die starren Sektoren zwischen dem Krankenhausbereich und den niedergelassenen Ärzten überwunden werden, dass die Behandlung der Patienten bestmöglich - in der Regel in Kooperation zwischen Krankenhaus und niedergelassenen Fachärzten - gelingt. Das ist eine deutliche Verbesserung für die Versorgung der Menschen, gerade derer, die aufgrund einer Krankheit mit besonders schwerem Verlauf oder einer seltenen Erkrankung darauf angewiesen sind, dass sie die bestmögliche Versorgung von Spezialisten bekommen.

Wir, die CDU/CSU-FDP-Koalition, haben die Prioritäten in der Gesundheitspolitik in Deutschland verändert. Während lange Jahre in Deutschland mehr Geld für Arzneimittel als für die ambulante Versorgung ausgegeben wurde, können wir nun feststellen, dass in Deutschland wieder mehr Geld für die ambulante Versorgung als für die Arzneimittel ausgegeben wird. Das ist ein Erfolg unserer Politik, unserer Gesetze; denn wir haben mit dem Arzneimittelgesetz Einsparungen vollzogen.

Die Menschen wissen, dass sie sich in Deutschland auf ein Gesundheitswesen verlassen können, das seinesgleichen sucht. Die Herausforderung ist, dieses Gesundheitssystem so zu erhalten, wie die Menschen es zu schätzen wissen. Wir gewährleisten, dass im Krankheitsfall jede Bürgerin und jeder Bürger unabhängig von Einkommen, Alter, Geschlecht, Herkunft oder Vorerkrankung die medizinische Behandlung und Betreuung erhält, die notwendig ist.

Dazu zählt eben auch, dass sich die Menschen auf das verlassen können, was andere Länder so nicht kennen: freie Arztwahl, freie Krankenhauswahl, freie Krankenversicherungswahl und Therapiefreiheit. Das sind Freiheiten, die Menschen in anderen Ländern, insbesondere mit staatlichen Gesundheitssystemen, von denen Sie uns immer so gerne erzählen und die Sie uns hier empfehlen wollen, nicht erleben. Dort erleben sie Mangelverwaltung, die längsten Wartezeiten und die schärfsten Unterschiede aufgrund einer Zweiklassenmedizin. Wir in Deutschland können stolz darauf sein, dass unser Gesundheitssystem so leistungsfähig ist. Zu dessen Erhaltung wollen wir mit diesem Gesetz beitragen.

Liebe Frau Ferner, liebe Frau Rawert, Sie krakeelen ja schon wieder herum. Herr Lanfermann hat allerdings recht: Das Dazwischenrufen macht es nicht besser. Es scheint ja wehzutun, was ich gesagt habe.

Ihr Entschließungsantrag zeigt die Ideologie, die Ihre Gesundheitspolitik prägt. Sie versuchen die Interessen derjenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, die Belange der Leistungserbringer, gegen die Interessen der Patienten zu stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie endlich damit auf, zu glauben, dass der Patient besonders gut bedient ist, wenn der Arzt demotiviert ist. Nein, wir brauchen Anreize, damit der Leistungserbringer motiviert ist, damit er Spaß an der Arbeit hat! Wie soll denn ein Patient besser versorgt werden, wenn der Arzt mit Bürokratie überlastet ist, wenn er das Gefühl hat, er bekomme keine leistungsgerechte Vergütung? Meinen Sie, dadurch werde eine bessere Versorgung für den Patienten gewährleistet? Das liegt doch im gemeinsamen Interesse; der Patient profitiert doch davon, wenn auch der Arzt ein Interesse daran hat, die bestmögliche Versorgung für den Patienten zu erbringen. Ich kann dieses Gegeneinanderstellen nicht mehr verstehen. Deswegen sorgen wir mit den richtigen Anreizen und eben nicht mit Zwang dafür, dass die wohnortnahe Versorgung für die Menschen gerade in der Fläche gewährleistet ist.

Wenn es etwas gebracht hat, dass die FDP im Bundesgesundheitsministerium ist und Sie in der Opposition sind, dann ist es offensichtlich eines: dass wir heute über einen drohenden Ärztemangel reden und endlich Schritte diskutieren, wie dieser drohende Ärztemangel angegangen wird. Sie haben noch vor zwei Jahren, als wir die Regierung übernommen haben, geleugnet, dass uns in Deutschland ein Ärztemangel droht. Sie haben gesagt: Wir haben genügend Ärzte; die müssen nur zwangsweise aufs Land verteilt werden. Mit Zwang werden Sie aber keine jungen Mediziner motivieren, in der Fläche tätig zu sein. Wir setzen die richtigen Anreize.

Jetzt reden Sie immer von Unterversorgung und Überversorgung. Selbstverständlich gibt es auch Überversorgung in Deutschland. Es gibt Über-, Unter- und Fehlversorgung in Deutschland. Wir gehen das mit einer flexiblen Bedarfsplanung an. Die Bedarfsplanung, die wir heute haben, entspricht doch gar nicht dem Bedarf. Sie ist auf den Stand Anfang der 90er Jahre aufgesetzt, als man einfach alle vorhandenen Ärzte gezählt hat. Diesen Bestand hat man dann festgeschrieben und ihn als Bedarfsplan bezeichnet.

