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HERZ/632: Jahrestagung 2013 der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (1) (idw)


Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung
Pressemitteilungen vom 4. April 2013

79. Jahrestagung 2013 der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
3. - 6. April 2013 in Mannheim

→  "Elektronische Nase" erschnüffelt Herzkrankheiten
→  Armut fördert Herz-Risikofaktoren: Mehr Infarkte in sozial schwächeren Stadteilen
→  Gentherapie gegen Herzschwäche: Neue Entwicklungen machen Hoffnung
→  Aus Stammzellen gezüchtetes Gewebe soll das angeschlagene Herz regenerieren
→  Luftverschmutzung und Lärmbelastung tragen zu erhöhtem Herzrisiko bei



"Elektronische Nase" erschnüffelt Herzkrankheiten

Mannheim, Donnerstag, 4. April 2013 - Eine Analyse der Ausatemluft mittels "elektronischer Nase" ermöglicht es, Menschen mit Herzerkrankungen von Gesunden zu unterscheiden. Innerhalb der Gruppe der Erkrankten lässt sich mit dieser Methode zum Beispiel der Schweregrad der Herzmuskelerkrankung abschätzen. Das zeigt eine aktuelle Studie einer Münchner Forschergruppe, die heute bei der 79. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim vorgestellt wurde. "Diese Methode erlaubt es uns prinzipiell, zwischen Gesunden und Kranken und innerhalb der Erkrankten nach Schweregrad zu differenzieren. Ob und inwieweit dieser Ansatz die klinische Abklärung, beispielsweise bei der Erkennung klinischer Komorbiditäten, unterstützen kann, muss in weiteren prospektiven Untersuchungen an großen unabhängigen Patientengruppen geklärt werden", so Dr. Uta Ochmann vom Klinikum der Universität München. "Elektronische Nasen" (eNose) werden dazu eingesetzt, Muster chemischer Verbindungen in der Ausatemluft zu identifizieren und auf diese Weise Erkrankungen zu erkennen oder zwischen ihnen zu differenzieren. Im Rahmen der Münchner Studie kam eine elektronische Nase zum Einsatz, bei der die Atemluft mittels 32 Polymer-Sensoren auf Metalloxid-Basis analysiert wird. Gemessen werden "volatile organische Komponenten" (VOCs) in der Atemluft. VOCs sind Biomarker in der Ausatemluft, die sich bei Herzerkrankungen in ihrer Zusammensetzung ändern können. Untersucht wurden 56 Patienten mit Herzmuskelerkrankungen, Herzerkrankungen aufgrund von Bluthochdruck, oder akutem Herzinfarkt sowie 43 gesunde Probanden.

Quelle: Ochmann et al., Messung der Ausatemluft mittels elektronischer Nase bei Patienten mit kardiologischen Erkrankungen. Abstract V338. Clin Res Cardiol 102, Suppl 1, 2013

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Armut fördert Herz-Risikofaktoren: Mehr Infarkte in sozial schwächeren Stadteilen

Mannheim, Donnerstag, 4. April 2013 - In Bremer Stadtteilen mit niedrigem Sozialstatus gibt es deutlich mehr Herzinfarkte als in sozial stärkeren Bezirken, und Infarktpatienten aus sozial schwachen Vierteln sind deutlich jünger als ihre Leidensgenossen aus den besser gestellten Gegenden der Stadt. Das zeigt eine Auswertung der Daten aus dem Bremer Herzinfarktregister, die heute bei der 79. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim vorgestellt wurde. "Diese Ergebnisse können zumindest teilweise mit einem höheren Anteil von Rauchern und Übergewichtigen in den sozial benachteiligten Stadtteilen erklärt werden, weshalb gerade hier die Primärprävention eine besondere Bedeutung gewinnt", so Studien-Koautorin Dr. Susanne Seide vom Klinikum Links der Weser in Bremen.

Die Bremer Forschergruppe analysierte die im Bremer Herzinfarktregister enthaltenen Daten unter anderem im Hinblick auf den Sozialstatus, wobei die Stadteile nach dem sogenannten allgemeinen Benachteiligungsindex in drei Gruppen eingeteilt wurden. Dieser Index berücksichtigt Kriterien wie die Einkommensstruktur, den Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, die Schulbildung oder den Anteil an Empfängern von Sozialleistungen.

Zentrale Ergebnisse der Analyse: In den Teilen der Stadt mit dem niedrigsten Sozialstatus gab es 86,3 Herzinfarkte pro 100.000 Einwohnern, in den sozial stärksten Gegenden betrug dieses Verhältnis nur 63,2 pro 100.000 Einwohnern. Die Infarkt-Patienten aus den unterprivilegierten Bezirken waren mit durchschnittlich 63,7 Jahren signifikant jünger als die sozial besser gestellten Patienten (66,1 Jahre). In Bezug auf die kardiovaskulären Risikofaktoren wiesen die Patienten mit geringerem Sozialstatus einen höheren Raucheranteil auf (49 vs. 39 Prozent) und waren häufiger übergewichtig (24 vs. 17 Prozent). Bei Diabetes und Bluthochdruck zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede.

