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FORSCHUNG/425: Übergewichtsbedingter Dickdarmkrebs ist eine Stoffwechselkrankheit (idw)


Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke - 17.02.2014

Übergewichtsbedingter Dickdarmkrebs ist eine Stoffwechselkrankheit



Ein Wissenschaftlerteam unter Führung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch hat im Rahmen der EPIC*-Studie drei Biomarker identifiziert, die bei Entzündungs- und Stoffwechselprozessen eine Rolle spielen sowie gleichzeitig mit Übergewicht und Dickdarmkrebs assoziiert sind. Sie weisen darauf hin, dass übergewichtsbedingter Dickdarmkrebs eine Stoffwechselerkrankung ist. Die neuen Daten helfen, die Mechanismen der Dickdarmkrebsentstehung besser zu verstehen und neue Präventionsstrategien gegen die Krankheit zu entwickeln. Das Forscherteam publizierte seine Ergebnisse nun im International Journal of Cancer.

Wie die Forscher bereits 2006 gezeigt hatten, ist krankhaftes Übergewicht, das sich vor allem in einem erhöhten Taillenumfang äußert, ein Risikofaktor für Dickdarmkrebs. Auch die neue Datenanalyse bestätigt diese Beobachtung und zeigt, dass Frauen mit einem durchschnittlichen Taillenumfang von 93 cm im Vergleich zu Frauen mit einem Umfang von etwa 72 cm ein um 67 Prozent erhöhtes Krebsrisiko hatten. Männer, deren Bauchumfang im Mittel bei 105 cm lag, hatten im Vergleich zu ihren Geschlechtsgenossen mit einem Taillenumfang von durchschnittlich 87 cm ein um 68 Prozent erhöhtes Erkrankungsrisiko. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass besonders das Fett im Bauchraum eine Rolle für die Dickdarmkrebsentstehung spielt. Warum dies so ist, ist bislang wenig erforscht. Daher untersuchten die Wissenschaftler um Krasimira Aleksandrova und Heiner Boeing vom DIfE sowie Tobias Pischon vom MDC elf verschiedene Biomarker, um Hinweise auf die Stoffwechselwege und -mechanismen zu erhalten, die Übergewicht mit der Entstehung von Dickdarmkrebs verbinden.

In der aktuellen Studie waren drei der untersuchten Biomarker besonders stark mit dem Taillenumfang sowie dem Auftreten von Dickdarmkrebs assoziiert. Bei den Markern handelt es sich um das "gute" HDL-Cholesterin, das niedermolekulare Adiponectin** sowie den löslichen Leptinrezeptor***. Je niedriger die Spiegel der Biomarker im Blut der Studienteilnehmer waren, desto höher war ihr Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken.

Niedrige HDL-Cholesterin-Spiegel weisen auf Fettstoffwechselstörungen hin.

Dagegen haben hohe Konzentrationen davon im Blut vermutlich eine direkte, krebsschützende Wirkung, da HDL-Cholesterin Entzündungsprozessen entgegenwirkt, einen regulierenden Einfluss auf das Zellwachstum hat und die Produktion von Adiponectin fördert. Hierfür sprechen zumindest Ergebnisse von Tier- und Humanstudien. Adiponectin ist ein Botenstoff, den die Fettzellen ins Blut abgeben und der u. a. über Eigenschaften verfügt, die das Tumorwachstum hemmen. Der lösliche Leptinrezeptor bindet den ebenfalls von Fettzellen freigesetzten Botenstoff Leptin. Studien lassen annehmen, dass er nicht nur den Energiestoffwechsel beeinflusst, sondern auch die Neubildung von Blutgefäßen bei Tumoren sowie das Zellwachstum fördert. Derzeit nehmen die Forscher an, dass der lösliche Leptinrezeptor die Bioverfügbarkeit des Leptins reguliert.

"Wir wissen im Moment noch nicht, ob die von uns identifizierten Biomarker direkt das Darmkrebsrisiko beeinflussen. Zumindest erscheinen aber die Stoffwechselwege, an denen die Biomarker beteiligt sind, eine Verbindung zwischen Übergewicht und dem Entstehen der Erkrankung darzustellen", sagt Krasimira Aleksandrova, Erstautorin der Studie. Neue Untersuchungen seien notwendig, um beispielsweise zu klären, ob eine Veränderung der Biomarker-Spiegel das Dickdarmkrebsrisiko vermindert, so die Forscherin.

"Eine wichtige Botschaft, die wir von unseren Ergebnissen aber auf jeden Fall schon heute ableiten können ist, dass übergewichtsbedingter Dickdarmkrebs eine Stoffwechselerkrankung ist, bei welcher die von Fettzellen abgegebenen Substanzen wahrscheinlich eine entscheidende Rolle spielen. Vor 20 Jahren galt dies noch nicht", sagt Ernährungsepidemiologe Tobias Pischon. Es sei daher sinnvoll, auf ein normales Körpergewicht und insbesondere auf den Taillenumfang zu achten, um der Erkrankung vorzubeugen, ergänzt Heiner Boeing, der die Potsdamer EPIC-Studie am DIfE leitet.


