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STUDIE/050: Notfallambulanzen - Neue Daten über Notfallpatienten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2017

Notfallambulanzen
Neue Daten über Notfallpatienten

von Dirk Schnack


Studien, Forderungen und Positionspapiere: In die Diskussion über Notfallambulanzen kommt Bewegung. TK-Jahresempfang zum Thema.


Wie sieht die künftige Struktur der Notfallversorgung und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes aus? Dieses Thema beschäftigt die Gesundheitspolitik seit Jahren und hat zu Auseinandersetzungen auf Bundesebene zwischen den Organisationen von Kliniken und niedergelassenen Ärzten geführt. Nun scheint es Fortschritte zu geben. Ein Positionspapier von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Marburger Bund (MB) und Vorschläge des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) sorgten kürzlich für Bewegung.

Wie man den Andrang besser kanalisieren könnte, wird auch im Norden erprobt. Einiges davon wurde beim Jahresempfang der Techniker Krankenkasse (TK) Mitte September in Kiel diskutiert. Der Status quo wurde von Itzehoes Klinikmanager Bernhard Ziegler, von Jan Osnabrügge (Rettungsdienst Kooperation in Schleswig-Holstein) und Patientin Anja Mertin ähnlich beschrieben: Die Ambulanzen sind aus unterschiedlichen Gründen überlastet. An Lösungen arbeitet man in Schleswig-Holstein schon länger. Die Anlaufpraxen wurden eingeführt, erste Kliniken haben die Anmeldung für ihre Zentrale Notaufnahme und die Anlaufpraxis zusammengelegt. Petra Struve (Ärztliche Direktorin Imland Klinik Rendsburg-Eckernförde), Konrad Wensierski (Pflegeleitung Zentrale Notaufnahme) und Alexander Paquet, bei der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) zuständig für den Notdienst, waren sich einig, dass dieses Modell entlasten, aber kein alleiniges Mittel sein kann, um dem Patientenandrang zu begegnen. Belastbare Zahlen über das Ein-Tresen-Modell liegen noch nicht vor. Fest steht: Anlaufpraxen dürfen bislang gesetzlich nur außerhalb der Sprechzeiten geöffnet sein. Die Umlenkung aus den Notfallambulanzen kann also während der Praxis-Sprechzeiten nicht gelingen.

Auch überregional arbeitet man an Lösungen. Das Ärztenetz Ingolstadt, berichtete dessen Vorsitzender Prof. Siegfried Jedamzik in Kiel, will den Andrang über eine Triagierung per Telefon besser kanalisieren. In Baden-Württemberg, berichtete Markus Koffner von der dortigen TK-Landesvertretung, versucht man es mit dem Modell DocDirekt. Kranke können sich bei einem Patiententelefon melden und werden nach einer ersten telefonischen Abklärung an die richtige Adresse weitergeleitet. Problem: Neben den bekannten Rufnummern kommt eine weitere hinzu, die sich die Patienten merken müssten.

Landesgesundheitsminister Dr. Heiner Garg, KVSH-Chefin Dr. Monika Schliffke und TK-Landesleiter Dr. Johann Brunkhorst machten deutlich, dass die Erprobung solcher Modelle sinnvoll ist, aber weitere Anstrengungen auch des Gesetzgebers erforderlich sind, um zu einer praktikablen und bezahlbaren Lösung zu kommen.

Unter dem Namen "Arztruf Hamburg" soll es in der Hansestadt ab 2018 neben einem fahrenden Dienst und einer verbesserten Terminvermittlung auch Portalpraxen an ausgewählten Standorten und eine ärztliche Soforthilfe per Telefon geben. Zu den Portalpraxen machte die KV eine wichtige Einschränkung: Portalpraxen vor jedem der über 20 Krankenhäuser in der Hansestadt könne es schon aus personellen und finanziellen Gründen nicht geben. Realistisch seien sechs Portalpraxen; dann allerdings dürften die Notaufnahmen der anderen Krankenhäuser keine fußläufigen Patienten mehr annehmen. Das Ziel des Maßnahmenpakets der KV Hamburg: Patienten sollen dieses Angebot als attraktiver empfinden als den Weg in die Notaufnahme der Krankenhäuser.

Dass diesen Weg immer mehr Menschen gehen, ist unstrittig. Die angebliche "Patientenexplosion" in den Notaufnahmen aber hat nach KV-Zahlen nie stattgefunden. Laut Plassmann beträgt die Zunahme jährlich rund zwei Prozent, während sie in den KV Notfallpraxen bei acht Prozent liegt.

Für eine Versachlichung der Debatte sorgt die vom Institut für Allgemeinmedizin am Hamburger UKE vorgestellte Studie "PiNo" (Patientinnen und Patienten in Notaufnahmen"). Im Auftrag der KVen Hamburg und Schleswig-Holstein sowie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung wurden 1.299 Patienten in den Notaufnahmen von UKE, Marienkrankenhaus, Bethesda-Krankenhaus Bergedorf (alle Hamburg), Sana Klinikum Lübeck und Diako Flensburg befragt. Die Ergebnisse zeigen, wie bequem, schlecht informiert und in Gesundheitsfragen inkompetent viele Patienten heute sind - deren Entscheidung für die Notaufnahme also nur folgerichtig ist. Bevor sie diese ansteuern, haben sich nur 51,7 Prozent Auskünfte über ihre aktuellen Beschwerden geholt. Rund die Hälfte trifft also die Entscheidung für die Notaufnahme ohne jede weitere Information.

Weiteres Ergebnis: Bestehende Alternativen sind vielen Menschen unbekannt. Zwar kennen 96 Prozent der Befragten auch den für lebensbedrohliche Lagen zuständigen Rettungsdienst (112), aber nur 31 Prozent wussten etwas mit dem in Hamburg etablierten fahrenden ärztlichen Dienst (116117) anzufangen. Die Notfall- oder Anlaufpraxen in ihrer Nähe kannten auch nur 42 Prozent. Rund 30 Prozent der Patienten kommen mit Beschwerden in die Notaufnahme, die sie länger als drei Tage plagen, eine Zeitspanne, in der auf jeden Fall ein Termin in einer Arztpraxis möglich gewesen wäre. Auch nach Patienteneinschätzung ist Dringlichkeit nicht geboten.


112
Die Nummer des Rettungsdienstes in Deutschland kannten 96 Prozent der in den Notfallambulanzen befragten Patienten in fünf norddeutschen Krankenhäusern. Die Nummer 116117 kannten dagegen nur 31 Prozent. Die Notfallpraxen oder Anlaufpraxen waren 42 Prozent der Befragten bekannt.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Notfallambulanzen als Thema des TK-Jahresempfangs: Landesgesundheitsminister Dr. Heiner Garg, KVSH-Chefin Dr. Monika Schliffke und der Leiter der TK-Landesvertretung, Dr. Johann Brunkhorst, im Gespräch mit Moderator Dirk Schnack vom Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt.

- Engagierte Diskussion mit Prof. Siegfried Jedamzik vom Praxisnetz Ingolstatdt und Alexander Paquet, bei der KVSH verantwortlich für den Notdienst.

- Petra Struve, Ärztliche Direktorin der Imland Klinik Rendsburg, berichtete über das Ein-Thresem-Modell in ihrem Krankenhaus.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201710/h17104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Oktober 2017, Seite 14 - 15
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2017

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