Quelle: Seide et al., Höhere Inzidenz akuter ST-Hebungsinfarkte in Stadtteilen mit geringem Sozialstatus - Daten aus dem Bremer Herzinfarkt-Register. Abstract P1445. Clin Res Cardiol 102, Suppl 1, 2013

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Gentherapie gegen Herzschwäche: Neue Entwicklungen machen Hoffnung

Mannheim, Donnerstag, 4. April 2013 - Neuartige molekulare Therapien (Gentherapie) zielen bei chronischer Herzmuskelschwäche (Herzinsuffizienz, HI) auf eine funktionelle Regeneration des geschädigten Herzmuskels ab. "Diese innovative Behandlungsform hat nach langjähriger Entwicklung im Labor die Phase der klinischen Prüfung erreicht und könnte die Behandlung der chronischen HI in naher Zukunft revolutionieren", sagt Prof. Dr. Patrick Most (Heidelberg) bei einem Pressegespräch auf der 79. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim.

Gentherapie soll im Gegensatz zur klinisch medikamentösen Therapie die gezielte Korrektur von Defekten am Ort der Störung ermöglichen. Mit Hilfe modifizierter Viren wird DNA, die das veränderte Protein kodiert, in erkrankte Herzmuskelzellen eingebracht und der Syntheseapparat der Zelle genutzt, um die Konzentration des Proteins zu normalisieren.

Gentherapeutisches Verfahren in den ersten Phasen klinischer Prüfung

Gegenwärtig befindet sich ein gentherapeutisches Verfahren in den ersten Phasen klinischer Prüfung, das den Ersatz eines herzmuskelzelleigenen Enzyms (SERCA2a Protein) zum Ziel hat, dessen Funktion es ist, die Aufrechterhaltung des Kalziumflusses in der Herzmuskelzelle zu gewährleisten. (CUPID Studie - Calcium Upregulation by Percutaneous Administration of Gene Therapy in Cardiac Diseases). Prof. Most: "Wir erwarten mit großer Spannung die Wirksamkeit in größeren Patientenkollektiven."

Heidelberger Team untersucht molekulares Wirkprinzip

Das Team von Prof. Most verfolgt die therapeutische Nutzung eines anderen Wirkprinzips. Die Aufmerksamkeit gilt dem S100A1-Molekül, das in den Regulationsmechanismen des Kalziumstoffwechsels im Herzmuskel eine Stufe höher steht als SERCA2a. Prof. Most: "Unsere Daten zeigen, dass S100A1 nicht nur direkt SERCA2a kontrolliert, sondern eine Reihe weiterer elementarer Faktoren in Herzmuskelzellen, die für deren Kalziumstoffwechsel sowie die Regulation kalziumabhängiger Prozesse verantwortlich sind." Mit den jüngsten Tests der S100A1-Gentherapie in human-relevanten Krankheitsmodellen der chronischen HI wurde die Phase der präklinischen Entwicklung erfolgreich beendet. Der Zulassungsprozess zu ersten klinischen Sicherheitsstudien mit der Arzneimittelbehörde der USA ist begonnen worden und in den nächsten Monaten wird dieser Prozess auch in Europa eingeleitet, sagt Prof. Most.

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Aus Stammzellen gezüchtetes Gewebe soll das angeschlagene Herz regenerieren

Mannheim, Donnerstag, 4. April 2013 - "Wir gehen davon aus, dass die Zelltherapie in der Lage sein wird, nach einem Herzinfarkt kranke Herzen zu stärken und zu einer Regeneration des Herzmuskels zu führen", berichtete heute Prof. Dr. Gerd Hasenfuss (Abteilung Kardiologie und Pneumologie der Universität Göttingen) bei einem Pressegespräch auf der 79. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim.

Ein Projekt, das einen speziellen Ansatz des künstlichen Herzmuskelgewebes verfolgt, wird gegenwärtig im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislaufforschung betrieben. Inzwischen ist es gelungen, die Zellverbände herzustellen. Ihre Verwendbarkeit wird gegenwärtig in Tierversuchen getestet. Prof. Hasenfuss: "Wir rechnen damit, dass die Studien an Menschen in frühestens fünf Jahren beginnen können. Bis zum klinischen Einsatz werden also mit Sicherheit mehr als zehn Jahre vergehen."

Dabei werden so genannte induzierte pluripotente Stammzellen aus Haut- oder anderen reifen Zellen rückprogrammiert und in den anpassungsfähigen Zustand einer Stammzelle versetzt: Es soll also aus der Hautzelle eine Stammzelle und daraus eine Herzmuskelzelle entstehen. Die Hoffnung ist, dass man aus diesen Zellen ein Gewebe herstellen kann, das man auf den zerstörten Teil des Herzmuskels aufbringt und das dann den Muskel bei seiner Pumparbeit unterstützt. Prof. Hasenfuss: "Der Vorteil wäre, dass man das Herzgewebe im Labor machen kann und daher die potentiellen Risiken von Stammzellen, zum Beispiel Tumorentstehung, kontrollierbar sind."

