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ARTIKEL/1135: Fast alle Krankenhäuser in Schleswig-Holstein spüren den Ärztemangel (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2010

Marburger Bund
Fast alle Krankenhäuser im Land spüren den Ärztemangel

Von Dirk Schnack


Der Landesverband Schleswg-Holstein des Marburger Bundes suchte auf seiner Hauptversammlung in Bad Segeberg nach Lösungen für das Problem des Ärztemangels.

Das Thema Ärztemangel ist längst in den Kommunen angekommen. Das gilt nicht nur für kleine Gemeinden, die schon seit Jahren merken, dass das Interesse an frei werdenden Landarztpraxen zunehmend geringer wird. Inzwischen beschäftigen sich auch Entscheidungsträger in Kreisstädten mit dem Thema, wie der Besuch von Bad Segebergs Bürgermeister Dieter Schönfeld auf der Hauptversammlung des Landesverbandes Schleswig-Holstein im Marburger Bund (MB) zeigte.

Der Politiker erfuhr in der Diskussion in der Fortbildungswerkstatt der Ärztekammer Schleswig-Holstein am 17. März aus erster Hand, wie ernst die Ärzte die Probleme nehmen und wie intensiv sie nach Lösungen suchen. Die MB-Landesvorsitzende Dr. Hannelore Machnik machte in ihrer Einleitung deutlich, dass der dringend gesuchte Nachwuchs heftige Kopfschmerzen bereitet: "Wir sind ein Stück weit ratlos und erhoffen uns Antworten von der Politik", sagte Machnik. Denn eine Umfrage des Landesverbandes unter den Krankenhäusern im Land hat besorgniserregende Ergebnisse zum Thema Nachwuchsmangel erbracht. Im Vergleich zu 2008, als der MB ebenfalls Kliniken zu diesem Thema befragt hatte, ist die Verknappung des Personals spürbarer geworden.

Von den 28 an der Umfrage teilnehmenden Kliniken hatte kaum ein Haus keine Probleme bei der Besetzung von Weiterbildungsstellen. Und die wenigen Häuser, die keine Schwierigkeiten bei der Besetzung ärztlicher Stellen haben, spüren einen Rückgang der Initiativbewerbungen.

Die Ergebnisse im Detail:

An der Uniklinik gehen die Bewerbungen für Assistenzarztstellen in fast allen Fächern zurück. Die Besetzung von Fach- und Oberarztstellen ist besonders in den Bereichen Chirurgie, Herzchirurgie und Kardiologie, HNO und Rechtsmedizin schwierig.

In den kommunalen Krankenhäusern fehlen insbesondere Fachärzte in der Psychiatrie, Anästhesie, Neurologie, Unfallchirurgie, Frauenheilkunde und Radiologie. "Fachärzte oder gar Oberärzte sind teilweise kaum anzuwerben. Die Auswahlmöglichkeiten sinken mit zunehmenden Anforderungen an die Qualifikation", sagte Machnik.

18 der 28 Kliniken beschäftigen Honorarärzte. Ein Schwerpunktkrankenhaus musste im vergangenen Jahr eine halbe Million Euro für die Bezahlung von Honorarärzten aufwenden, um die mangelhafte Stellenbesetzung auszugleichen.

Machnik verwies in diesem Zusammenhang auf die schwierigen Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände: "Einerseits wird für die Festangestellten für die Bereitschaftsdienste weniger bezahlt als für einen normalen Tagdienst und zusätzlich mit Minusstunden bestraft, andererseits werden für Honorarkräfte Höchstbeträge gezahlt."

Machnik gab zu bedenken, dass sich dieses Ungleichgewicht auch auf die Arbeitszufriedenheit und das Klima zwischen den Beschäftigten auswirken kann.

Wo aber sehen die Kliniken Chancen, für den Arbeitsplatz Krankenhaus zu werben? Die Antwort auf dieser Frage lässt interessante Rückschlüsse zu. Denn alle Krankenhäuser gaben an, dass sie eine höhere Attraktivität des Arbeitsplatzes für Assistenzärzte sehen, wenn die Weiterbildung gut strukturiert angeboten wird. Für Fach- und Oberärzte halten sie ein anspruchsvolles Leistungsspektrum des Hauses mit guter apparativer Ausstattung für wichtig. Auch der Ruf eines Hauses und seine Außenwirkung gewinnt nach Überzeugung der Klinikchefs zunehmend an Bedeutung bei der Frage, für welches Krankenhaus sich ein Mediziner als künftigen Arbeitsplatz entscheiden wird.

Ebenfalls wichtig sind nach ihren Angaben ein gutes, kollegiales Arbeitsklima, flache Hierarchien, Teilzeitstellen, flexible und damit familienfreundliche Arbeitszeiten, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, verlässliche Dienstpläne auf gesetzlicher und tariflicher Grundlage und besonders eine ausreichende Stellenbesetzung. Damit zeigen die Klinikchefs, dass sie viele der von Ärzten genannten Punkte umzusetzen bereit sind. Allerdings: Erst an letzter Stelle wird von den teilnehmenden Kliniken eine gute Bezahlung genannt.

Mittlerweile hält die Diskussion um den Ärztemangel schon seit Jahren an. Manche jungen Ärzte haben noch nicht erlebt, dass es auch zu wenig offene Stellen für sie geben kann. Dr. Henrik Herrmann, Chefarzt im Westküstenklinikum und Mitglied des MB-Landesvorstandes, kann sich noch gut an Zeiten erinnern, in denen Kliniken vierstellige (DM-)Beträge aufwenden mussten, um das Rückporto für zurückgeschickte Initiativbewerbungen zu bezahlen. Im Jahr 1998 gab es nach seinen Angaben am Westküstenklinikum auf eine ausgeschriebene Stelle rund 200 Bewerbungen. Fünf Jahre später kippte das System, die Ärzte wurden knapp und der Stellenanzeigen-Teil im Deutschen Ärzteblatt wurde zunehmend dicker.

