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AUSLAND/1561: Ostafrika - Verbot von gefälschten Medikamenten können Versorgung mit Generika gefährden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2010

Ostafrika: Verbot von gefälschten Medikamenten gefährdet Versorgung mit Generika

Von Isolda Agazzi


Genf, 21. Juli (IPS) - Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchtet, dass das umstrittene internationale Handelsabkommen zur Bekämpfung der Produktpiraterie (ACTA) in einigen Ländern Afrikas die medizinische Versorgung mit preiswerten Nachahmerpräparaten gefährdet. Die Regierungen müssten sicherstellen, dass Generika nicht mit gefälschten Arzneien gleichgesetzt würden.

"Wenn nationale Gesetze den Begriff der Arzneimittelfälschung zu breit definieren, könnten Generika mit gefälschten Medikamenten in einen Topf geworfen werden", warnte Hans Hogerzeil, WHO-Direktor für medizinische Politik und Standards in einem Interview mit IPS.

"Eine solche Vermischung gibt es bereits in kenianischen und ugandischen Gesetzentwürfen", stellte er fest. "Sie wurden angefochten und werden jetzt überarbeitet." Die WHO sei jedoch auch über das Auftauchen gefälschter Medikamente und deren Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit besorgt, fügte er hinzu.

Der Herausgeber des WHO-Magazins 'Essential Medicines Monitor', Richard Laing, versicherte: "Wenn es darum geht, in diesen Gesetzen handels- von gesundheitspolitischen Anliegen zu trennen, informieren unsere nationalen Programmleiter diese Länder über die bestmögliche Wahl."

Debatten über den Schutz von geistigem Eigentum und Patentrechten überlässt die WHO anderen internationalen Einrichtungen wie der Organisation für geistiges Eigentum (WIPO) und der Welthandelsorganisation (WTO). Auf einem in Genf von WHO, WTO und WIPO gemeinsam organisierten Symposium mit Experten, Lobbyisten und Vertretern ziviler Organisationen über Probleme des Zugangs zu Medikamenten erklärte Hogerzeil: "Die WHO berät Mitgliedsstaaten bei der Formulierung entsprechender Gesetze. Dazu gehört auch eine Modelldefinition für gefälschte Arzneimittel. Wir wollen vermeiden, dass Gesetze gegen Produktpiraterie den Handel mit Generika, den legalen Nachahmerprodukten, aufs Spiel setzen."

Eben diese Erfahrungen mache man jetzt in Kenia, kritisierte Michelle Childs von der internationalen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. In Kenia erlaube ein Gesetz von 2001 den Import von Generika, von dem ihre Organisation vor allem bei HIV-Projekten vor Ort abhängig sei. "Jetzt bedroht ein anderes Gesetz gegen Produktpiraterie wegen seiner verschwommenen Definition von Fälschungen unsere Arbeit", erklärte die Aktivistin.

"Zudem muss es uns auch weiterhin möglich sein, Kenia als Drehscheibe für unsere Projekte in Afrika zu nutzen", betonte sie. "Wir haben weit mehr Probleme mit minderwertigen Medikamenten als mit gefälschten Arzneimitteln."


Nationale Regulierungsbehörden stärken

Dazu erläuterte Patrick Durisch, Experte für geistiges Eigentum bei der Schweizer Nichtregierungsorganisation Erklärung von Bern: "Selbst bei hochwertiger Qualität verletzen gefälschte Produkte das Patentrecht. Dagegen werden minderwertige Medikamente für die öffentliche Gesundheit zu einer ernsthaften Gefahr. Gegen sie helfen keine noch so strikten Maßnahmen zum Schutz von geistigem Eigentum, sondern nationale Regulierungsbehörden mit stärkeren Befugnissen."

Die 'Erklärung von Bern' engagiert sich für eine gerechtere Globalisierung, vor allem in Sachen Handel und Patentrecht, und hat auch bei der jüngsten ACTA-Verhandlungsrunde in Luzern für ihre Anliegen geworben.

Seit zwei Jahren haben die Industriestaaten ihren Kampf gegen Raubkopien und für strengere Gesetze zum Schutz von geistigem Eigentum verstärkt. Seit Mitte 2008 verhandeln die Europäische Union, die Schweiz, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan, Singapur, Südkorea, Mexiko und Marokko über ein internationales Handelsabkommen gegen Produktpiraterie.

In Ostafrika hat Kenia bereits ein Gesetz gegen Produktpiraterie verabschiedet. Die übrigen Mitgliedsländer der Ostafrikanischen Gemeinschaft - Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi sowie Sambia und Malawi - arbeiten an entsprechenden Gesetzentwürfen.

WHO-Vertreter Laing räumte ein, ACTA wecke besonders in jüngster Zeit erhebliche Bedenken, weil der Zoll in Europa Sendungen mit Generika beschlagnahmt habe.

Davon betroffen sind auch Ärzte ohne Grenzen mit ihrem in Europa etablierten Versorgungszentrum. 2008 und 2009 wurden in den Niederlanden mehrere Generika-Lieferungen aus Indien, die für Brasilien bestimmt waren, wochenlang festgehalten. Der Zoll betrachtete sie als Produktfälschungen. Im Bestimmungsland sind diese Medikamente legal, nicht aber in Europa.

"Es geht nicht an, dass Zollbeamte darüber entscheiden, welche Produkte legal oder gefälscht sind. Sie verstehen nichts davon", stellte Yehudah Livneh von der 'International Generic Pharmaceutical Alliance' (IGPA) fest. Er ist Vorsitzender eines IGPA-Komitees für Angelegenheiten des geistigen Eigentums. Seine Organisation vertritt große, in Europa, Kanada, Indien, Japan und den USA ansässige Industrieverbände für generische Pharmaka.


"Generika-Produzenten sind qualitätsbewusst"

Die Hersteller von Generika seien sich einig, die Qualität ihrer Produkte beizubehalten, erklärte der Lobbyist. Er verwies auf die Komplexität des Patentschutzes. "In den meisten Medikamenten stecken zehn, 20 oder mehr Patente. Einige werden gerichtlich bestätigt, andere nicht. Sie können sich zudem von Land zu Land unterscheiden. In Ghana beispielsweise lassen sich Patente nur schwer finden. WIPO hat jetzt eine Datenbank ins Internet gestellt, doch das genügt nicht", erklärte Livneh.

Der Aktivist Durisch forderte in einem Interview mit IPS einen radikalen Wandel im Patentschutz. Jeder kenne das Problem mit den Patenten, doch bislang werde nichts dagegen unternommen, kritisierte er. "Auch wenn sich Patente mit Generika umgehen lassen, wurde das System des Patentschutzes bisher nie grundsätzlich in Frage gestellt."

"Regierungen, die heute über einen verbesserten Zugang zu Medikamenten diskutieren, arbeiten gleichzeitig an Gesetzen gegen Produktpiraterie. Einschlägige ostafrikanische Gesetzentwürfe sind sogar noch strenger als die ACTA-Vorschläge", kritisierte Durisch. (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2010