Literatur:
Aleksandrova et al.: Adiposity, mediating biomarkers and risk of colon cancer in the European prospective investigation into cancer and nutrition study. Int J Cancer. 2014 Feb 1; 134 (3):612-21; (DOI: 10.1002/ijc/28368)


Kontakt:

Dr. Krasimira Aleksandrova
Abteilung Epidemiologie
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal
E-Mail: Krasimira.Aleksandrova@dife.de

Prof. Dr. Tobias Pischon
Forschungsgruppe Molekulare Epidemiologie
Max-Delbrück-Centrum für
Molekulare Medizin (MDC)
Berlin-Buch
Robert-Rössle-Straße 10
13125 Berlin
E-Mail: tobias.pischon@mdc-berlin.de

Prof. Dr. Heiner Boeing
Abteilung Epidemiologie
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal
E-Mail: boeing@dife.de


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dife.de/de/forschung/projekte/epic.php
Weitere Informationen zur EPIC-Studie


Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:

http://idw-online.de/de/image226830
Logo

http://idw-online.de/de/image226831
Messung des Bauchumfangs


Hintergrundinformationen:

* EPIC: European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition.
Die EPIC-Studie ist eine prospektive Beobachtungsstudie, die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Krebs und anderen chronischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes untersucht. An der EPIC-Studie sind 23 administrative Zentren in zehn europäischen Ländern mit insgesamt 519.000 Studienteilnehmern im Erwachsenenalter beteiligt. Die Potsdamer EPIC-Studie ist mit mehr als 27.000 Teilnehmern ein Teil der EPIC-Studie. In der vorliegenden Studie verglichen die Forscher die Daten von 662 erstmals an Dickdarmkrebs Erkrankten mit den Daten von 662 Nichterkrankten.

** Adiponectin ist ein von Fettzellen abgegebenes Hormon, das in nieder- aber auch in hochmolekularer Form im Blut vorkommt. Menschen mit Übergewicht haben in der Regel niedrigere Serumspiegel als Normalgewichtige. In der vorliegenden Studie konnte eine eindeutige inverse Beziehung zwischen den Serumspiegeln des niedermolekularen Adiponectins und dem Darmkrebsrisiko festgestellt werden. Das heißt, Menschen mit hohen Spiegeln dieser Adiponectinform haben ein vermindertes Darmkrebsrisiko und umgekehrt. Für das hochmolekulare Adiponectin beobachteten die Forscher keine Beziehung zum Dickdarmkrebsrisiko.

*** Löslicher Leptinrezeptor: Leptin ist ein von Fettzellen abgegebenes Hormon, das eine appetithemmende Wirkung hat. Es spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulation des Energiestoffwechsels und stimuliert u. a. das Wachstum von Dickdarmepithelzellen in vitro. Leptin vermittelt seine Wirkung durch Bindung an Leptinrezeptoren, die sich auf den Zellmembranen der Zielgewebe befinden. Es bindet aber auch an lösliche Leptinrezeptoren, die im Blutplasma zirkulieren, so dass denkbar wäre, dass diese löslichen Rezeptoren die Bioverfügbarkeit des Leptins regulieren. Übergewichtige Menschen haben im Vergleich zu normalgewichtigen Menschen niedrigere Serumspiegel des löslichen Leptinrezeptors.

Zahlen:
Schätzungsweise erkrankten im Jahr 2012 weltweit etwa 1,4 Million Menschen (9,7 Prozent aller Krebserkrankungen) neu an Dickdarm- oder Mastdarmkrebs. In Westeuropa sind Dickdarm- und Mastdarmkrebs für etwa 13 Prozent aller Krebstodesfälle verantwortlich. In Deutschland starben 2011 ca. 26.300 Menschen an Darmkrebs. Bezogen auf die Neuerkrankungsrate ist Dickdarmkrebs die zweithäufigste Krebsform innerhalb Deutschlands.


Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsbedingter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Forschungsschwerpunkte sind dabei Adipositas (Fettsucht), Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten DZD. Näheres unter
http://www.dzd-ev.de

Die Leibniz-Gemeinschaft vereint 89 Einrichtungen, die anwendungsbezogene Grundlagenforschung betreiben und wissenschaftliche Infrastruktur bereitstellen. Insgesamt beschäftigen die Leibniz-Einrichtungen rund 17.200 Menschen - darunter 8.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - bei einem Jahresetat von insgesamt knapp 1,5 Milliarden Euro. Die Leibniz-Gemeinschaft zeichnet sich durch die Vielfalt der in den Einrichtungen bearbeiteten Themen und Disziplinen aus. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft bewahren und erforschen das natürliche und kulturelle Erbe. Darüber hinaus sind sie Schaufenster der Forschung, Orte des Lernens und der Faszination für die Wissenschaft. Näheres unter
http://www.leibniz-gemeinschaft.de

Das MDC gehört zur Helmholtz-Gemeinschaft und wurde 1992 auf Empfehlung des Wissenschaftsrats gegründet, um molekulare Grundlagenforschung mit klinischer Forschung zu verbinden. Forschungsschwerpunkte des MDC sind Herz-Kreislauf-Forschung und Stoffwechselerkrankungen, Krebs, Erkrankungen des Nervensystems und die Systembiologie. 2013 gründeten MDC und Charité das Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG), 2007 das Experimental and Clinical Research Center (ECRC) auf dem Campus Berlin-Buch. Das MDC ist zudem an drei der insgesamt sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung beteiligt: am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und am Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK). Näheres unter:
http://www.mdc-berlin.de/de

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie sowie Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894). Näheres unter:
http://www.helmholtz.de/


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution166

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, Dr. Gisela Olias, 17.02.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2014