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AIDS/906: Interview mit dem Exekutivdirektor der UN-Anti-Aids-Organisation, Michel Sidibé (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Mai 2013

Gesundheit: Ohne wirksame Maßnahmen gegen die Homophobie gibt es keine Aids-freie Welt - UNAIDS-Exekutivdirektor Michel Sidibé im Interview

von Mathieu Vaas


Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung von UNAIDS

Michel Sidibé
Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung von UNAIDS

New York, 24. Mai (IPS) - Im weltweiten Kampf gegen HIV/Aids konnten in der letzten Zeit einige Durchbrüche erzielt werden. Nicht nur dass die Infektionsrate in 35 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen halbiert werden konnte und 63 Prozent der Aidskranken die lebensverlängernden Medikamente erhalten, auch die Wissenschaft konnte in den letzten Monaten mit einigen bemerkenswerten Erkenntnissen aufwarten.

Weniger erfolgreich jedoch verläuft der Kampf gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung der Betroffenen, insbesondere wenn es sich um Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) handelt. "Ohne wirksame Maßnahmen gegen die Homophobie lässt sich HIV/Aids nicht besiegen", warnte der Exekutivdirektor der UN-Anti-Aids-Organisation, Michel Sidibé. Es folgen Auszüge aus einem Interview, das IPS mit dem UNAIDS-Chef in New York kürzlich geführt hat.

IPS: Inwieweit gefährdet eine Kriminalisierung von Homosexualität Erfolge bei der Umsetzung der UNAIDS-Strategien?

Michel Sidibé: UNAIDS versucht, die Rate der Neuinfektionen, die Diskriminierung und die Aids-bedingten Todesfälle auf null zu drücken. Diese Ziele lassen sich nur durch universell zugängliche HIV/Aids-Präventionsmaßnahmen, -Behandlungsmethoden und Hilfen erreichen.

Homosexuelle und Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex praktizieren sowie Transsexuelle gehören zu den Hauptrisikogruppen einer HIV-Infektion. Werden sie kriminalisiert, ist es praktisch unmöglich, sie mit Informationen über HIV/Aids, mit Therapien und anderen Leistungen zu versorgen, die sie dringend benötigen, um einer HIV-Infektion vorzubeugen beziehungsweise am Leben zu bleiben. Ebenso wenig können sie ihre Community mobilisieren und andere von riskanten Verhaltensweisen abhalten.

Darüber hinaus ist die Diskriminierung von Homosexualität sowohl Ursache als auch Folge der Diskriminierung. Viele homosexuelle Männer, die HIV-positiv sind, leiden unter einer doppelten Diskriminierung, weil sie schwul sind und HIV-infiziert. Wir werden das Null-Diskriminierungsziel nie erreichen, solange Homosexualität kriminalisiert wird.

IPS: Noch ist Homosexualität in 76 Ländern strafbar. Wie wollen Sie die LGBT in diesen Staaten erreichen?

Sidibé: Das ist sehr schwierig. Gleichwohl ist HIV ein wichtiger, wenn nicht gar der einzige Ansatzpunkt, um in diesen Ländern etwas für die Gesundheit und Menschenrechte von LGBT zu tun.

Während zur Einhaltung der Gesetze Strafen vorgesehen sind, ist bei den Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitssystems ein gewisses Verständnis für die Notwendigkeit vorhanden, die HIV/Aids-Risikogruppen zu erreichen. Die Gesundheitsbehörden wissen um die Größe der Risikogruppen. Sie haben epidemiologische Studien durchgeführt und berücksichtigen sexuelle Minderheiten in ihren nationalen Aidsbekämpfungsstrategien, indem sie eigens auf die LGBT zugeschnittene Programme auflegen. Darin unterstützen wir sie. Wir bringen die Sprecher der LGBT-Community und Regierungsvertreter an einen Tisch, damit sie gemeinsam Strategien gegen die Gefahr der HIV/Aids-Ausbreitung entwickeln.

Darüber hinaus drängen wir unsere Mitarbeiter zur Zusammenarbeit mit den Justizbehörden und der Polizei. Dadurch wollen wir erreichen, dass die Anti-Aidsmaßnahmen auch in Ländern durchgeführt werden, in denen Homosexualität kriminalisiert wird. Wir müssen unsere Programme ausweiten und gerade der jüngeren LGBT-Generation, die dringend auf Unterstützung angewiesen ist, beim Schutz ihrer Rechte helfen.

IPS: Führt UNAIDS spezifische, auf LGBT ausgerichtete Kampagnen durch?

Sidibé: Nein, das ist nicht der Fall. Wohl setzen wir uns mit den Rechten und Bedürfnissen der LGBT im Zusammenhang mit HIV/Aids möglichst differenziert auseinander. Was die Finanzierung von Anti-Aids-Maßnahmen angeht, drängen wir Regierungen dazu, die finanziellen Ressourcen möglichst klug einzusetzen und zwar besonders dann, wenn diese für die HIV/Aids-Risikogruppen bestimmt sind.

Wir setzen uns dafür ein, dass die HIV-Prävention und -Behandlung allen Bedürftigen zugute kommt. Wir wissen natürlich, dass viele LGBT keinen Zugang zu solchen Leistungen haben. Wir hoffen aber, die Lücken über die Förderung patientengerechter Gesundheitsdienste und verbesserte Outreach-Programme schließen zu können.

Mit Blick auf die Menschenrechte ist zu sagen: Sie gelten für die LGBT genauso wie für alle Bürger. So wie der UN-Generalsekretär und die UN-Menschenrechtshochkommissarin setzen auch wir uns für die Entkriminalisierung der Homosexualität und die Rechte der LGBT auf Nicht-Diskriminierung, den Schutz vor Gewalt, auf Gesundheit, Partizipation und Inklusion ein. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:
http://www.unaids.org/en/
http://www.ipsnews.net/2013/05/qa-aids-free-future-means-fighting-homophobia/

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IPS-Tagesdienst vom 24. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2013