Hermann präsentierte Zahlen, die diese Entwicklung unterstreichen und zeigen, dass eine Trendwende nicht in Sicht ist. So gab es im Jahr 2003 noch 13.005 Medizinstudenten. Im Jahr 2008 waren es nur noch 10.684 - ein Rückgang um 18 Prozent. Die meisten Absolventen in der Humanmedizin gab es im Jahr 1994 mit rund 12.000, bis zum Jahr 2006 fiel diese Zahl auf 8.700. Die Zahl der Erstmeldungen in den Ärztekammern betrug 2004 9.305, 2008 nur noch 8.972. Interessant ist dabei, dass die Zahl der Inländer von 7.473 nur auf 7.389 zurückging, die der ausländischen Ärzte aber von 1.832 auf 1.583.

Zugleich wanderten allein 2008 2.060 deutsche und 1.005 ausländische Ärzte von einem deutschen Arbeitsplatz ins Ausland ab - dies entsprach einem Zuwachs von 29 Prozent gegenüber 2007. Dieser Aderlass wirkt sich nicht nur auf die Kliniken aus. Im ambulanten Bereich wird die Zahl der neu zu besetzenden Arztsitze in den kommenden Jahren kontinuierlich anwachsen, gab Herrmann zu bedenken. Damit Deutschland den Ärztemangel, um nicht von "Ärzteflucht" zu sprechen, überwinden kann, stellte Hermann zwölf Thesen zur Diskussion. Sie betreffen das Studium (Erhalt der Studienplätze, Zugang zum Studium und Organisation), die Rahmenbedingungen (Tarifrecht), die Qualität der Weiterbildung, die Delegation ärztlicher Tätigkeiten, die Stärkung der ärztlichen Profession, das Personalmanagement, den Lebensarbeitsplatz Patientenversorgung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Vereinbarkeit von Beruf und Leben und vernetzte Strukturen. An welchen Stellen tatsächlich angesetzt werden kann, überließ Herrmann der Versammlung. "Bislang hatten wir einen Wettbewerb um Patienten, jetzt zunehmend um das geeignete Fachpersonal. Wer auf dieses Problem die besten Antworten hat, wird bestehen", sagte Herrmann an die Adresse der Klinikträger.

Die intensive Diskussion machte deutlich, dass jeder einzelne Punkt in Herrmanns Liste ins Schwarze getroffen hatte. Zum Beispiel die Stärkung der ärztlichen Profession, zu der Dr. Heike Lehmann anmerkte: "Die Wertschätzung der ärztlichen Tätigkeit muss wieder steigen." Besonders gegenüber Berufsanfängern ist sie nach ihrer Beobachtung verloren gegangen. Dr. Karl-Werner Ratschko appellierte in diesem Zusammenhang an die Ärzte, sich verstärkt um Leitungspositionen auch außerhalb der direkten Patientenversorgung zu bewerben und diese Felder nicht Ökonomen und Juristen zu überlassen. Der frühere Hauptgeschäftsführer der Ärztekammer Schleswig-Holstein sieht mit mehr Ärzten in solchen Leitungspositionen eine Chance, um "dafür zu sorgen, dass der ärztliche Beruf in seinem Charakter erhalten bleibt".

Oder der Bereich vernetzte Strukturen. Der niedergelassene Anästhesist Dr. Andreas Rinck, stellvertretender Vorsitzender der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein, sieht trotz einiger Fortschritte noch zu viele Ressentiments unter seinen Kollegen gegen eine engere Vernetzung: "Wir müssen damit aufhören, gegeneinander zu arbeiten."

Viel Diskussionsstoff lieferte auch das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wegen der zunehmenden Zahl von Ärztinnen haben einzelne Träger die Bedingungen zwar schon verbessert, aber nach Beobachtung vieler Ärzte noch nicht in ausreichendem Maße. Dr. Hauke Nielsen stellte fest: "Viele ältere Chefs verstehen nicht, dass sich die Welt gewandelt hat." Zugleich wurde deutlich, dass die MB-Ärzte die aktuelle Entwicklung nicht als pure Bedrohung auffassen, sondern auch die darin liegenden Chancen sehen. Dr. Dolores de Mattia sieht die Situation denn auch nicht als beklagenswert. Gerade der persönliche Rückblick Herrmanns habe gezeigt, dass sich in den vergangenen Jahren auch viel verbessert habe. "Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir katastrophale Einstiegsbedingungen für junge Ärzte hatten", gab de Mattia zu bedenken. Michael Wessendorf appellierte an seine Kollegen, Medizinstudenten in ihrem Wunsch zu bestärken, in der Patientenversorgung zu arbeiten und ihnen mehr Unterstützung zu geben. "Da könnten wir aktiver sein", sagte Wessendorf selbstkritisch. Zugleich muss nach seiner Ansicht noch intensiv für mehr Teamarbeit und flache Hierarchien in den Krankenhäusern geworben werden. Im Vergleich zu anderen Branchen sieht Wessendorf Kliniken in diesen Punkten "nicht auf der Höhe der Zeit".

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201004/h10044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildung der Originalpublikation:

Auf der Suche nach Lösungen für den ärztlichen Nachwuchs: Dr. Hannelore Machnik, Dr. Henrik Herrmann (linke Seite), Dr. Dolores de Mattia und Dr. Heike Lehmann (unten).

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2010
63. Jahrgang, Seite 26 - 28
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2010

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