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AUSLAND/1527: Familienplanung darf nicht von der G8-Agenda ausgenommen werden (DSW)


DSW [news] - März 2010
Deutsche Stiftung Weltbevölkerung

Familienplanung darf nicht von der G8-Agenda ausgenommen werden

NGOs kritisieren die Haltung Kanadas zur angekündigten Initiative für die Förderung der Gesundheit von Müttern und Kindern


Mitte März verkündete der kanadische Außenminister Lawrence Cannon, dass Kanada auf dem nächsten G8-Treffen zwar eine Initiative zur Förderung der Gesundheit von Müttern und Kindern in Entwicklungsländern starten werde, Familienplanung und Verhütung aber davon ausgenommen bleiben sollen. Kanada wird der Gastgeber des nächsten G8-Gipfels sein, der Ende Juni in Muskoka stattfinden wird. Als Begründung gab Cannon an, dass "der Zweck des Treffens sei, Leben zu retten". Bev Oda, der Minister für Internationale Zusammenarbeit, äußerte sich ähnlich: Die kanadische Initiative werde "nicht auf unsichere Abtreibungen in Entwicklungsländern Bezug nehmen oder Familienplanung und Verhütung unterstützen".

Mit dieser Einlassung versetzten Cannon und Oda nicht nur die kanadische Opposition in helle Aufregung, sondern auch Fachleute und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in aller Welt, die einer solchen Einengung der Maßnahmen zur Verbesserung der Müttergesundheit scharf widersprachen. Zudem verlassen die Kanadier damit auch den bereits von den G8 eingeschlagenen Weg: Noch im April 2009 hatten die G8-Regierungschefs in ihrer Abschlusserklärung von L'Aquila bekräftigt, dass sie "die Fortschritte (...) im Bereich der Müttergesundheit, unter anderem durch Programme und Dienstleistungen zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie durch freiwillige Familienplanung, beschleunigen [werden]".

Zwar ruderte Harper später ein Stück zurück: Seine Regierung schließe keine Option aus, auch nicht Verhütung und Familienplanung. Auch Cannon gestand ein, dass seine Äußerungen nicht der Regierungspolitik entsprechen. Doch weigerte sich der Premier darüber Auskunft zu geben, ob Familienplanung ein zentraler Bestandteil der kanadischen G8-Initiative wird. Und schließlich verlor die Opposition am 23. März eine Abstimmung im Parlament, in der sie die Regierung aufgefordert hatte, Familienplanung und Verhütung ausdrücklich in ihre Initiative zur Müttergesundheit einzuschließen.

Proteste im In- und Ausland

Innenpolitisch sieht sich die konservative kanadische Regierung jetzt erhöhtem Druck ausgesetzt. So hat etwa Maureen McTeer, die Ehefrau des kanadischen Ex-Premierministers Joe Clark, eine internationale Kampagne ins Leben gerufen um sicherzustellen, dass sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte ausdrücklich Eingang in die Vereinbarungen von Muskoka finden. McTeer wirft den Konservativen vor, den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Müttergesundheit und Zugang zu Familienplanung bewusst zu ignorieren. Auch die Parlamentarierin Carolyn Bennett wunderte sich öffentlich darüber, ob die konservative Regierungspartei jetzt in die Fußstapfen der US-Regierung unter George W. Bush treten wolle. Diese hatte die Zusammenarbeit mit Organisationen abgelehnt, die sie verdächtigte, Abtreibungen gutzuheißen. Die NGO Action Canada for Population and Development (ACPD) hat einen Aufruf verfasst, in dem weitere Unterstützung von Seiten der Zivilgesellschaft dringend erbeten wird.

Gill Greer, die Generaldirektorin der International Planned Parenthood Federation (IPPF) rief die G8 dazu auf, weiterhin ihre einhellige Unterstützung für Familienplanung zu zeigen: "Die Beweise sind nicht anfechtbar: Familienplanung rettet Leben. Sie ist von zentraler Bedeutung beim Erreichen einer besseren Gesundheit von Frauen und Kindern." Greer erinnerte zudem daran, dass die internationale Unterstützung für Familienplanung bereits dramatisch zurückgegangen ist - von 653 Millionen US-Dollar in 1997 auf 394 Millionen in 2006. Auch Stan Bernstein, politischer Berater beim Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), nannte es "fast kriminell", Familienplanung von Initiativen der Müttergesundheit auszunehmen.