Bei einem Herzinfarkt sterben Herzmuskelzellen infolge von Minderdurchblutung. Weil der Herzmuskel nicht die Fähigkeit zur Regeneration besitzt, ist der angerichtete Schaden irreparabel. Therapien, die Herzmuskelzellen wieder nachwachsen lassen, werden also dringend gesucht. Eine vieldiskutierte und intensiv beforschte Option sind Stammzellen: Zellen mit der Fähigkeit, sich in unterschiedliche Zell-Typen zu differenzieren. Auch im Körper Erwachsener sind Stammzellen vorhanden, die zum Beispiel dafür sorgen, dass Blutzellen das ganze Leben hindurch gebildet werden können. Gewebe wie das Herz oder das zentrale Nervensystem besitzen diese Fähigkeit zur Regeneration allerdings nicht. Die Idee der Stammzelltherapie bestand zunächst darin, Blut-Stammzellen dazu zu bringen, sich in Herzmuskelzellen zu verwandeln.

Allerdings wurden frühe Hoffnungen enttäuscht. Prof. Hasenfuss: "Seit 2001 glauben wir, dass die Zelltherapie eine vielversprechende Option ist. Damals dachten wir, dass alle Probleme 2013 gelöst sein werden, was sich als zu verfrüht erwiesen hat. Dennoch sind wir optimistisch, haben aber gelernt, dass es nicht so gehen wird, wie wir ursprünglich dachten."

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Luftverschmutzung und Lärmbelastung tragen zu erhöhtem Herzrisiko bei

Mannheim, Donnerstag, 4. April 2013 - Anhaltende Feinstaubbelastung, nächtlicher Verkehrslärm und nächtlicher Flugzeuglärm könnten das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen, indem sie zur Entstehung von Atherosklerose beitragen bzw. die Gefäßfunktion beeinträchtigen. Das ist das Fazit von zwei aktuellen Studien, die heute bei der 79. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim vorgestellt wurden.

In der Heinz Nixdorf RECALL Studie ging ein Forscherteam aus Düsseldorf, Essen und Moers unter anderem der Frage nach, warum das Wohnen an verkehrsreichen Straßen die Bildung einer subklinischen Atherosklerose (also einer noch nicht hochgradigen Gefäßverkalkung ohne einengende Anteile) fördert. Analysiert wurden die Daten von insgesamt 4.238 Studienteilnehmern, die einer anhaltenden Feinstaubbelastung (aerodynamischer Diameter <2,5 µg) und nächtlichem Verkehrslärm ausgesetzt waren. Beide Faktoren trugen zu einer verstärkten Verkalkung der Aorta bei. "Langfristige Feinstaubbelastung und nächtlicher Verkehrslärm sind unabhängig voneinander mit subklinischer Atherosklerose assoziiert", fassen die Studienautoren ihre Ergebnisse zusammen.

In einer gemeinsamen Untersuchung der Universitätsmedizin der Universität Mainz und der University of Pennsylvania School of Medicine untersuchten die Forscher an 75 gesunden Freiwilligen, wie sich nächtlicher Fluglärm (30 oder 60 Lärmepisoden von mehr als 40 bis maximal 60 Dezibel) auf Gefäßfunktion, Blutdruck, Herzrate und Stresshormone auswirkt. Waren die Versuchspersonen in einer Nacht 60 Fluglärm-Episoden ausgesetzt, verringerte sich die flussvermittelte Vasodilatation - eine Messgröße für die Gefäßfunktion - von durchschnittlich 10,36 auf 9,51 Prozent. Der Blutdruck stieg von durchschnittlich 109,75 mmHg auf 114,91 mmHg bei 30 und auf 115,21 mmHg bei 60 Lärmepisoden. Auch der Adrenalinspiegel stieg signifikant an (von durchschnittlich 28,56 ng/l auf 32,96 bzw. 34,0 ng/l). "Nächtlicher Fluglärm beeinträchtigt die Gefäßfunktion und stimuliert die Andrenalinausschüttung, und das auch bei gesunden Menschen", so die Studienautoren. "Es ist also auch bei Menschen mit niedrigem Risiko ein negativer Effekt von Lärm auf die vaskuläre Funktion festzustellen."

"Die Daten zeigen, dass bei Menschen, die Luftverschmutzung und Lärmbelastungen ausgesetzt sind, längerfristig ein negativer Einfluss auf die Risikofaktoren Gefäßwandveränderung und hoher Blutdruck entsteht", kommentiert Prof. Dr. Eckart Fleck (Berlin), Pressesprecher der DGK.

Quellen:
Kälsch et al. Is urban particulate air pollution or road traffic noise responsible fort he association of traffic proximity with subclinical atherosclerosis - Results from the Heinz Nixdorf Recall Study, Abstract V1215, Clin Res Cardiol 102, Suppl 1, 2013.
Schmidt et al., Nighttime aircraft noise exposure causes endothelian dysfunction in healthy adults. Abstract V1444, Clin Res Cardiol 102, Suppl 1, 2013.


Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 8200 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien.
Weitere Informationen unter:
www.dgk.org


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http://www.dgk.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution737

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V.
Prof. Dr. Eckart Fleck, 04.04.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2013