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ARTIKEL/111: Multiple Sklerose - Selbsthilfeorganisation trägt zur Aufklärung über MS bei (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2012

Multiple Sklerose
Selbsthilfeorganisation trägt zur Aufklärung über MS bei

Von Jörg Feldner


Der Landesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) feiert in diesem Monat sein 30-jähriges Jubiläum.


Vor gut dreißig Jahren wurde es unübersehbar: Die medizinische, soziale und rechtliche Betreuung von Patienten mit Multipler Sklerose brauchte einen festen Rahmen. Gut 600 Betroffene gründeten 1982 zusammen mit einigen Angehörigen und engagierten Ärzten den Landesverband Schleswig-Holstein der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG). Heute zählt die Organisation fast 2.200 Mitglieder, denen die fünf hauptamtlichen Mitarbeiter (zwei Teilzeitstellen) der Geschäftsstelle in Kiel mit Rat und Tat und immer wieder mit großen Aktionen in der Öffentlichkeit zur Seite stehen. Ungewöhnlich viele Erkrankte - verglichen mit anderen Selbsthilfeorganisationen - haben sich zur Mitgliedschaft entschlossen, nämlich etwa jeder zweite Betroffene.

Die Zahl der MS-Kranken in Schleswig-Holstein wird auf 4.000 bis 5.000 geschätzt. Der Landesverband finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, obligatorischen Zuwendungen der Krankenkassen und aus Stiftungen, staatlichen Zuschüssen - die seit Jahren zurückgefahren werden - und vor allem aus Spenden. Drittmittel im engeren Sinne, also etwa Geld von Pharmaunternehmen, tragen nur mit wenigen Prozent zum Etat bei; für die immer betonte und in der Praxis auch ganz wichtige Neutralität der MS-Gesellschaft bei Therapie- oder Hilfsmittelempfehlungen ist diese Unabhängigkeit von einzelnen Geldgebern kennzeichnend.

Von Beginn an haben immer Ärzte im Landesverband der MS-Gesellschaft mitgearbeitet. Dr. Helmut Kropp (Neurologe/Psychiater im Institut für die Behandlung der Multiplen Sklerose in Damp) ist seit langen Jahren 1. Vorsitzender des Landesverbands der DMSG Schleswig-Holstein. Gemeinsam mit Matthias Freidel (Neurologe/Psychiater in Kaltenkirchen mit einer MS-Schwerpunktpraxis), Prof. Dr. Hans-Christian Hansen (Chefarzt der Neurologisch-Psychiatrischen Klinik im FEK Neumünster) und Dr. Klaus Gehring (Neurologe/Psychiater in Itzehoe) bildet er den Ärztlichen Beirat des Landesverbandes. Diese gewollte Einbindung fundierten medizinischen Sachverstandes in die Verbandsarbeit sichert ein hohes Maß an Professionalität und sorgt für einen guten Kontakt zur Ärzteschaft insgesamt; beide Ansätze sind für Selbsthilfeverbände nicht generell selbstverständlich.

Immer noch ist die Diagnose MS ein Schicksalsschlag; allerdings einer, der in den Ohren nichtbetroffener Laien manchmal noch schrecklicher klingt als bei den Patienten selbst. Dr. Helmut Kropp und Matthias Freidel drücken es anlässlich des Jubiläums so aus: "MS hat sich vom Stigma 'unheilbare Krankheit' heute zu einer behandelbaren Erkrankung entwickelt. Die Diagnose kann schon in frühen Stadien abgeklärt werden; immunmodulatorische Medikamente haben dazu beigetragen, den Verlauf bei der überwiegenden Zahl der Betroffenen stabil und überschaubar zu halten. Die Zulassung neuer Substanzen zur medikamentösen Therapie zeigt, wie intensiv sich die Forschung um weitere Fortschritte bemüht." Dennoch: MS ist weiterhin eine Erkrankung, die gravierend eingreift in die persönliche Lebensgestaltung der Betroffenen, ihre berufliche Situation und ihr familiäres Umfeld vor große Belastungen stellt. Hier steht die DMSG den Betroffenen und Angehörigen zur Seite. Sie bietet persönliche Beratung zu allen Fragen rund um die MS, Informationsveranstaltungen, Seminare, Hilfe bei sozialrechtlichen Problemen und Vieles mehr.