Wir ändern das, weil wir endlich dafür sorgen, dass in den Regionen, in den Landkreisen genau geschaut wird, wo Bedarf besteht, wo ein zusätzlicher Psychologe, ein zusätzlicher Neurologe, ein zusätzlicher Dermatologe gebraucht wird. Das heißt, wir geben die Flexibilität, um genau zu schauen: Wo besteht Bedarf? Wo besteht vielleicht eine Überversorgung, die abgebaut werden muss? Auch das ist nämlich bei uns enthalten: Die Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten die Möglichkeit, dort, wo unbegründet eine Überversorgung besteht, wo die Versorgung nicht dem Bedarf entspricht, frei werdende Arztsitze aufzukaufen. Das - und nicht das, was Sie fordern - ist ein nachhaltiger Abbau der Überversorgung.

Das, was Sie fordern, ist doch nichts anderes als modernes Robin-Hood-Gehabe. Sie sagen, Überversorgung werde abgebaut, wenn man jene Ärztinnen und Ärzte bestraft, die sich vor zehn oder 20 Jahren entschieden haben, in einem Ballungsraum eine Arztpraxis mit viel Geld aufzubauen. Glauben Sie, dass irgendein Arzt aus Hamburg seine Praxis schließt und eine neue Praxis an der Schlei eröffnet, nur weil Sie ihm Honorarkürzungen von fünf Prozent oder zehn Prozent verordnen? Diese Regelung stand jahrelang im Gesetz, und Sie haben sie unter Ihrer Führung nicht angewandt. Das zeigt uns doch, dass dieses Instrument dem Abbau der Überversorgung nicht gerecht wird, sondern nur einen Verteilungskampf in die Ärzteschaft hineinträgt. Damit verbessern wir die Versorgung der Menschen in den Ballungsräumen und in der Fläche keineswegs.

Interessant ist, dass die Ländergesundheitsminister dort, wo Sie - Linke, Grüne, SPD - Verantwortung tragen, sagen, der Bund müsse etwas für den Abbau der Überversorgung tun. Landtagsfraktionen von Union und FDP haben einmal vor Ort nachgefragt. Plötzlich stellen wir fest, dass diese Ländergesundheitsminister, wie zum Beispiel die Gesundheitssenatorin in Hamburg, leugnen, dass es bei ihnen eine Überversorgung gibt.

Dann kritisieren Sie die langen Wartezeiten, und wir fragen: Wie sähe es denn aus, wenn in Hamburg Arztpraxen geschlossen würden, wenn Überversorgung abgebaut werden würde? Was würde das für die Wartezeiten bedeuten? Und schon wieder stellen wir Unlogisches fest. Schon wieder stellen wir fest, dass Sie offensichtlich nur bei Allgemeinplätzen verharren und die Probleme und Sorgen der Menschen nicht lösen. Wir machen das.

Viele junge Mediziner haben Sorge, dass sie, wenn sie sich in der Fläche niederlassen, doppelt bestraft werden; nämlich mit immer mehr Patienten. Deswegen sorgen wir dafür, dass die Mengenabstaffelung in der Fläche abgeschafft wird, dass es Zuschläge geben kann, damit die jungen Mediziner, die in die Fläche gehen, auch die Perspektive haben, dass sie dort eine leistungsgerechte Vergütung bekommen. Wir schaffen die Residenzpflicht ab. Wir lockern die Regelungen zu Zweitpraxen. Wir geben die Möglichkeit einer Eigeneinrichtung dort, wo sich kein Arzt findet, und wir bauen die Sorgen vor Regressforderungen ab, damit der Arzt, der viele Patienten zu betreuen hat, keine Angst haben muss, für zu viele Arzneimittelverschreibungen in Haftung genommen zu werden. Auch das ist ein wichtiger Bereich.

Außerdem sorgen wir dafür, dass der gesellschaftliche Wandel im Gesundheitswesen ankommt; denn wir wissen, dass die Medizin immer weiblicher wird und dass junge Männer wie Frauen heute eine andere Einstellung zum Beruf haben. Auch auf diesen gesellschaftlichen Wandel müssen wir Antworten finden. Die Vereinbarkeit von Familie und Gesundheitsberuf ist uns ein ganz wichtiges Anliegen in diesem Gesetzentwurf, weil der Arztberuf leider noch auf einem alten Gesellschaftsbild in den Strukturen von Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen aufbaut.

Insofern: Dies ist ein gutes Gesetz, und damit werden endlich die Probleme der Menschen vor Ort angepackt, die sich sorgen: Habe ich morgen noch eine wohnortnahe Versorgung? Kann ich mich darauf verlassen, dass es in der Fläche noch Ärzte gibt? Wir sorgen dafür, dass die Menschen den Landarzt nicht nur aus einer idyllischen Vorabendserie kennen, sondern ihn auch weiterhin real erleben. Wir sorgen dafür, dass sie sich auf das bestmögliche Gesundheitswesen in Deutschland verlassen können.


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Quelle:
Bulletin Nr. 130-1 vom 01.12.2011
Rede des Bundesministers für Gesundheit, Daniel Bahr,
zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz vor dem Deutschen Bundestag
am 1. Dezember 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2011