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AUSLAND/1586: Millionen Frauen mit Geburtsfisteln - Aktivisten sehen Regierungen in der Pflicht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. September 2010

Afrika: Millionen Frauen mit Geburtsfisteln - Aktivisten sehen Regierungen in der Pflicht

Von Susan Anyangu-Amu


Nairobi, 13. September (IPS) - Afrikas Regierungen sollten das lebenslange Leid von mehr als einer Million Frauen mit Geburtsfisteln nicht länger als deren unausweichliches Schicksal hinnehmen. Diese Forderung richten medizinische Experten an afrikanische Gesundheitsminister, die sich im Oktober zu einer Konferenz in Simbabwe treffen.

Sie sehen die Hauptursachen für die vorwiegend in ländlichen Gebieten auftretende Krankheit in gesundheitspolitischen Versäumnissen, in Kinderehen und anderen Traditionen sowie in regionalen Konflikten mit Massenvergewaltigungen.

Wenn es bei einer Geburt vor allem bei sehr jungen Müttern zu Komplikationen kommt, ohne dass medizinische Hilfe erreichbar ist, und die Entbindung sich über Tage hinzieht, verletzt der Druck des Ungeborenen das empfindliche Gewebe des Geburtskanals und lässt es absterben. Ohne eine Operation der dabei zwischen Vagina, Blase oder Darm entstehenden Fistel bleiben die Frauen lebenslang inkontinent. In westlichen Ländern kommt es dank guter medizinischer Versorgung kaum noch zu Geburtsfisteln, die dann unverzüglich operiert werden.


Stigmatisiert und verstoßen

"Die Gemeinden stigmatisieren diese Frauen ", stellt der Gynäkologe Odongo Odiyo fest. "Die Betroffenen sind unfähig zu arbeiten und von ihren Familien abhängig, die sie häufig ihrem Schicksal überlassen und verstoßen."

Mehrere Faktoren fehlender weiblicher Gleichberechtigung begünstigen das massenhafte Gesundheitsproblem der Fisteln. Das Risiko ist besonders hoch, wenn zu früh verheiratete, körperlich unreife Mädchen entbinden. Die fehlende Familienplanung ist ein weiterer Risikofaktor.

"Wenn man Mädchen früh verheiratet, ihnen ihr Grundrecht auf Bildung und auf eine gute Ernährung verwehrt, sind sie weder körperlich noch mental auf die Mutterschaft vorbereitet. Man bürdet diesen Kindern die ganze Last einer Fistelerkrankung auf", kritisiert Odiyo.

Wo der soziale Status von Frauen niedrig ist, fehlt die Bereitschaft, Geld für ihre medizinische Versorgung auszugeben. Der Transport gefährdeter werdender Mütter zur nächsten medizinischen Einrichtung wird möglichst lange aufgeschoben. In Afrika bringen viele Frauen ihre Kinder zu Hause zur Welt. Ohne sachkundige medizinische Hilfe können Risikogeburten nicht rechtzeitig erkannt und angemessen behandelt werden.


Der Weg zur Klinik ist zu weit

Nach Schätzungen der 'East, Central and Southern African Health Community' (ECSA-HC), einer Organisation, die sich in diesen Regionen für die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen einsetzt, leiden allein in Äthiopien mindestens 100.000 vor allem auf dem Land lebende Frauen an Geburtsfisteln. Der Gynäkologe Odiyo leitet im Auftrag der ECSA-HC Programme für Familien und für Informationen über Geburtenregelung. Er berichtet, dass in Uganda Frauen vor der Niederkunft kaum medizinische Hilfe erhalten, weil es im Umkreis von 20 Kilometern keine Gesundheitsstation gibt und die Straßen zudem meist schlecht sind.

In der Demokratischen Republik Kongo mit ihren regional andauernden Konflikten und in Kenia, wo es 2007/2008 nach den Wahlen zu schweren Übergriffen kam, wurde die massiv als Kriegswaffe eingesetzte sexuelle Gewalt für betroffene Frauen zu einem zusätzlichen Risiko für eine Geburtsfistel.

Der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) schätzt, dass in Entwicklungsländern zwei Millionen Frauen mit unbehandelten Fisteln leben, die meisten in armen Regionen des Sub-Sahara-Afrikas und Asiens. Jährlich kommen bis zu 100.000 Betroffene hinzu. Scham und Ausgrenzung der Frauen verhindern das Sammeln verlässlicher Daten.


Information und Prävention

Die ECSA-HC will das Problem der Fisteln auf die gesundheitspolitische Agenda der Regierungen setzen und hat für die verantwortlichen Politiker eine Dokumentation zusammengestellt. Es geht der Organisation darum, die sozialen und politischen Ursachen des Problems der Geburtsfisteln sowie Präventivmaßnahmen aufzuzeigen. "Das Papier soll ihnen als Grundlage für eine regional koordinierte Prävention dienen", erklärt James Watiti. Er leitet die Forschungs- und Informationsarbeit der ECSA-HC.

In dem Dokument werden die Regierungen aufgefordert, Krankenhäuser angemessen mit Personal, Medikamenten und medizinischen Geräten auszustatten sowie mit mehr und besseren Straßen dafür zu sorgen, dass die Menschen leichter zu den Hospitälern kommen können. Zudem sollten Sonderfonds für Familienplanung und Kindergesundheit eingerichtet werden. Dabei soll bedacht werden, dass arme Frauen und Kinder am meisten unter Krankheiten zu leiden haben.

Dass sich gesundheitspolitisches Engagement lohnt, betont die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Iteerswaree Thacoor aus Mauritius. Sie arbeitet im Gesundheitsministerium der südostafrikanischen Inselrepublik. "In Sachen Müttergesundheit leisten wir gute Arbeit. Bei uns entbinden die meisten Frauen im Krankenhaus, denn die Regierung hat für kurze Wege zu den Gesundheitseinrichtungen gesorgt", stellt sie fest.

"In staatlichen Einrichtungen werden Mütter und ihre Neugeborenen kostenlos behandelt", so Thacoor. "Von Unternehmen erwarten wir, dass sie mindestens zwei Prozent ihres Gewinns in soziale Einrichtungen, vor allem im Gesundheitssektor, investieren."

Die Gesundheitsexpertin aus Mauritius fordert die Regierungen auf, dem Beispiel seines Landes zu folgen. So gelte es dafür zu sorgen, dass Frauen nicht länger zu Hause entbinden müssen und dass Mädchen zur Schule gehen können und ordentlich ernährt werden. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.who.org
http://www.endfistula.org/highlights.htm
www.equinetafrica.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=52773

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2010