Erschwerend hinzu kommt das immer noch verbreitete Halb- und Unwissen in der Bevölkerung. MS wird mit "Muskelschwund" verwechselt, wird hin und wieder sogar für ansteckend gehalten. Die Betroffenen haben viel damit zu kämpfen, dass Behinderungen wie Schwindel, Seh- oder Sprachstörungen, eingeschränktes Gehvermögen und Taubheitsgefühl für andere Menschen nicht immer leicht erkennbar sind. Landesverbandsgeschäftsführer Andreas Heitmann nennt eine weitere, absolut unsichtbare Einschränkung: "Das Fatigue-Syndrom, die schnelle tief greifende Ermüdbarkeit vieler Betroffener: Die wird von ahnungslosen Arbeitskollegen dann schon mal mit dem Hinweis 'Reiß dich zusammen' kommentiert."

Diese schwer erkennbaren Einschränkungen macht der Verband in Schleswig-Holstein zum Thema seiner Vorbereitung auf den Welt-MS-Tag am 30. Mai. Dann startet in Kiels größtem Einkaufszentrum cittiPark eine besondere Fotoausstellung, erarbeitet von Schülern der Berufsfachschule für Fotodesign in Kiel. Die haben unter den Mitgliedern der MS-Gesellschaft eine Reihe von Betroffenen gefunden, die sich professionell fotografieren ließen, in alltäglichen Situationen: mit dem Freund im Park, mit Kind auf dem Arm, im Rollstuhl im Café, auf dem Mountainbike im Wald, balancierend auf einem Geländer, am Tropf im Krankenhausbett usw. Alle Bilder setzen das Motto der Ausstellung "Auffällig unauffällig" eindrucksvoll um. MS-Betroffene erkennt man eben nicht schlicht am Rollstuhl oder am Gehstock oder am Gangbild, man erkennt sie häufig gar nicht.

Und genau dies kann für Erkrankte wie Ärzte zum Problem werden. "Durchschnittlich vergehen immer noch dreieinhalb Jahre vom Auftreten erster unklarer Symptome bis zur klaren Diagnose", berichtet Heitmann. Was einerseits mit dem intermittierenden Auftreten von Symptomen - z. B. reversiblen Sehstörungen - und der Komplexität von MS zu tun habe, andererseits aber auch damit, dass "nicht immer früh genug daran gedacht wird". Dabei gibt es längst Konsensus-Empfehlungen des Bundesverbandes zu Diagnose und Therapie, wie vieles andere zu finden auf der Internetseite www.dmsg.de. Auch die Regelungen zur Langzeit-Physiotherapie seien noch nicht allgemein bekannt.

Anlässlich des 30. Jubiläums bietet die DMSG am 3. November 2012 ein Ärzte-Symposium in Bad Bramstedt mit dem vielsagenden Motto "Horizonte". Ganz bewusst soll auf Themenbereiche der MS hingewiesen werden, die in der ganzheitlichen Betrachtung der Erkrankung für Ärzte eine große Rolle spielen. Namhafte MS-Experten geben einen Einblick in den neuesten Stand der Forschung und Behandlung.

Informationen über das Symposium und die Angebote der MS-Gesellschaft in Schleswig-Holstein erhalten Sie im Internet unter www.dmsg-sh.de und in der Geschäftsstelle des Landesverbandes: Beselerallee 67, 24105 Kiel, Tel. 0431/56015-0, Fax 0431/56015-20.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201205/h12054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildung der Originalpublikation:

MS muss nicht sichtbar sein, wie hier bei Mutter Nathalie mit ihrer Tochter Lilli. Fotografiert von Börje Johnsen und Kristofer Schliephake, Schüler der Berufsfachschule für Fotodesign Kiel im RBZ Wirtschaft Kiel für die Ausstellung "Auffällig - unauffällig".

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2012
65. Jahrgang, Seite 24 - 25
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2012

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