DSW initiiert offenen Brief deutscher NGOs an kanadischen Premier

Mittlerweile haben sich NGOs aus der ganzen Welt kritisch zur Haltung der kanadischen Regierung in Sachen Familienplanung geäußert oder kritische Stellungnahmen gegenüber den G8 und ihren eigenen Regierungen verfasst. Zusammen mit acht weiteren deutschen Organisationen hat auch die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung einen offenen Brief an den kanadischen Premierminister Stephen Harper gesandt. Kopien dieses Schreibens gingen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Guido Westerwelle und Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel sowie Jens Weidemann, dem G8-Sherpa der Bundesregierung, zu. Darin wird Harper aufgefordert, keine Rückschritte bei der Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele zuzulassen. "Weltweit haben 215 Millionen Frauen keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln, obwohl sie die Größe ihrer Familien gerne planen oder die Abstände zwischen Geburten vergrößern würden", heißt es darin.

Frauen, die Zugang zu Verhütungsmitteln und Familienplanung haben, können die Abstände zwischen ihren Geburten strecken, was ihrer Gesundheit und der ihrer Kinder nützt. Da sie gesünder sind, können sie besser zum Familieneinkommen beitragen. Und da sie seltener ungewollt schwanger werden, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie einen - in vielen Ländern illegalen und daher oft unsicheren - Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen (müssen). Jährlich kommt es zu mindestens 550.000 vermeidbaren Todesfällen und Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, die zu den häufigsten Todesursachen von Mädchen und jungen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren zählen.

Konservative Kehrtwende in Kanada?

Das Verhalten der kanadischen Regierung könnte eine konservative Kehrtwende in der kanadischen Politik in Bezug auf sexuelle und reproduktive Rechte und Gesundheit einleiten. 2008 hatte Kanada noch 25 Millionen Dollar an UNFPA überwiesen, und die Kanadische Agentur für Internationale Entwicklung (CIDA) unterstützt IPPF seit drei Jahrzehnten. Doch die letzte Förderungsvereinbarung für IPPF ist im Dezember ausgelaufen, und der Föderation ist noch keine Informationen darüber zugegangen, ob die kanadische Finanzierung weiterläuft. Entwicklungsminister Oda hat sich geweigert, darüber Auskunft zu geben. Damit befinden sich die Konservativen allerdings im Widerspruch zur Mehrheit ihrer Wähler: Eine Umfrage hat Ende März ergeben, dass 74 Prozent der Kanadier glauben, dass die kanadische G8-Initiative zur Förderung von Mütter- und Kindergesundheit finanzielle Mittel zwecks Beschaffung von Verhütungsmitteln einschließen sollte.


Weitere Informationen:

"Call to Action: Maternal and Child Health at the G8 Summit"
http://www.acpd.ca/node/62

Offener Brief an den kanadischen Premierminister: "Family Planning and Contraception save Lives"
http://www.dsw-hannover.de/pdf/G8_Initiative_-_Letter_from_German_NGOs.pdf

Quellen: The Globe and Mail, 19. und 23. März 2010;
The Hill Times, 22. März 2010;
International Planned Parenthood Federation (IPPF), 19. März 2010;
Ottawa Citizen, 11. März 2010.


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Die DSW [news] werden im Rahmen der europäischen Öffentlichkeitskampagne "Reproductive Health For All" herausgegeben. Die Kampagne wird von der Europäischen Union finanziell gefördert. Für den Inhalt der DSW [news] ist allein die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung verantwortlich; der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt der Europäischen Union angesehen werden.

Internet: www.weltbevoelkerung.de/DSW_news/pdfs/DSW__news__M_rz_2010.pdf


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Quelle:
DSW [news] - März 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2010